Samstag, 26. Dezember 2009


Richard Heuberger DER OPERNBALL


Der österreichische Operettenkomponist Richard Heuberger war 48 Jahre alt, als im Theater an der Wien am 5. Januar 1898 sein einziges erfolgreiches Bühnenwerk Der Opernball zum ersten Mal gespielt wurde. Die Handlung führt die Zuschauer nach Paris.

Pikante Überraschungen

Georges Duménil und Paul Aubier sind verheiratet, aber trotzdem einem gelegentlichen amourösen Abenteuer nicht abgeneigt. Duménils Frau Marguerite bleibt dies nicht unbemerkt. Angèle, die Frau Aubiers, glaubt hingegen immer noch an die Treue ihres Gatten. Marguerite versucht Angèle durch einen kleinen Test vom Gegenteil zu überzeugen. Als Anlass wählen sie den Opernball und das Mittel zur Überführung sollen zwei gleiche Dominos für beide Frauen sein. Derart verkleidet wollen sie die Treue ihrer Männer prüfen. Aber auch Madame Beaubuisson, eine Verwandte, die Köchin Yvette und das Stubenmädchen Hortense gehen in rosa Dominos gehüllt auf das Fest. Und so bringt der Opernball so manche Verhüllung, gefolgt von Enthüllung und damit verbundene, pikante Überraschungen.

Ausbildung zum Ingenieur

Der Opernball mit dem charmanten Duett „Gehen wir in’s Chambre separée“ ist Heubergers einziges Werk, das heute noch aufgeführt wird. Über sein weiteres Leben und Schaffen ist wenig bekannt. Erst im Jahr 2002 erschien die erste von dem Musikwissenschaftler Peter Grunsky verfasste Biografie über Heuberger. Geboren wurde Richard Heuberger 1850 als Sohn eines Herstellers medizinischer Geräte in Graz; seine Mutter verlor er bereits im Alter von drei Jahren. Schon als Jugendlicher erhielt er Unterricht in Klavier und Violine. Zu dieser Zeit entdeckte sein Musiklehrer Wilhelm Mayer auch Heubergers Talent als Komponist, als der 13-jährige ein Bravourstück für Klavier schrieb. Obwohl Mayer nach weiteren Talentproben zu einem Studium der Komposition riet, bestand Heubergers Vater auf einer Ausbildung für den Beruf eines Bauingenieurs. Heuberger besuchte die Technische Universität in Graz, komponierte aber nebenbei in seiner Funktion als Chormeister des „Techniker-Sängerchores“ eine Anzahl von Chören. Nach seinem zwischenzeitlich absolvierten Militärdienst wurde ihm 1875 im Abschlusszeugnis bescheinigt, der Absolvent der Technischen Universität sei für eine Anstellung im Staatsbaudienst „hervorragend befähigt“. 1876 wurde Heuberger zum Bauadjunkten ernannt und mit der Planung einer neuen Eisenbahnverbindung beauftragt.

Chormeister beim Gesangsverein

Das Komponieren, das er sich autodidaktisch aneignete, gab er deshalb nicht auf. Gemeinsam mit seinem Freund, der Dichter Peter Rosegger, sammelte und bearbeitete er Volkslieder aus der Steiermark für den Hausgebrauch. Der Wendepunkt in seiner Biografie war 1870 in Graz die Komposition einer Festkantate aus Anlass des 70. Geburtstags des Dichters Anastasius Grün. Josef Sucher, Korrepetitor an der Wiener Hofoper, unterbreitete Heuberger daraufhin das Angebot, eine Stelle als Chormeister beim Wiener Akademischen Gesangsverein anzutreten. Heuberger bat sehr zum Missfallen seines Vaters um seine Entlassung als Bauadjunkt. Zu seinen Förderern in Wien gehörte Wilhelm Kienzl, dessen Oper Der Evangelimann nach der Uraufführung 1895 viel gespielt wurde, und auch Johannes Brahms stand Heuberger viele Jahre lang mit freundschaftlichen, aber auch kritischem Ratschlägen zur Seite. Selbst Franz Liszt empfahl einige von Heubergers Frauenchören zur Aufführung in anderen Städten. Der Erfolg eines Konzerts in Wien, auf dessen Programm 1877 ausschließlich Kammermusik von Heuberger stand, führte zu einer weiteren Verpflichtung als künstlerischer Leiter der Wiener Singakademie. Für die Anerkennung als Komponist in Wien benötigte Heuberger aber eine Aufführung durch die Wiener Philharmoniker. Er reichte seine Nachtmusik für Streichorchester ein, die vom musikalischen Leiter Hans Richter abgelehnt wurde. Heuberger trug es mit Fassung. „Gott sei Dank bin ich erst 27 Jahre alt“, schrieb er an seine Vertraute Rosa Kosjek.

Die Abenteuer einer Liebesnacht

Nach dem Tod seiner ersten Gattin Auguste nach nur einjähriger Ehe nahm Heuberger eine Stelle als Musikkritiker beim Wiener Tageblatt an. Dadurch gewann er Einfluss auf das kulturelle Leben der Donaumetropole, aber diese Tätigkeit zwang ihn auch in ein Spannungsfeld zwischen eigenem künstlerischem Schaffen und kritischer Stellungnahme gegenüber den Werken anderer Komponisten. 1879 begann er mit der Arbeit an seinem ersten Bühnenwerk. Die Ouvertüre und Teile aus der Partitur zu Die Abenteuer einer Liebesnacht fanden das Gefallen von Franz Liszt, doch Heubergers Erstlingsoper wurde erst 1885 unter der musikalischen Leitung von Arthur Nikisch am Leipziger Stadttheater gespielt. Sie fand keine Beachtung, ebenso wie die wiederum in Leipzig 1889 uraufgeführte Oper Manuel Venegas. Heuberger arbeitete weiterhin als Musikkritiker in Wien und stieg gefördert von Eduard Hanslick, der durch seine Attacken auf Richard Wagner in Erinnerung blieb, bei der Neuen Freien Presse zum zweiten Mann auf. Sein Privatleben war durch die Heirat mit seiner zweiten Frau Johanna und seine Kinder sehr glücklich, aber die Anerkennung als Komponist war ihm immer noch nicht gelungen.

Ein rosa Domino

Sein Durchbruch kam dann anders, als Heuberger, der sich selbst als ernsthafter Komponist begriff, es erwartet hatte. Heuberger hatte 1890 in einem Brief an seinen Freund Hugo Wittmann in einem Nebensatz geschrieben, ihn würde auch eine „feine Operette für die Hofoper“ reizen. Wittmann brachte Heuberger daraufhin mit dem Librettisten Heinrich von Waldberg zusammen. Dieser schlug eine Vertonung des Lustspiels Die rosa Dominos der französischen Autoren Hennequin und Delacour vor, das in Wien einige Jahre zuvor im Wiener Stadttheater gespielt worden war. Als zweiter Librettist wurde Victor Léon herangezogen. Bei der Instrumentation der Partitur stand nach Ansicht von Musikwissenschaftlern der Komponist Alexander von Zemlinsky hilfreich zur Seite. Gemeinsam schufen sie mit der Operette Der Opernball ein Meisterwerk der klassischen Operette. Die Uraufführung im Theater an der Wien war 1898 ein beispielloser Erfolg. Die Partitur mit ihrer fein ziselierten Harmonik versuchte einen neuen Ton für die Operette anzuschlagen. Themen wie das Rosa-Domino-Motiv wurden leitmotivisch im Sinne einer musikalischen Konversation behandelt. Es war nicht Heubergers Absicht wie seine Zeitgenossen Karl Millöcker und Carl Zeller eine Folge von eingängigen Melodien für volkstümliche Trachtenoperetten zu schreiben, Heuberger wollte die Stimmung seiner Zeit musikalisch behandeln, die heute das Fin de Siècle genannt wird. Mit der aparten Partitur zum Opernball fügte Heuberger der Wiener Operettentradition eine neue Facette hinzu. Die elegante Salonoperette Heubergerscher Prägung bestimmte auch Handlung und Musik der nachfolgenden Operetten Der Graf von Luxemburg von Franz Lehár und Die Dollarprinzessin von Leo Fall.

Ein vergnügter Abend

Bereits drei Tage nach der Weltpremiere des Opernballs erlebte Heuberger einen weiteren Triumph. Sein Ballett Der Struwwelpeter nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Heinrich Hoffmann widmete er „seinen lieben Kindern“. Nach der Uraufführung in Dresden 1896 nahm Direktor Wilhelm Jahn das Werk auch für die Wiener Hofoper an. In einer merkwürdigen Koppelung wurde am 8. Januar 1898 Der Struwwelpeter in Wien gemeinsam mit Mascagnis veristischem Opernreißer Cavalleria rusticana aufgeführt. Heuberger war endlich als Komponist anerkannt und begann sofort mit der Arbeit an seiner neuen Operette Ihre Excellenz, deren Musik stilistisch an den Opernball anknüpfte, und widmete sie Johann Strauß. Der Walzerkönig nahm die Huldigung dankend an und schrieb in einem Brief an Heuberger: „Mein Schwiegersohn hat mir gestern einen sehr vergnügten Abend verschafft, indem er den ganzen Klavierauszug einem entzückten Auditorium zu Gehör brachte“. Dann sprach Strauß noch seine „herzliche Gratulation“ aus. Weniger wohlwollend äußerte sich der 73-jährige Strauß in einem privaten Brief an seinen Schwager Josef Simon nach der Opernball-Premiere über Heubergers Erfolg. Vorausgegangen war eine Kritik über die Wiener Uraufführung der Operette Jabuka oder das Apfelfest 1894 von Johann Strauß, in der Heuberger kompositorische Schwächen aufgedeckt hatte: „Die Musik ist echter, wenn auch stiller, besonnenerer Strauß, der das helle, jugendliche Lachen der ‚Fledermaus’ nicht mehr anschlägt. Es ist zwar bei solchen Anlässen ziemlich allgemein, die Wahrheit nur zu sagen, wenn sie absolut schön klingt. In den faulen Apfel blinder Lobrednerei beißen wir aber auch beim Apfelfest nicht.“

Der eifersüchtige Walzerkönig

Strauß, der nach der Uraufführung seiner Operette Der Zigeunerbaron 1885 seinen künstlerischen Zenit überschritten hatte, reagierte in seinen letzten Lebensjahren auf die Erfolge anderer Wiener Komponisten stets mit Eifersucht und Missgunst. Strauß schrieb an seinen Schwager über die Musik zum Opernball in sehr drastischen Worten: „Verfluchter Kerl! Geschickt hat er’s gemacht, aber doch erkennbar. Der Anfang ist aus alten Walzern, die ersten 2 Takte, 3. und 4. Takt sind Note für Note von Delibes. So ein Kerl will Walzer schreiben? Die Schwanzhaare soll man ihm, wenn er welche hat, ausreißen und ihm in einer Sardellensauce zu fressen geben, damit er lebenslänglich 10 Mal des Tages scheißen muss mit obligaten Bauchkrämpfen und Speiberei.“ Und Strauß fügte hinzu: „Selbstverständlich ist diese Kritik niemandem mitzuteilen.“ Nach dem Tod von Johann Strauß, dem Heuberger 1899 einen bewundernden, wenn auch nicht glorifizierenden Nachruf widmete, konnte der Komponist mit seinen weiteren Bühnenwerken nicht an den Erfolg seiner Operette Der Opernball anknüpfen, die auch in Berlin, Budapest, London und 1909 sogar in New York gespielt wurde. Der Sechs-Uhr-Zug brachte es 1900 auf nur 25 Aufführungen, ebenso wurde 1902 die Operette Das Baby nach nur wenigen Vorstellungen abgesetzt.

Heubergers „Lustige Witwe“

Nach einem Zerwürfnis mit Eduard Hanslick übernahm Heuberger 1902 einen Lehrauftrag für Dramatische Komposition und Harmonielehre am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde. Und er verfasste eine musikwissenschaftlich anerkannte Biografie über Franz Schubert, die das Bild dieses Komponisten zurechtrückte, der bislang nur als liebenswerter Tonsetzer des Biedermeier behandelt wurde. 1905 heiratete Heuberger nach dem Tod seiner zweiten Gattin deren Schwester Louise. Er leitete Konzerte in Amerika und England und erlebte mit der 1905 in Dresden uraufgeführten Volksoper Barfüßele einen weiteren Misserfolg. Um das Ruder noch einmal herumzureißen, boten ihm die Textdichter Victor León und Leo Stein ein neues Operettenlibretto an. Heuberger begann sofort mit der Arbeit. Die Uraufführung war für das Theater an der Wien vorgesehen; die Hauptrollen sollten von den damaligen Wiener Operettenstars Mizzi Günther und Louis Treumann übernommen werden. Als die Komposition des neuen Werks bis zum ersten Finale gediehen war, spielte Heuberger seinen Librettisten einzelne Nummern am Klavier vor, ohne zu ahnen, dass im Nebenzimmer Louis Treumann zuhörte. Der berühmte Sänger erklärte León am folgenden Tag, dass ihm die Musik wegen des fehlenden slawischen Kolorits nicht gefiel, das ihm für seine Rolle als osteuropäischer Diplomat notwendig erschien. Es kam zu einer erregten Auseinandersetzung zwischen Komponist und Textdichtern, woraufhin León und Stein ihr Buch zurückforderten. Heuberger löste seinen Vertrag mit dem Theater an der Wien. Die Librettisten boten das Textbuch zu ihrer Operette Die lustige Witwe jetzt Franz Lehár an. Ihm gelang damit ein Welterfolg.

Ein hochbegabter Mann

Heubergers letzte Lebensjahre waren durch eine fortschreitende Arterienverkalkung und Diabetes geprägt. Auch seine Operetten Don Quixote und Der Fürst von Düsterstein brachten nicht den ersehnten Erfolg. Der Komponist starb 1914 mit 64 Jahren in einem Sanatorium in Perchtoldsdorf bei Wien. Julius Korngold schrieb in seinem in der Neuen Freien Presse erschienenen Nachruf: „Nicht nur als schaffender Künstler wirkte Heuberger, sondern auch als Schriftsteller, als der er mit aller Gewandtheit mit Witz und Frische die Feder führte. Manche schlagkräftige kritische Besprechung ist ihm zu verdanken. Der ‚Opernball’ stellte sich nahe an Strauß’ beste Operetten und musste dann auch in der Folge alles hinter sich zurücklassen, was Heuberger sonst im gleichen Genre geschrieben hat. Fasst man auch noch sein Wirken als Dirigent und Lehrer ins Auge, so ergibt sich das Bild einer vielseitigen Tätigkeit. Der hochbegabte Mann hat nicht alle Kräfte, die in ihm schlummerten, zur vollen Entwicklung gebracht; aber was er bot, bedeutet genug des Wertvollen, um für immer das Andenken dieses Wiener Musikers zu sichern.“

Paris zur