Alter Mann mit junger Frau
In seinem 51 Jahre dauernden Leben komponierte Gaëtano Donizetti siebzig Opern. Die Handlung seiner meisten Bühnenwerke kreist um Liebe, Wahnsinn und Tod. In seiner erfolgreichen komischen Oper „Don Pasquale“ geht es nur um Liebe, dennoch bleibt bei allem Spaß am Ende ein leicht bitterer Nachgeschmack: Don Pasquale beschließt, im Alter von siebzig Jahren endlich zu heiraten, wird an der Nase herum geführt und als lüsterner Alter verhöhnt. Die Oper kennt diese „alten Narren“, die sich in eine junge Frau verlieben. Mal werden ihre Gefühle tragisch geschildert, wie König Marke in Wagners Musikdrama „Tristan und Isolde“, mal komisch-grotesk wie in Rossinis Oper „Il barbiere di Sevilla“, in der Dr. Bartolo sein Mündel Rosina heiraten möchte. Die alten Herren werden verlacht, ihre spät aufflammende Liebe wird zur Zielscheibe des Spotts. Diese oft behandelte Thematik in Buffo-Opern des 18. und 19. Jahrhunderts hängt mit den damaligen gesellschaftlich-sozialen Gepflogenheiten zusammen, dass ein reicher alter Freier mehr Chancen hatte, ein junges Mädchen zu heiraten, als ein mittelloser junger Mann. Wenn alte Männer wie Don Pasquale verliebt sind, ging man davon aus, dass sie sich die Frau quasi „gekauft“ hätten. Ihre Liebe wird in Frage gestellt, ihre Sexualität herabgewürdigt. Die heiratswilligen älteren Männer werden zum Gegenstand von Spott und Hohn und müssen „geheilt“ werden, so auch in der 1810 an der Mailänder Scala mit Erfolg uraufgeführten Oper „Ser Marcantonio“ zurück, Libretto von Angelo Anelli, Musik von Stefano Pavesi.
Rasante Intrigen
Im Herbst 1842 reiste Donizetti nach Paris, um bei den Schlußproben seiner Oper 1842 in Wien uraufgeführten Oper „Linda di Chamonix“ anesend zu sein. Zudem hatte er bei Jules Janin, der neue Direktor des Théâtre Italien, einen Vertrag für eine opera buffa unterschrieben. Der Theateragent Angelo Accursi regte an, auf die Handlung der Oper „Ser Marcantonio“ zurückzugreifen. Anellis Operntext vom Hagestolz auf Freiersfüßen, den seine Umgebung durch eine grausame Komödie aus seinen Träumen reißt, greift in seiner Handlungsführung, bei der alle Intrigen dem Zuschauer Zug und Zug vorgeführt werden, sollte als Vorlage zur Oper „Don Pasquale“ dienen, ein zu dieser Zeit übliche Vorgehensweise, um bewährte Handlungsmuster mit einer anderen Musik erneut auf die Bühne zu bringen, und zugleich ein Rückgriff auf die Tradition der opera buffa mit ihren Verwechslungen und Schachzügen. Doktor Malatesta, ein vertrauter Freund spinnt eine Intrige zugunsten von Pasquales Neffen Enrico an. Enricos Auserwählte Norina wird zum Schein unter falschem Namen mit Don Pasquale verheiratet, der sich verheiraten möchte. Nach der Eheschließung verwandelt Norina in eine Furie und treibt dem Alten mit einer Ohrfeige das Eheleben dermaßen gründlich aus, dass Pasquale am Ende froh ist, dass sein Neffe sie heiratet und er wieder seine Ruhe hat.
Die Leiden des jungen Librettisten
Die textliche Einrichtung der neuen Oper übernahm Giovanni Ruffini, der seiner Mutter den Auftrag mitteilte: „Maestro Donizetti braucht einen aktiven Steinmetz für Verse, der das alte Libretto umarbeitet, streicht, ändert, zufügt, anklebt und wer weiß, was noch. Du weißt, was es für eine langwierige und langweilige Arbeit ist, alte Brote aufzubacken.“ Die Umarbeitung des Librettos für die komische Oper „Don Pasquale“ wurde für den Textdichter zur Nervenprobe. „Donizetti erwartet von mir, dass ich ihm Teile zum vertonen nicht jeden Tag, sondern jede Stunde bringe. Seine Begabung und Schöpferkraft sind enorm. Er kann dir ein langes Duett in einer Stunde hinlegen“, teilte Ruffini seiner Mutter mit. Der Textdichter war nicht glücklich, dass der Komponist wiederholt in sein Libretto eingriff, Umstellungen vornahm und Verse veränderte.
Saftige Rollen
Auch die Sänger, darunter Antonio Tamburini als Malatesta und Luigi Lablache als Pasquale, mischten sich ein. Zunächst forderte der gefeirte Sängerin Giulia Grisi, die für die Norina vorgesehen war und seit ihrer Mitwirkung in der Uraufführung von Bellinis Oper „Norma“ zu den großen europäischen Bühnenstars gehörte, eine zusätzliche Arie. Tamburini drohte damit, seine Mitwirkung in der Uraufführung abzusagen, indem er behauptete Lablaches Rolle sei saftiger als seine. Die Bemühungen, die Sänger zufriedenzustellen, bedeutete zusätzliche Arbeit. Der endgültige Text für „Don Pasquale“ war so weit entfernt von dem, was sich Ruffini vorgestellt hatte, dass er verlangte, dass sein Name auf dem Theaterzettel nicht genannt werde, und erklärte dies in einem weiteren Brief an seine Mutter: „Ich habe meinen Namen nicht dafür hergegeben, weil man verstehen muss, dass ich sozusagen die Arbeit nicht als die meine wiedererkenne, da sie in solcher Eile geschrieben und meine Handlungsfreiheit in gewissem Sinne von dem Maestro gehemmt wurde.“ Ruffini ließ sich die Arbeit am Libretto mit 500 Francs bezahlen und verzichtete in seinem Kontrakt mit dem Theater auf die Nennung seines Namens. Dieser Rückzieher ist einerseits in Ruffinins Abneigung gegen den Text zu werten – berechtigt aus rein literarischen gründen, aber unberechtigt, wenn man die endgültige Fassung der Verse nach musikalischen Grundsätzen beurteilt, andererseits versuchte der Dichter durch den Hinweis auf dem Theaterzettel, der Text sei von dem Librettisten M. A. (Maestro Anonimo) gegenüber den italienischen Behörden seinen Aufenthaltsort zu verschleiern. Giovanni Ruffini hatte sich 1834 neben seiner beruflichen Arbeit als Anwalt als Agitator für die die aufrührerische Freiheitsbewegung „Junges Italien“ eingesetzt. Durch Flucht entzog Ruffini sich der italienischen Gerichtsbarkeit, worauf er im Abwesenheitsverfahren zum Tode verurteilt wurde.
Komödie mit Tiefgang
Mit der Vertonung des Librettos begann Gaëtano Donizetti am 1. Oktober 1842. In einem Brief an seinen Schwager Antonio Vasselli schrieb Donizetti: „Ich gehe mit einer neuen Oper in die Proben, geschrieben für die Grisi, die mich elf Tage Mühe gekostet hat. Titel: Don Pasquale. Es ist der alte Marcantonio (aber sag es nicht weiter!).“ Donizetti und sein Librettist verlegten die Handlung nach Rom in die damalige Gegenwart. In dem Wunsch nach der Konkretheit seiner Gesellschaftskomödie knüpfte Donizetti an Mozarts Meisterwerk „Le nozze di Figaro“ an, dessen gesellschaftskritische Grundhaltung in der Geschichte der komischen Oper kaum fortgesetzt worden war. Donizetti und sein Librettist machten aus der Vorlage ein Gesellschaftsspiel für vier Personen, mit ständigem Wechsel zwischen typischen Szenen der opera buffa (wie die Szene der fingierten Eheschließung) und durchaus realistischen Szenen. Das Spiel um Don Pasquale ist nur vordergründig amüsant; es nimmt zuweilen fast nüchterne Züge an. An Norinas Liebe zu Ernesto ist nicht zu zweifeln, dennoch überrascht sie immer wieder durch ihre Bereitschaft und ihre Wandlungsfähigakt, das Ziel, die Heirat mit Ernesto, durch Täuschung und Lügen zu erreichen. Ernesto liebt Norina aufrichtig, selbst um den Preis, von seinem Onkel verstoßen und enterbt zu werden. Pasquale, der leidgeprüfte Held, ist in allen Stadien der Verliebtheit, der Angst, der Hilflosigkeit und der Unterwerfung lebendig gezeichnet. Selbst Doktor Malatesta, der kühl kalkulierende Drahtzieher, wird mitunter von Pasquales Leid ehrlich berührt. Er erweist sich nicht nur als Intrigant, sondern auch als erfahrener Mensch, der die Ehe eines alten Mannes mit einer jungen Frau verhindern möchte.
Klangvolle Kantilenen
Indem Donizetti für die Rezitative nicht mehr das früher obligatorische Tasteninstrument benutzt, sondern einen Streichersatz, wird aus der komischen Oper tradierter Art eine zeitgemäße Musikkomödie. Die Partitur ist sorgfältig gearbeitet, auch in der Instrumentation mit einer koloristischen Verwendung unterschiedlicher Instrumente wie Flöte, Glasharmonika, Bassklarinette und Harfe. Ein blühender Ziergesangstil stellt das musikalische Kammerspiel, das jeder derb-platten Komik aus dem Weg geht, dicht neben Rossinis „Il barbiere di Sevilla“. Dem Anliegen Donizettis, Komik und Tragik zu verbinden, entspricht die Musik auf der einen Seite, die sich reizvolle Kantilenen bereit hält, als auch reflektierend-melancholische Arien. Donizettis Fähigkeit, im Rahmen der opera buffa neben einer turbulenten Handlung, in der Pasquale durch die fingierte Ehe um sein Glück betrogen wird, auch ernsthafte menschliche Reaktionen zu schildern, zeigt sich in dem resignierten a-moll-Abschied „E finita, Don Pasquale“ nach der Ohrfeige. Selbst das glückliche Ende mit der Hochzeit von Norina und Ernesto kann nicht über die Einsamkeit Pasquales hinwegtäuschen, dem die Heiratslust durch ein böses Possenspiel ausgetrieben wurde.
Jubel bei der Uraufführung
Mitte Dezember 1842 war die Partitur beendet. Zwischendurch komponierte Donizetti während der Proben zur Pariser Erstaufführung seiner Oper „Linda di Chamonix“ eine zusätzliche Arie für die Sängerin Fanny Tacchinardi-Persiani, die Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ 1835 in Neapel zum Erfolg verholfen hatte. Während der Bühnenproben zur Uraufführung seiner neuen Oper „Don Pasquale“ wurde Donizetti zum Mitglied der Pariser Académie Royale des Beaux-Arts ernannt. Der Komponist sah der Premiere mit Zuversicht entgegen, doch außer dem Komponisten setzte niemand Vertrauen in die neue Oper. Die Stimmung unter den aufeinander eifersüchtigen Solisten war eisig, die Orchestermitglieder machten laut Bemerkungen über die ihrer Meinung nach schlechte Musik. Die mit Spannung erwartete Uraufführung im Pariser Théâtre Italien am 3. Januar 1843, genau einen Tag nach der Uraufführung von Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“ in Dresden, wurde für Donizetti zum Triumph. Etienne-Jean Délécluze schrieb im „Journal des débats“: Seit Bellinis I Puritani hat keine speziell für das Théâtre Italien komponierte Oper einen lauteren Beifall errungen. Vier oder fünf Nummern mussten wiederholt werden, die Sänger herausgerufen, der Maestro herausgerufen, alles in allem ein Beifallssturm, der in Paris für die wirklich großen Komponisten reserviert wird.“ Auch Giovanni Ruffini schrieb am Tag nach der Uraufführung an seine Mutter: „Wir, – sieh wie viel Eitelkeit in dem wir steckt – hatten einen succès fou.“ Ruffinis Begeisterung kühlte sich ab, als Donizetti wenige Tage nach der Uraufführung seinen Textdichter damit beauftragte für das Duett zwischen Pasquale und Malatesta einen neuen Text zu schreiben und dem Schlussrondo ein paar Zeilen hinzuzufügen. Der Komponist war mit sich zufrieden. An seinen neapolitanischen Jugendfreund Tommaso Persico berichtete er: „Ich bin selbst verblüfft, aber so ist es nun: 19.000 Frans in elf Tagen Mühe! Ein Glückstreffer.“