Freitag, 25. Dezember 2009


Cole Porter ANYTHING GOES


Leinen los! Ein Luxusdampfer sticht in See! Die Reisenden singen begeistert: „Anything Goes“ - „Alles ist möglich“ – und auf der Schiffsreise von New York nach London sind dabei: Reno Sweeney, die sinnlichste Predigerin der Welt, und der schrullige Engländer Sir Oakleigh. Auch die verarmte Mrs. Harcourt hat sich auf dem sonnigen Promenadendeck eingefunden, begleitet von ihrem Hündchen und ihrer reizenden Tochter Hope. Nicht auf der Passagierliste stehen dagegen Billy Crocker, ein verliebter blinder Passagier, und Moon-Face Martin, ein entflohener Sträfling. Billy liebt die hübsche Hope, die flotte Sängerin Reno hat ein Auge auf den reichen Sir Oakleigh geworfen, doch der Gangster Moon-Face Martin stiftet Verwirrung: Die Paare geraten in stürmische See, verkrachen sich, doch als das Schiff in London anlegt, ist alles wieder in Ordnung.

I Get A Kick Out of You

Zu dieser amüsanten Seereise komponierte Cole Porter eine schmissige Musik, die eine Fülle von Hits enthielt, darunter I Get A Kick Out of You. Die Uraufführung war 1934 ein rauschender Erfolg. Zu diesem Zeitpunkt war Cole Porter einer der beliebtesten amerikanischen Musicalkomponisten, der in den Dreißigerjahren gemeinsam mit George Gershwin, Jerome Kern, Irving Berlin und Richard Rodgers am Broadway tonangebend war. Wir verdanken Cole Porter mehr als 800 Songs, die er selbst textete und komponierte: Night and Day und You’re the Top wurden Welthits und Jazzstandards.

Night and gay

Geboren wurde Cole Porter 1891 in Peru, eine kleine Stadt im amerikanischen Bundesstaat Indiana. Sein Vater war durch den Besitz von Obstplantagen und Kohlengruben einer der reichsten Männer Amerikas. Noch bevor Cole Porter eine einzige Note schrieb, besaß er bereits ein Vermögen von sieben Millionen Dollar. Für Porter war die Komposition von Musicals daher ein angenehmer Zeitvertreib. Nie war er bei den Proben seiner Stücke anwesend, sondern unternahm währenddessen ausgedehnte Kreuzfahrten in der Südsee, gab Bälle in seinem venezianischen Palazzo oder empfing Künstler und Adlige in seinen Villen in Paris und an der Riviera. Doch ungeachtet seines Reichtums studierte er auf Wunsch des Vaters zunächst Jura in Yale, aber den größten Teil der Semester heimlich in musikwissenschaftlichen Seminaren verbracht. Während seiner Studienzeit vertonte Cole Porter seine ersten Songs als Schlachtgesänge für seine Footballmannschaft. Es folgten kleine musikalische Komödien für das Studententheater in Yale. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs lernte Cole Porter in Paris die charmante Linda Lee Thomas kennen. Sie ließ sich auf ein Arrangement ein, das ihr zwar keinen feurigen Ehemann bescherte, aber ein sorgenfreies Leben an der Seite eines des erfolgreichsten Broadwaykomponisten bot. Linda war weniger seine Ehefrau, als vielmehr seine beste Freundin. 1928 wurde in New York die erste abendfüllende Show von Cole Porter mit dem Titel Paris uraufgeführt. Irene Bordoni präsentierte darin mit dem Song Let’s Do It, Let’s Fall In Love seinen ersten Evergreen. In rascher Folge wurden weitere Musicals uraufgeführt. Die meisten auch seiner späteren Shows sind heute vergessen und werden nicht mehr aufgeführt. Überlebt haben dagegen ihre Hits wie You Do Something To Me aus Fifty Million Frenchmen (1929) und Love For Sale aus The New Yorkers (1930).

Premiere am Broadway

Am 21. November 1934 feierte Cole Porters neues Musical Anything Goes seine Premiere am Broadway und wurde ein Jahr lang vor ausverkauftem Haus gespielt. William Gaxton und Ethel Merman brillierten in den Hauptrollen, und Merman blieb es auch vorbehalten, den Titelsong zum Besten zu geben, der alsbald um die Welt gehen sollte – noch im selben Jahr nahmen gleich zwei prominente Orchester, nämlich Paul Whiteman und die Gebrüder Jimmy und Tommy Dorsey, Anything Goes auf Schallplatte auf. Mit You’re the Top und Buddy Beware enthielt die Show zwei weitere Hits, die heute noch gerne gehört werden. Zwei Jahre später verfilmte Paramount Pictures das Musical in Hollywood mit Bing Crosby und Ethel Merman in den Hauptrollen; eine zweite Verfilmung stellte im Jahr 1956 Mitzi Gaynor an die Seite von Bing Crosby, der erneut den Billy spielte. Die Bühnenfassung von Anything Goes begeisterte 1935 auch das Londoner Publikum und erlebte seither zahlreiche Revivals am New Yorker Broadway und im Londoner West End in überarbeiteten Fassungen, die mit Hits aus anderen Musicals von Cole Porter erweitert wurden. Die Deutsche Erstaufführung fand 1981 in Ludwigshafen statt und seitdem wird Anything Goes auch bei uns sehr oft aufgeführt.

Eleganter Swing

Der Verdienst von Cole Porter um das amerikanische Musical liegt darin begründet, dass er den Song revolutionierte. Im Gegensatz zu der bislang üblichen Praxis, eine Form mit sechzehntaktiger Vorstrophe und zweiunddreißigtaktigem Refrain zu wählen, experimentierte Porter mit ausufernden Refrains, die bis zu hundert Takte umfassten. Bei der zweiten Wiederholung wurde das Thema in einem raffinierten Wechsel zwischen Dur und Moll subtil verändert und variiert. Während seiner langen Karriere hat Porter wie die anderen Broadwaykomponisten mit Ausnahme von George Gershwin seine Musicals nicht selbst instrumentiert. Die Arbeit überließ er professionellen Arrangeuren wie Hans Spialek und Robert Russell Bennett, die auch für Anything Goes die Orchesterpartitur erstellten. Ihnen ist der typischen Cole-Porter-Sound verdanken, der wegen seiner Eleganz und seinem Esprit zeitlos geblieben ist.

Perfumes of Spain

Die Handlung zu Anything Goes verfassten die Broadway-Autoren Guy Bolton und P. G. Woodhouse in enger Abstimmung mit Porter. Die Idee dazu war dem Theaterproduzenten Vinton Freedley gekommen. Er hatte im Sommer 1933 mit seiner Frau eine Kreuzfahrt in die Karibik unternommen. Schon auf der Reise begann Freedley mit den Skizzen für eine musikalische Komödie über eine Gruppe exzentrischer Charaktere auf einem Vergnügungsdampfer. Diskussionen gab es um den Beginn der Show. Porter bestand darauf, nicht die übliche große Tanz- und Gesangsnummer zu schreiben, mit der sich das Tanzensemble und die Solisten vorstellen, sondern er ließ den großen Hit der Show I Get A Kick Out Of You bereits kurz nach der Ouvertüre erklingen. Porter hatte sich darüber geärgert, dass seine snobistischen Freunde aus der feinen New Yorker Gesellschaft den Zuschauerraum immer erst fünfzehn Minuten nach dem Öffnen des Vorhangs betraten. Porter fand dieses Benehmen sowohl gegenüber dem Publikum als auch den Künstlern zutiefst unhöflich; und er wies seine Freunde schon Wochen vorher darauf hin, dass sie pünktlich zu erscheinen hätten – sonst würden sie den besten Song dieser Show verpassen. Während der Proben zu Anything Goes musste nach Anweisung des Produzenten eine Stelle in I Get A Kick Out Of You allerdings geändert werden. Im ursprünglichen Text hieß es: „…some get a kick from cocaine...” Cole Porter, um Einfälle nie verlegen, lieferte diverse Alternativen wie „whiff of Guerlain“ und „perfumes of Spain“. Ein anderer bekannter Song der Show war You’re the Top. Der Ort, an dem Cole Porter zum ersten Mal über einen phantasievollen Text nachdachte und die Melodie summte, liegt in Deutschland. Im Frühling 1934 unternahm Cole Porter von Amerika aus eine Reise an den Rhein. In seinen Erinnerungen hieß es dazu: „Ich komponierte und textete ‚You’re the Top’, als ich mit einem Faltboot auf dem Rhein paddelte – und zwar nach einer Party, bei der meine Gäste versucht hatten, einander mit Superlativen zu übertreffen.“

Eindrucksvolle Ballladen

Auf Anything Goes folgten die Erfolgsstücke Jubilee (1935), in dem June Knight Begin the Beguine vorstellte, und Leave It to Me (1938), in dem Mary Martin den Schlager My Heart Belong to Daddy kreierte. Zwischendurch komponierte Porter einige Songs für Filmmusicals von MGM, in denen die Stars Eleonor Powell und Fred Astaire seine Lieder sangen und dazu hinreißend tanzten. Cole Porters Leben nahm eine unerwartete Wendung, als er 1937 vom Pferd fiel und sich beide Beine brach. Der Genesungsprozess erstreckte sich über zwei Jahre. Die Songs zu den Shows Panama Hattie (1940) und Let’s Face It (1941) zeigten, dass nach dem Unfall und den damit verbundenen Leiden Porters Verse und Melodien eine tiefere Dimension gewannen, wie die eindrucksvolle Ballade Ev’rytime We Say Goodbye I Die A Little aus dem Musical Seven Lively Arts (1944) bewies. Und da die Popularität von Cole Porter weiterhin ungebrochen war, drehte Michael Curtiz 1946 über den Broadway-Komponisten unter dem Titel Night and Day ein Filmmusical, in dem Cary Grant den berühmten Musicalkomponisten spielte. 1948 gelang Porter mit dem Musical Kiss me, Kate noch einmal ein weltweiter Erfolg.

True Love

Doch seine große Zeit war zu Beginn der Fünfzigerjahre vorbei. Er lebte zurückgezogen in einer Suite des Waldorf-Astoria-Hotels und war als Spätfolge seines Reitunfalls zeitweise auf den Rollstuhl angewiesen. Das ambitionierte Musical Out of This World, eine Variante des antiken Amphitryon-Stoffs, wurde am Broadway 1950 nach nur 157 Aufführungen abgesetzt. 1953 wurde mit mittlerem Erfolg sein Musical Can-Can uraufgeführt, das den Zauber des Paris der Jahrhundertwende heraufbeschwor. Den Song I Love Paris In The Springtime verwandelte Catarina Valente in der deutschen Fassung in einen ihrer größten Hits: Ganz Paris träumt von der Liebe. Und ein anderer deutscher Star feierte in einer Bühnenshow von Cole Porter große Erfolge: Hildegard Knef trat in New York 1955 als Ninotchka in dem von Cole Porter komponierten Musical Silk Stockings auf. Gegen Ende seines Lebens schrieb Cole Porter, der 1964 starb, für den Spielfilm High Society seinen allerletzten Welterfolg. In einer von Geigen untermalten Szene gleiten Grace Kelly und Bing Crosby auf einem Segelschiff über die See. Grace Kelly hat ihren Kopf in den Schoß von Bing Crosby gelegt, der das Akkordeon spielt, und höchst romantisch von der ewigen Liebe singt: True Love.