Samstag, 26. Dezember 2009


Albert Lortzing ZAR UND ZIMMERMANN


Neben Otto Nicolai und Friedrich von Flotow war Albert Lortzing einer der wenigen Komponisten von deutschen Lustspielopern. Sein Meisterwerk Zar und Zimmermann gilt als Höhepunkt dieser Gattung, doch ebenso stehen Lortzings andere Opernerfolge Der Wildschütz (1842), Undine (1845) und Der Waffenschmied (1846) bis heute auf den Spielplänen der Opernhäuser.


Zwischen Köln und Berlin


Als Sänger, Schauspieler, Spielleiter und schließlich auch als Dirigent kam der in Berlin 1801 geborene Albert Lortzing im Lauf seiner künstlerischen Laufbahn mit allen Zweigen der dramatischen Kunst in Berührung. Von frühster Jugend an war ihm das Wanderleben durch die deutschen Theaterlandschaften vertraut. So trat er 1824 in Köln auf, wo er mit einer Theatertruppe unter der Leitung von Friedrich Sebald Ringelhardt engagiert war, und in der Domstadt heiratete er auch seine Frau Rosina. Nachdem Lortzing von 1826 bis 1833 am Hoftheater in Detmold gewirkt hatte, verbrachte er von 1833 bis 1845 am Leipziger Stadttheater seine erfolgreichste und produktivste Zeit als Komponist und Kapellmeister und ging anschließend an das Theater an der Wien. 1850 übernahm Lortzing eine Kapellmeisterstelle am neu erbauten Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin, wo er 1851 verstarb.


Ein Zar schwingt den Hammer


Die Oper Zar und Zimmermann handelt von dem historisch verbürgten kurzen Aufenthalt des 1672 in Moskau geborenen russischen Zar Peter I. in Holland, der als Herrscher von Russland zunächst gemeinsam mit seinem älterem Bruder Iwan V., und nach dessen Tod 1696 alleine das Land regierte. Er hielt sich 1697 in Saardam, womit der nördlich von Amsterdam gelegene niederländische Ort Zaandam gemeint war, inkognito auf einer Werft als Geselle Peter Michaelow auf, um seine Kenntnisse und Fertigkeiten in der Schiffsbaukunst zu erweitern. Von dort ging er nach England und dann nach Wien, wo ihn die alarmierende Nachricht erreichte, die altrussische Partei hätte im Verbund mit seiner Familie einen Aufstand angezettelt. Peter kam im August 1698 nach Moskau zurück und schlug die Revolte nieder. Es folgte ein grausames Strafgericht, das den Zaren im Gegensatz zu Lortzings freundlichem Portrait als einen Mann der barschen Entschlüsse zeigte, der immer wieder unverzüglich Todes- und Verbannungsurteile aussprach. Andererseits leitete Zar Peter I. in Russland zahlreiche Reformen ein, wie die Umgestaltung der Armee, Gründung der russischen Flotte, Einführung westeuropäischer Kleidung, Einführung des julianischen Kalenders und die Verstaatlichung der Russisch-Orthodoxen Kirche nach lutherischem Vorbild. Auch im Hinblick auf Technik und Wissenschaft orientierte sich Peter I. am Westen, wie sein niederländisches Intermezzo bewies. Im Großen Nordischen Krieg konnte er nach anfänglichen Misserfolgen die Schweden zurückdrängen. An der Stelle der schwedischen Festung Nyenschanz gründete er 1703 Sankt Petersburg, die nach ihm benannte spätere Hauptstadt des Russischen Reichs. Dort ist er in der Gewissheit, Russland als wohlgerüstete Großmacht zurückzulassen, 1725 gestorben. Der Beiname „der Große“ bezog sich auf sein Lebenswerk, aber auch auf seine Körpergröße, die bei 2,04 m lag.


Buntes Volksleben


Die niederländische Episode aus dem Leben des berühmt-berüchtigten Zaren inspirierte vor Lortzing bereits mehrere Bühnenautoren und Opernkomponisten zu dramatischen Werken. Unter den Vertonungen finden sich Namen wie André Ernest Grétry, Gaëtano Donizetti und Adolphe Adam. Populär geworden ist allein Lortzings komische Oper Zar und Zimmermann. Für Lortzing bot das Sujet um den Aufenthalt des Zaren in Saardam zunächst einen unverbrauchten Schauplatz: die idyllisch-liebeswürdigen Niederlande samt Volksleben in bunten Trachten und Holzschuhen. Für Drama und Oper lieferte bislang nur die Zeit der Reformation, der Abfall der calvinistischen Niederlande vom katholischen Spanien Stoffe; die niederländischen, schilfgedeckten Fischerhäuschen, die Windmühlen, und die Landschaft am Meer wurden erst von Lortzing für das Theater des deutschsprachigen Raums entdeckt.


Gefühlvolle Szenen


Lortzings eigenhändig verfasstes Libretto benutzte als Hauptquelle eine Lustspiel-Adaption von Georg Römer des in Paris 1818 uraufgeführten mélodrame-comique Le bourgmestre de Sardam ou Les deux Pierres, zu dessen Text von Mélesville der Komponist Nicolaus Albert Schaffner die Musik schrieb. Dem Dichterkomponisten war die Vorlage gut bekannt. Im Rahmen seines Detmolder Engagements war Lortzing zwischen 1828 und 1836 im Lustspiel von Römer sowohl als französischer Gesandter Chateauneuf als auch als eingewanderter Russe Peter Iwanow aufgetreten. Lortzing entschied sich in seiner Konzeption von Zar und Zimmermann aber nicht für eine durchkomponierte Oper, sondern für den Wechsel von gesprochenem, die szenischen Ereignisse vorantreibendem Dialog und musikalische Nummern in überschaubaren, klar gegliederten Formen, in denen die prägnanten Situationen musikalisch geschildert wurden, nach Lortzings Vorstellungen eben „Szenen, durch welche Gefühle erregt werden“. Mehrere Handlungsmotive und Konstellationen zwischen den einzelnen Figuren weisen in der fertig gestellten Oper aber darauf hin, dass Lortzing die anderen Vertonungen des Stoffs kannte. Vor allem der Handlungsverlauf des dritten Akts wich von Römers Vorlage ab, aus der Lortzing die politischen Konflikte eliminierte, denen der Zar sich ausgesetzt sah, als seine Schwester Sophie seine Abwesenheit ausnutzte und einen Umsturz vorbereitete. Anregungen für den durchgängig lustspielartigen Charakter seiner Oper bekam Lortzing hingegen durch die Vertonung von Gaëtano Donizetti, dessen in Neapel 1827 uraufgeführte heitere Oper Il borgomastro di Saardam auf ein Libretto von Domenico Gilardoni gerade zu jener Zeit in Berlin gespielt wurde, als Lortzing an Zar und Zimmermann arbeitete. Bereits in Donizettis Vertonung wurde das private Geschehen um den Zaren und seine Zuneigung zu Marie, die junge Nichte des Saardamer Bürgermeisters, in den Vordergrund gestellt. Noch mehr als bei Römer und Donizetti präzisierte Lortzing insgesamt die Charaktere der handelnden Personen, seiner Auffassung folgend: „Rollen heißt das Zauberwort, welches dem dramatischen Dichter wie dem Componisten die Pforten der Bühne öffnet“. Größeres Gewicht bekam der aus Russland eingewanderte Peter Iwanow, der in Zar Peter einen Konkurrenten um die Gunst von Marie sieht. Die Rolle des Bürgermeisters van Bett ist gegenüber allen anderen Dramatisierungen bewusst auf Charakterkomik angelegt. Van Bett ist bei Lortzing aber nicht nur der Gegenspieler von Zar Peter, sondern die erheiternde Karikatur einer aufgeplusterten Amtsperson, wie sie sich damals oft in Deutschland fand.


Musik mit Witz


Die volkstümliche Liedmelodik lässt in Zar und Zimmermann die prägenden musikalischen Stilmittel der deutschen Spieloper erkennen: Anknüpfend an die deutsche Singspieltradition von Johann Adam Hiller und Karl Ditters von Dittersdorf und unter Bezugnahme auf den flüssigen, musikalischen Konversationston der opéra comique fand Lortzing in seiner dritten Oper, welche ihm den Durchbruch als Komponist brachte, zu einem schlichten, aber unsentimentalen Ton. Seine Musik hat Witz, wie die Kantate „Heil sei dem Tag, da du bei uns erschienen“ beweist, in der van Bett mit den Dorfbewohnern ein Preislied einstudiert. Lortzings musikalische Palette umfasste auch das empfindungsvolle Lied des Zaren „Einst spielt ich mit Szepter, mit Krone und Stern“, das anmutige Brautlied der Marie „Lieblich röten sich die Wangen“ sowie den von folkloristischen Klängen geprägten „Holzschuhtanz“.


Ein drolliger Darsteller


Bei der Leipziger Uraufführung von Zar und Zimmermann oder Die zwei Peter am 22. Dezember 1837 wirkte der Dichterkomponist in der Tenorrolle des Peter Iwanow mit. Ein zeitgenössischer Kritiker schrieb: „Lortzing war liebenswürdig, frisch und drollig wie immer“. Die Oper wurde schnell ein europäischer Erfolg. Nur in Wien verhinderten strenge Zensurbestimmungen zunächst eine Aufführung von Zar und Zimmermann, da wegen des Erscheinens eines russischen Herrschers auf der Opernbühne diplomatische Verwicklungen befürchtet wurden. Für die erste Aufführung in Russland griff man dagegen zu einem dramaturgischen Kniff, um die Oper trotzdem spielen zu können, denn ein Zar – selbst ein historischer – durfte keinesfalls auf der Bühne erscheinen. Am 5. Januar 1845 meldete die Allgemeine Musikalische Zeitung: „In Russland wird Lortzings Oper ‚Zar und Zimmermann’ unter dem Titel ‚Flandrische Abenteuer’ aufgeführt. Der Zar ist in den deutschen König Maximilian I. verwandelt, der unter dem Namen Max Sternberger als Zimmergeselle in Antwerpen arbeitet. So ging die Oper in Riga in Szene.“ In Zaandam kann noch heute ein Häuschen besichtigt werden, in dem Zar Peter während seines Aufenthaltes angeblich gewohnt haben soll. An Lortzing dagegen erinnert ein 6,50 Meter hohes Denkmal, entworfen von Gustav Eberlein, das 1906 im Berliner Tiergarten errichtet wurde. Kinderputten auf dem Denkmal repräsentieren die beliebtesten Figuren aus Lortzings Opern, darunter auch aus Zar und Zimmermann.