Samstag, 26. Dezember 2009


Gaëtano Donizetti ROBERTO DEVEREUX


Die Entstehungsgeschichte der Oper Roberto Devereux war von einer schweren Krise im Leben von Gaëtano Donizetti überschattet, der im Alter von 39 Jahren bereits 56 Opern komponiert hatte, darunter die erfolgreichen Bühnenwerke Anna Bolena (1830), L’elisir d’amore/Der Liebestrank (1832) und Maria Stuarda (1835).

Abschiedsgesänge

Doch das Jahr 1837, in dem Donizetti Roberto Devereux schrieb, hatte mit der Uraufführung der opera seria Pia de‘ Tolomei in Venedig im Teatro Apollo nur wenig verheißungsvoll begonnen. Einzig Guiseppina Strepponi, die später die zweite Frau von Giuseppe Verdi wurde, konnte als unglückliche Pia einen persönlichen Erfolg feiern. Die Oper dagegen wurde von den Kritikern ungnädig aufgenommen. Im Vorjahr waren zudem die Eltern von Donizetti gestorben und auch die vom Komponisten geschätzte, berühmte Sängerin Maria Malibran, die 1835 in Mailand als Maria Stuarda gefeiert wurde, war verschieden. Bevor Donizetti mit der Komposition zu Roberto Devereux begann, schrieb er zunächst das Vorspiel zu einer Gedenkkantate für eine Zeremonie zu Ehren der Sängerin an der Scala, in der er auch die Trauer über den Verlust seiner Eltern verarbeitete.

Depressionen

Im Juni 1837 gebar ihm seine Frau Virginia zum zweiten Mal einen Sohn, der wie der erste gleich nach der Geburt starb. Es war ein schwerer Schlag für Donizetti, als auch noch seine Gattin an den Folgen der Geburt am 30. Juli 1837 verstarb. In seinen Briefen an ihren Bruder Antonio aus dieser Zeit zeigte sich Donizetti zutiefst deprimiert: „Ohne Vater, ohne Mutter, ohne Frau, ohne Kinder...Wozu arbeite ich denn weiter? Warum? Ich werde unglücklich bleiben...Du bist der einzige, der mir geblieben ist, bis sie bei Gott Fürsprache für meinen Tod und unsere ewige Wiedervereinigung eingelegt hat.“ Freunde zogen in Donizettis Wohnung in Neapel ein, um einen möglichen Selbstmord zu verhindern, während in der Stadt auch noch eine Cholera-Epidemie wütete, der viele Bekannte zum Opfer fielen. Als dann die schrecklichen privaten Ereignisse etwas von ihrer ersten Kraft verloren hatten, wandte sich Donizetti wieder dem Komponieren zu. Er hatte dem Teatro San Carlo in Neapel für den September 1837 eine dreiaktige Oper versprochen - sein 57. Bühnenwerk mit dem Titel Roberto Devereux.

Historische Quellen

Der Textdichter Salvatore Cammarano benutze für sein Libretto, in dessen Mittelpunkt Elisabeth I. von England stand, verschiedene Quellen. Er stützte sich auf die Tragödie Elisabeth d’Angleterre von Jacques Ancelot von 1829, der er Motive aus Histoire secrète des amours d’Elisabeth et du comte d’Essex hinzufügte, in der Jacques des Maisons 1787 das Privatleben von Königin Elisabeth als eine pikante Enthüllungsgeschichte aus dem Umfeld gekrönter Häupter phantasievoll ausschmückte. Für die endgültige Fassung des Librettos schrieb Cammarano noch einige Szenen aus einer Textdichtung für die Oper Il Conte d’Essex ab, die Felice Romani 1833 für Saverio Mercadante verfasst hatte.

Oper für Weltstars

Am 9. Oktober 1837 begannen die Proben und bereits am 29. Oktober wurde Roberto Devereux in Neapel uraufgeführt. Die Weltpremiere war ein beachtlicher Erfolg. Nach der Premiere mit Giuseppina Ronzi de Begnis und Giovanni Basadonna wurde das Werk überall in Italien nachgespielt, in Venedig am Teatro La Fenice 1838, an der Mailänder Scala 1839. Bei der Erstaufführung von Roberto Devereux 1838 in Paris trat Giulia Grisi auf, in London wurde 1842 Erminia Frezzolini gefeiert. Nach der deutschen Erstaufführung in Berlin 1841 und der amerikanischen Premiere in New York 1849 geriet die Oper in Vergessenheit, und wurde erst in den 50er-Jahren des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt. Besonders erfolgreich waren Leyla Gencer in Neapel 1964, Beverly Sills zusammen mit Placido Domingo 1970 an der New Yorker City Opera und Montserrat Caballé 1977 an der Seite von José Carreras in Aix-en-Provence. Edita Gruberova sang die Elisabetta nach ihrem Partiedebüt in Barcelona im Jahr 1990 zuletzt 1997 und 1998 in Zürich sowie seit 2000 mehrfach an der Wiener Staatsoper gesungen.

Eine einsame Königin

Elisabeth I. (1533-1603), Königin von England und Irland, war die Tochter König Heinrichs VIII. und seiner zweiten Gemahlin, Anne Boleyn. 1536 ließ Heinrich durch einen Parlamentsbeschluss seine Ehe mit Anne Boleyn für ungültig erklären, um seine dritte Frau, Jane Seymour, ehelichen zu können. Mit Zustimmung des Parlaments setzte er seinen Sohn aus der Ehe mit Jane Seymour, der spätere Eduard VI., an die erste und seine Tochter aus seiner Ehe mit Katharina von Aragonien, die spätere Maria I. Tudor, an die zweite Stelle der Thronfolge. Elisabeth ließ er für illegitim erklären. Ein Parlamentsbeschluss von 1544 reihte Elisabeth jedoch wieder in die Thronfolge ein. Nach dem Tod ihres Vaters und ihrer Schwester wurde Elisabeth 1558 Königin von England. Bei ihrer Thronbesteigung war England von konfessionellen Machtkämpfen zerrissen, die Wirtschaft des Landes war schwer angeschlagen – nicht zuletzt wegen des unheilvollen Kriegs mit Frankreich. All diese Schwierigkeiten konnte Elisabeth dank ihrer Intelligenz, ihres Scharfsinns sowie ihres diplomatischen Geschicks überwinden. Mit ihrer von Nationalgeist geprägten Politik ebenso wie mit ihrer schillernden Persönlichkeit machte sich Elisabeth bei ihren Untertanen sehr beliebt. Seit Beginn ihrer Regierungszeit war Elisabeths Ehelosigkeit ein politisches Problem – es gab keinen Thronfolger. Das Parlament versuchte vergebens, die Königin zu einer Heirat zu bewegen – Elisabeth lehnte ab mit der Begründung, sie habe vor, als Jungfrau zu leben und auch so zu sterben. Dennoch hatte sie Favoriten, darunter Robert Dudley, Sir Walter Raleigh und Robert Devereux, die sie je nach der politischen Lage auswählte. Einen bitteren Beigeschmack bekam die Endphase von Elisabeths Regierungszeit nicht nur durch die bekannten Ereignisse um ihre katholische Kusine Maria Stuart, Königin von Schottland, sondern auch durch den blutigen und kostspieligen Krieg gegen den Aufstand in Irland, der in der Oper Roberto Devereux den politischen Hintergrund bildet.

Herzensangelegenheiten

Abgesehen von ihren politischen Verdiensten stand Elisabeths Privatleben immer wieder im Interesse der Öffentlichkeit. Klatsch und Tratsch blühten schon zu ihren Lebzeiten, und so wundert es nicht, dass allein Donizetti sie drei Mal zur Hauptfigur seiner Opern erkor, in der sie in amouröse Affären verwickelt war. Dass trifft weniger auf die 1835 uraufgeführte Oper Maria Stuarda zu, in der Elisabeth hauptsächlich in ihrem politischen Konflikt mit Maria Stuart gezeigt wird, sondern vor allem auf Roberto Devereux und auf die nur wenig bekannte opera seria von Donizetti Il Castello di Kenilworth, die in Neapel 1829 zum ersten Mal gespielt wurde. War Elisabeth in Maria Stuarda noch ein Mezzosopran und von der szenischen Wertigkeit der schottischen Königin untergeordnet, so nimmt sie in Il Castello di Kenilworth als Sopran die herausragende Stellung innerhalb der Handlung ein: Robert Dudley, der Graf von Leicester, hat Elisabeth die Hochzeit verweigert und Amy geheiratet, ohne aber auf die Königin verzichten zu wollen, die sich aber schließlich endgültig von ihm lossagt, um sich ihren Regierungsaufgaben zu widmen. In der Mischung aus Herzensangelegenheiten und historischen Tatsachen steht Roberto Devereux dramaturgisch zwischen den beiden anderen Elisabeth-Opern von Donizetti. Wie Maria Stuart und Robert Dudley treten auch hier historisch verbürgte Figuren auf. Sir Walter (Gualtiero) Raleigh (1554 - 1618), englischer Seefahrer und Schriftsteller, wurde am Hof als Experte für irische Fragen geschätzt und erwarb sich die Gunst der Königin. Raleigh wurde zum Ritter geschlagen und galt als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten Englands. Auch Robert Devereux (1566 - 1601) gehörte zu Elisabeths engsten Beratern und intimsten Freunden. Das gute Verhältnis zerbrach, als Devereux sich im Aufstand der Iren der Königin widersetzte, und als Statthalter in Irland mit den Rebellen in Eigenverantwortung einen Waffenstillstand schloss. Devereux wurde deshalb 1601 hingerichtet. Sein Gegenspieler in der Geschichte als auch in der Oper war Charles Howard (1579 - 1642), der in Roberto Devereux seinem adligen Titel gemäß als Herzog von Nottingham auftritt. Er ist in den Annalen seiner Epoche als Intrigant und machthungriger Emporkömmling charakterisiert. Zur Zeit der Handlung der Oper war Charles Howard mit Charity Witt verheiratet, so dass davon auszugehen ist, dass es sich bei der Figur der Sara Nottingham um eine Erfindung des Librettisten handelt.

Sehnsüchtige Empfindungen

Aus diesem Geflecht von geschichtsträchtigen Ereignissen und historischen Figuren baute Cammarano sein Libretto zu Roberto Devereux. Im Gegensatz zur Oper Lucia di Lammermoor, in der Donizetti der tragischen Handlung gemäß auf Stimmungsmalerei im Geist der deutschen Romantik zurückgriff, sind in Roberto Devereux die Ebenen von Öffentlichkeit und privater Sphäre ein deutlicher Hinweis auf die vom französischen Vorbild bestimmten Idee, das Drama rein auf den ausgetragenen Konflikt der vier Hauptakteure zu reduzieren. Der Focus der Handlung liegt auf der Verschränkung der Schicksale zwischen den engen Freunden Devereux und Nottingham einerseits, und den rivalisierenden Frauen Elisabeth und Sara andererseits. Alle Nebenfiguren liefern nur Stichworte, der Chor ist auf eine passive Teilnahme reduziert.

Menschliche Schicksale

Unter weit gehendem Verzicht auf ausgedehnte Chornummern und Ensembleszenen wird Roberto Devereux zum Drama der ineinander verklammerten menschlichen Schicksale, das sich vorwiegend in der Selbstaussprache der Figuren oder in Einzelbegegnungen und weniger in musikalischen Tableaus vollzieht. Indem Donizetti den Anspruch Verdis auf die musikalische Wahrheit des Gefühls aufgriff, wurde jede Wendung der Musik auf die jeweilige Empfindungslage der handelnden Personen bezogen. Das Orchester illustriert dabei nicht den szenischen Fortgang, sondern charakterisiert im Wechsel verschiedener Soloinstrumente das Empfinden und die Seelenzustände der Akteure. Das Ergebnis ist eine historische Kammeroper, getragen von vier gleichermaßen anspruchsvollen Sängerpartien in den Hauptstimmlagen, und einer Fülle von gleichrangigen, in sich raffiniert gesteigerten Gesangsnummern. Der Bogen spannt sich vom Vorspiel mit einem Zitat der englischen Königshymne bis zur dramatischen Schlussszene der Elisabetta, in der Donizetti auf die Zurschaustellung eines gesanglichen Feuerwerks verzichtet. Er zeigt stattdessen in der Finalszene ein komplexes Portrait einer gebrochenen Frau, das von tiefen Emotionen geprägt ist, und in dem Ausruf gipfelt „Ich herrsche nicht, ich lebe nicht“. Elisabetta wird zur tragischen Heldin, die ihr Liebesglück zugunsten der Staatsraison opfert. Donizetti und Cammarano schufen damit ein überzeugendes Portrait der historischen Elisabeth, das obwohl im trivialen Rahmen angesiedelt, der historischen Wahrheit näher kommt, als in seinen anderen Elisabeth-Opern, und in den Werken anderer Komponisten wie Gioachino Rossini in Elisabetta, Regina d’Inghilterra (1815) und Benjamin Britten in Gloriana (1953), die ebenfalls versuchten, Elisabeth I. musikalisch zu charakterisieren.