Samstag, 26. Dezember 2009


Franz von Suppé PIQUE DAME


Franz von Suppé wurde 1819 in dem Städtchen Spalato in Dalmatien geboren, das damals zu Österreich gehörte und heute Split heißt. Sein Großvater war als Mijnheer de Suppe viele Jahre zuvor nach Italien eingewandert, nahm sich eine Signorina Demelli als Ehefrau und war Beamter der österreichischen Verwaltung. Nach Napoleons Einzug in Norditalien siedelte er nach Dalmatien über. Sein Sohn Pietro de Suppe, der ebenfalls Staatsbeamter wurde, heiratete die Wienerin Katharina Landovsky. Das Taufprotokoll ihres zweiten Sohns – der Erstgeborene war nur sieben Tage alt geworden – verzeichnete am 18. April 1819 die Geburt von „Francesco Ezechiele Ermenegildo de Suppe“. Mit diesem Dokument begann eine Merkwürdigkeit. Der Komponist schrieb seinen Nachnamen stets Suppè, also in italienischer Schreibweise, die obere Spitze des Akzents nach links geneigt. Auch seine ersten gedruckten Noten und Partituren zeigten es so. Kurioserweise nahmen auf Dauer Verleger und Theaterdirektoren den Wunsch des Komponisten, seinen Namen so und nicht anders geschrieben zu sehen, nicht zur Kenntnis und nannten ihn Franz von Suppé mit accent egue. Dem Komponisten blieb nichts anderes übrig, als es zu dulden.

Italienische KlangreizeI

Schon als Kind bekam Franz von Suppé Flötenunterricht und studierte Komposition beim Chordirektor der Kathedrale von Spalato. Mit vierzehn Jahren schrieb er eine Missa dalmatica. Nachdem sein Vater ihn zur Laufbahn eines Juristen gedrängt hatte, brach Suppé nach dessen Tod das Studium ab und siedelte mit der Mutter 1835 nach Wien über. Dort intensivierte er seine musikalische Ausbildung bei Ignaz Seyfried und Simon Sechter. Mit 21 Jahren wurde Suppé als Kapellmeister an das Wiener Theater in der Josefstadt berufen. Dort kam 1841 sein erstes Singspiel Jung lustig, im Alter traurig heraus. 1845 wechselte Suppé an das Theater an der Wien, wo er dirigierte und Schauspielmusiken sowie Couplets und Lieder im Wiener Volkston als Einlage in Schwänke und Possen komponierte. Die Erfolge von Offenbachs ersten Operetten in Wien ermutigten Franz von Suppé, es ebenfalls damit zu versuchen. Er komponierte etliche Ein- und Zweiakter, die großen Beifall fanden, wie Das Pensionat und Die Wunderkinder aus California. Die Kritik rühmte die Schlagfertigkeit seiner Musik, den kunstvollen Bau seiner schmissigen Ouvertüren und die dramatische Spannkraft seiner Ensembleszenen. Suppé verband geschickt die Klangreize des italienischen Belcantos mit dem Wiener Walzer- und Marschmilieu.

Moderner Schreiopernstil

Ein wichtiger Partner für Suppé war der Schauspieler, Theaterleiter und Schriftsteller Karl Treumann. 1860 eröffnete Treumann in Wien das Theater am Franz Josephs-Quai, das er bis zu dessen Zerstörung durch einen Brand 1863 leitete. Dort und später während seiner Direktion am Carl-Theater setzte Treumann neben französischen Operetten wie die österreichische Erstaufführung von Offenbachs Orpheus in der Unterwelt auch Bühnenwerke von Franz von Suppé auf den Spielplan. Die Uraufführung des Einakters Die Kartenschlägerin am 26. April 1862 fand als dreiteilige Benefizvorstellung für den damals sehr beliebten Komiker Wilhelm Knaack statt. Die erste Aufführung wurde umrahmt von dem Lustspiel Die Schauspielerin nach Fournier von W. Friedrich und dem Schwank Monsieur Hercules von Georg Belly. Die Uraufführung von Suppés Einakter stieß auf wenig Begeisterung. Die Wiener Abendpost schrieb: „Herr Suppé verfällt jeden Augenblick in den modernen Schreiopernstil. Gar keine große Trommel, viel weniger Blech, keine endlosen Nummern, dagegen mehr Zartheit und Feinheit, etwas Humor und Anmut, eine größere Anwendung des Parlandogesanges – und der Erfolg bliebe nicht aus. Gerade Herr Suppé wäre zu diesem Genre berufen wie wenige.“

Die Aufführung in Graz

Ob sich Suppé diese Kritik zu Herzen genommen hat? Jedenfalls konnte er schon wenige Monate später mit der Operette Zehn Mädchen und kein Mann die Zuschauer und die Presse davon überzeugen, dass er durchaus zu den Berufenen gehörte. 1864 arbeitete Suppé seine Operette Die Kartenschlägerin für das Thalia-Theater in Graz um. Er erweiterte sie zum Zweiakter, den er als Komische Oper bezeichnete und mit dem neuen Titel Pique Dame versah. Die Grazer Uraufführung fand am 20. Juni 1864 „unter persönlicher Leitung des Compositeurs“ statt. Vor der Pause spielte das Ensemble des Thalia-Theaters den Schwank Eine Ehestandscene vor Gericht. In der Partie der Wahrsagerin Judith, die in Pique Dame mit Spielkarten einen Blick in die Zukunft wirft und auch zum Personal der Kartenschlägerin gehörte, wurde in der Grazer Tagespost am 20. Juni 1864 in einer Vorankündigung ein „Frl. Materna“ genannt. Gemeint war damit die Opernsängerin Amalie Materna, die nach ihrer Ausbildung in Graz am Thalia-Theater debütiert hatte. Als Franz von Suppé ihr vom Orchesterpult aus die musikalischen Einsätze gab, ahnte er nicht, dass Amalie Materna nur zwölf Jahre später im Jahr 1876 von Richard Wagner nach Bayreuth berufen wurde, um bei den ersten Festspielen im Ring des Nibelungen die Brünnhilde zu singen. 1882 wirkte die Sängerin, die später ein geschätztes Mitglied der Wiener Hofoper war, auf dem Grünen Hügel als Kundry in der Uraufführung von Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal mit.

Gute Kritiken

„Frl. Materna brachte wieder sehr schöne Töne“, schrieb der Kritiker der Tagespost am 23. Juni 1864 über ihre Mitwirkung in der Uraufführung von Pique Dame, um sich dann Suppé und seinem Werk zu widmen. „Die gestern zur Aufführung gelangte komische Oper Suppés wurde vor dem nicht vollen, aber ganz hübsch besetzten Hause sehr gut aufgenommen. Es wurde die Ouvertüre zur Wiederholung verlangt, und der Componist, der die Aufführung persönlich leitete, mit den Sängern besonders lebhaft am Schlusse gerufen. So viel über den äußeren Erfolg. Suppé hat da wieder eine recht frische, melodiöse Musik geschrieben, die sich in der Mehrzahl der Nummern dem modernen italienischen Stile zuneigt, und im ganzen eine tüchtige Factur weiß, aber so recht Packendes fanden wir – vielleicht einige Motive der Ouvertüre, des wirksamsten Musikstückes, und allenfalls des Bachanals im 2. Acte ausgenommen – dann doch nicht.“ Vor allem das Textbuch hinterließ beim Kritiker keinen guten Eindruck. „Wäre übrigens diese musikalische Dotation einem guten Buche zu Theil geworden, so würde der Eindruck des Ganzen sicher ein sehr befriedigender sein; aber das Buch (von S. S.?) theilt das Schicksal der meisten seiner Kollegen.“

Operette nach Puschkin?

Da Suppés Bühnenwerk den Titel Pique Dame trägt, liegt die Vermutung nahe, dass es sich dabei um eine Operettenfassung der Novelle Pique Dame von Alexander Puschkin handeln könnte. Doch weder Otto Keller erwähnt den möglichen Rückgriff auf diese literarische Vorlage in seinem 1905, zehn Jahre nach Suppés Tod erschienenen Buch Franz von Suppé. Der Schöpfer der Deutschen Operette, und auch Otto Schneidereit weist in seiner 1977 erschienenen Biografie Franz von Suppé. Ein Wiener aus Dalmatien nicht darauf hin. Einer Ankündigung in der Wiener Zeitung am 26. April 1862 zur Kartenschlägerin, in der auch die gesamte Besetzung aufgelistet war, ist nur zu entnehmen „Komische Oper in 1 Akt, Musik vom Kapellmeister Franz von Suppé“. Ein Librettist wird nicht genannt. Bei der Aufführung in Graz wurde in einer ähnlichen Annonce in der Tagespost statt des Namen eines Librettisten das Kürzel „S. S.“ vermerkt, das auch auf dem Klavierauszug steht. Möglicherweise verbirgt sich dahinter der Theaterdirektor Karl Treumann, da er auch als Textdichter gearbeitet hat. Julius Kromer schrieb in seiner 1941 in Wien erschienenen Dissertation Franz von Suppé. Leben und Werk: „Treumann hatte aus dem Französischen ein Stück übersetzt, dem er den deutschen Titel Die Kartenschlägerin gab. Die Kartenschlägerin sank rasch in die Versenkung zurück, um zwei Jahre später am Thalia-Theater in Graz erneut aufzutauchen. Man hatte versucht, den Stoff umzuarbeiten und hatte auch einen neuen Titel gewählt: Pique Dame. Aber alles half nichts! Was damals allein gefiel und was sich bis heute erhalten hat, war und ist wieder einmal jener Teil der Musik, der losgelöst vom Text ist: die Ouvertüre. Sie trägt beste Suppésche Marke.“ Andererseits könnte es sich bei S.S. auch um den Librettisten Sigmund Schlesinger handeln, der für Suppé bereits 1858 den Text zur Operette „Nach der Stadterweiterung“ schrieb. Wer also der Textdichter sowohl von Die Kartenschlägerin als auch von Pique Dame war und welche Vorlagen er letztendlich benutzte, lässt sich bei der derzeitigen Quellenlage nicht endgültig sagen.

Köln als Schauplatz der Handlung

In Suppés Operette Pique Dame, die in Köln spielt, hat sich der arme Leutnant Emil in die junge Hedwig verliebt, die Tochter einer reichen Witwe. Zu Beginn des ersten Akts erfährt Emil, dass Judith nicht seine Mutter ist, wie er angenommen hatte, sondern nur seine Pflegemutter. Sie ist eine Wahrsagerin und will ihm helfen, mit Hedwig den Bund fürs Leben zu schließen. Aber auch Hedwigs Vormund, der Privatier Fabian Muker, macht sich Hoffnungen, das junge Mädchen zu heiraten und an ihr Geld zu kommen. Judith legt Muker die Karten, wobei sie ihn mit der Spielkarte Pique Dame und damit verbundenen düsteren Prophezeiungen erschreckt. Dann lockt Judith ihn auf einen Kostümball. Dort wird nach allerlei Intrigen und Maskenscherzen Muker bloßgestellt. Emil stellt sich als sein Neffe heraus und bekommt seine von Muker verwaltete Erbschaft ausbezahlt. Hedwig und Emil werden endlich ein Paar.

Drei, Sieben, As

Vergleicht man den Inhalt der komischen Oper von Franz von Suppé mit der Handlung von Puschkins Novelle, fallen Unterschiede auf. Der verschuldete Spieler Hermann erfährt im ersten Kapitel, dass die alte, bei Puschkin namenlose Gräfin *** ein Geheimnis hütet. Sie kennt drei Spielkarten, die immer gewinnen. Der Offizier Hermann macht deshalb ihrer Pflegetochter Lisaweta den Hof, um in die Nähe der Gräfin zu kommen. Eines Abends überrascht er die Alte nach einem Ball in ihrem Schlafzimmer und bedroht sie mit einer Pistole. Die Gräfin stirbt vor Schreck, bevor sie ihm die drei Karten nennen kann. Puschkin schildert, wie sie kurze Zeit später Hermann in der Nacht erscheint. „Ich bin gegen meinen Willen zu dir gekommen“, sagte sie mit fester Stimme, „doch mir ist aufgetragen worden, deine Bitte zu erfüllen. Mit der Drei, der Sieben und dem As wirst du hintereinander gewinnen – doch unter der Bedingung, dass du nicht mehr als eine Karte in vierundzwanzig Stunden setzt und danach dein ganzes Leben nicht mehr spielst. Ich vergebe dir meinen Tod, wenn du meine Pflegetochter Lisaweta heiratest...“ Im letzten Kapitel von Puschkins Novelle vertraut Hermann den geheimnisvollen Karten, aber im dritten Spiel, in dem er seinen gesamten Gewinn einsetzt, liegt statt des versprochenen Asses die Pique Dame auf dem Spieltisch. Er verliert alles. „In diesem Augenblick schien ihm, dass die Pique Dame ein Auge zukniff und höhnisch lächelte.“

Dämonische Kräfte

Alexander Puschkins 1834 erschienene Novelle, die dreißig Jahre vor Suppés gleichnamiger Operette entstand, wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für eine Leserschaft geschrieben, bei der Geister- und Gespenstergeschichten sehr beliebt waren. Auch in den damals bekannten Balladen wie beispielsweise Der Erlkönig von Johann Wolfgang von Goethe waren geisterhafte Erscheinungen wie Vampire, Hexen und übersinnliche Mächte allgegenwärtig. Ebenso zeigten die Komponisten auf der Opernbühne Interesse an dämonischen Kräften. In Richard Wagners Musikdrama Der Fliegende Holländer singt Senta eine Ballade über den bleichen Mann, in Heinrich Marschners Oper Der Vampir treibt ein Blutsauger sein Unwesen, und auch Carl Maria von Weber ließ in seiner Oper Der Freischütz geheimnisvolle Kräfte walten. In anderen Opern des 19. Jahrhunderts tauchten Wahrsagerinnen und Kartenlegerinnen auf. In der Oper Ein Maskenball von Giuseppe Verdi ist es Ulrica, die Schreckliches zu verkünden hat, und die Titelheldin in Bizets Oper Carmen legt sich selbst die Karten und liest daraus ihren Tod. Die alte Gräfin, die bei Puschkin das Geheimnis der Spielkarten hütet und schließlich als Geist auftaucht, wurde 1890 von Peter Tschaikowsky in seiner Oper Pique Dame in eine eindrucksvolle Bühnenfigur verwandelt.

Mit wildem Hohn

Auch in Suppés komischer Oper Pique Dame zeigen sich Elemente des Übersinnlichen im Form einer Kartenschlägerin und einige Motive aus Puschkins Novelle finden sich – wenn auch in abgewandelter Form – wieder. Anstelle der unheimlichen Gräfin tritt Judith, deren Kartenlegerei bei Suppé aber nicht zu ihrem Tod führt. Und dennoch wird die Nähe zu Puschkin deutlich: Ein Wahrsagebuch klärt über die Bedeutung der Spielkartenfarbe Pique Dame auf. Die Pique Dame bedeutet versteckte Feindseligkeit – und so überrascht es nicht, dass Judith dem geldgierigen Muker gerade diese Karte auf den Tisch legt. „Doch mit wildem Hohne die Pique Dame nicket, und ihr dräuend Auge bitt’re Rache blicket!“, singt sie bei Suppé. Dem Offizier Hermann begegnen wir als mittellosen Leutnant Emil wieder, der sich aber nicht bereichern, sondern nur die Hand von Hedwig gewinnen möchte. Er ist ein Pflegesohn, ähnlich wie bei Puschkin Lisaweta eine Ziehtochter ist.

Die Freude lacht

Bei Puschkin ist das Ende von Hermann tragisch. „Hermann verlor den Verstand. Er sitzt im Obuchow-Krankenhaus, Zimmer siebzehn. Er reagiert auf keine Frage und murmelt nur ungewöhnlich schnell: Drei, Sieben, As! Drei, Sieben, Dame!...“ Da das Genre der Operette aber in heiteren Gefilden angesiedelt ist, näherten sich Suppé und sein bislang unbekannt gebliebener Librettist eher dem vorletzten Satz der Puschkinschen Novelle an: „Lisaweta heiratete einen sehr liebenswürdigen jungen Mann; er besitzt ein beachtliches Vermögen.“ So wendet sich in Suppés Pique Dame letztlich alles zum Guten. „Aus den Augen mit Macht die Freude lacht“ heißt es im Schlussgesang – und der Vorhang fällt.