Freitag, 25. Dezember 2009



DER TENOR MAX ALVARY





Andreas Achenbach war sein Vater, doch der Sohn wurde nicht Maler, sondern Opernsänger. Max Alvary wurde an der New Yorker Metropolitan Opera als Wagnersänger gefeiert und wirkte auf Wunsch von Cosima Wagner bei den Bayreuther Festspielen mit, bis er nach einem tragischen Bühnenunfall seine Karriere frühzeitig beenden musste. Als er starb, war das Grammophon noch nicht erfunden, so dass es von ihm keine Aufnahmen gibt.

Geboren in Düsseldorf
Am 3. Mai 1851 wurde Max Alvary als Maximilian Achenbach in Düsseldorf geboren. Er war der Sohn des Malers Andreas Achenbach, der gemeinsam mit seinem Bruder Oswald führend in der Düsseldorfer Malerschule war. Vera von Falkenhayn, die Nichte von Max Alvary, hat in ihren in den Dreißigerjahren veröffentlichten Lebenserinnerungen dem berühmten Mitglied der Familie Achenbach ein eigenes Kapitel gewidmet: „Die frommen katholischen Eltern gaben Max in die Schule der Jesuitenpater nach Vaugirard bei Paris, wo seine ungemein vollklingende Stimme im Chor der Knaben schon auffallen sollte. Später erhielt er in einem Internat in der Nähe von London weitere Fortbildung. Seine vom Vater ererbte zeichnerische Begabung ließ den Beruf des Architekten aussichtsvoll erscheinen. So trieb Maximilian Achenbach seine Studien am Polytechnikum in Aachen, nur durch den Militärdienst bis zum Vizewachtmeister bei den Düsseldorfer Husaren unterbrochen. Der zuerst erwählte Beruf des Architekten gestaltete sich schnell erfolgreich. Schon der blutjunge Maximilian baute selbstständig Villen am Rhein und machte von sich reden. Mehr jedoch sprach man von dem bezaubernd weichen und doch klangvollen Tenor des jungen Mannes, dessen Gesangs- und Spieltalent sich zunächst im Kreis seiner Freunde und geselliger Veranstaltungen offenbart hatte, bald jedoch die Grenzen des Laienhaften weit hinter sich lassen sollte. Bei dem, auf Anraten seiner begeisterten Zuhörer nun gefassten Entschluss, Sänger und gar Bühnendarsteller zu werden, stieß er auf den gewaltigen und jahrelang schwer zu versöhnenden Widerstand seines Vaters Andreas. Kaum ist zu verstehen, dass ein großer Künstler nicht die Neigung respektieren wollte. Andererseits ist ein Vater, der bereits sorgsamste und kostspielige Ausbildung zuteil werden ließ, nicht zu verurteilen, wenn er den endlich begonnen Beruf eines Architekten keinesfalls mit dem Ungewissen einer Künstlerkarriere vertauscht sehen möchte, und deshalb seinem Sohn zu neuer Lehre Zustimmung und Mittel verweigerte. Zudem war mein Großvater kein Freund der Theater, wie sie die damalige Zeit repräsentierte. Manche seiner Karikaturen von Sängern, riesiger Bassisten, die im Keller versinken, und dicker weichlicher Tenöre, die ängstlich zum hohen C hinaufklettern müssen, bewiesen diese Auffassung im Skizzenbuch, in das er zur Bekräftigung noch die oft lächerlichen Texte einer frühen Opernliteraturepoche hineinschrieb. Es wäre aber kein göttlicher Funke, der sich sein Sprühen verbieten ließe, weil in der bisherigen Entfaltungsmöglichkeit nicht alles vollkommen war. Max Achenbach hing seinen Architekturberuf an den Nagel und lernte singen. Mit der gütigen Großmutter Lichtschlag im Komplott ließen sich auch ohne Einwilligung des Vaters die Gelder zum Studium in Mailand beim großen Meister Lamperti beschaffen. Es folgten anschließend die Lehren beim berühmten deutschen Gesangspädagogen Julius Stockhausen in Frankfurt am Main.“
Konflikt mit dem Vater
Mit 22 Jahren verlobte Maximilian Achenbach sich mit der 15-jährigen Thekla Thomas, die er in Düsseldorf kennen lernte. 1879 heirateten sie gegen den ausdrücklichen Willen beider Familien. Es wurde für Maximilian Achenbach Zeit, eigenes Geld zu verdienen. Nach einem Vorsingen an der Hofbühne in Weimar gab ihm die dortige Intendanz die Gelegenheit zu einem „ersten theatralischen Versuch“. Der junge Tenor lernte die Partie des Alessandro Stradella in der gleichnamigen Oper von Friedrich von Flotow innerhalb von acht Tagen auswendig. Bei seinem Debüt nannte er sich zunächst Max Anders, um bei einem eventuellen Misserfolg den guten Namen seines Vaters nicht zu gefährden. Aber er hatte Erfolg und wurde nach der Probe-Vorstellung an die Weimarer Bühne engagiert. Andreas Achenbach, der von diesen Vorgängen erfuhr, war bitter gekränkt, und brach den Kontakt zu seinem Sohn, der nun Opernsänger war, ab.
Von Bizet zu Wagner
Eine Karriere als Bühnenkünstler unter seinem Geburtsnamen Maximilian Achenbach war nicht mehr denkbar. Der aufstrebende Tenor wählte den Künstlernamen May Alvary. In seiner Weimarer Zeit übernahm er eine Fülle von Partien vorwiegend im lyrischen Repertoire wie Tamino in „Die Zauberflöte“, Ferrando in „Cosi fan tutte“ und Don José in „Carmen“. Partien von Richard Wagner, in denen er später glänzende Erfolge feierte, blieben in seinen Weimarer Anfangsjahren auf Steuermann („Der fliegende Holländer), Melot („Tristan und Isolde“) und Walther von der Vogelweide („Tannhäuser“) beschränkt. Dennoch fühlte Alvary sich reif, die Position des Heldentenors in Weimar einzunehmen, und brachte sich dafür bei der Intendanz ins Gespräch. Diese aber berief den Heldentenor Gustav Memmler von Hamburg nach Weimar. Alvary kündigte seinen Vertrag und sang in Leipzig vor, wo er aber nicht verpflichtet wurde. Üblicherweise versuchte ein junger Sänger an anderen deutschen Bühnen wie beispielsweise Hannover oder Frankfurt Fuß zu fassen. Es kam anders – nach einem Vorsingen vor einem Theateragenten wurde Max Alvary 1885 im Alter von nur 29 Jahren ein Engagement an der New Yorker Metropolitan Opera angeboten.
Erfolg in Amerika
Zu dieser Zeit wurde die Met von Franz Damrosch geleitet. Sie war damals ein Opernhaus mit einem auf Deutsch gesungenen Repertoire. Italienische Opern waren im Spielplan unterrepräsentiert und wurden in anderen Theatern New Yorks aufgeführt. Dennoch war der Wechsel nach Amerika ein künstlerisches Wagnis – und auch heute noch wäre der Sprung von Weimar sogleich an die Met eher ungewöhnlich; aber vielleicht wollte Alvary mit seiner Frau auch fort aus Deutschland und fort von seinem weiterhin missgestimmten Vater. Am 25. November 1885 debütierte Max Alvary in New York in der ihm vertrauten Rolle des Don José in „Carmen“. Nach einer Wiederholung folgte ein Auftreten als Assad in der Oper „Die Königin von Saba“ von Karl Goldmark, an der Seite der berühmten Opernsängerin Lilli Lehmann, die 1876 bei den ersten Bayreuther Festspielen mitwirkte.
Ein schneidiger Schnurrbart
Im Januar 1886 wurde Max Alvary die Titelpartie in „Faust“ von Gounod übertragen und bei einem Gastspiel in Chicago durfte Max Alvary zum ersten Mal die Wagner-Partie des Lohengrin singen. Der Florestan in Beethovens „Fidelio“ erweiterte sein Repertoire. Hinzukam in New York der Stolzing in Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Der Kritiker Henry Krehbiel schrieb in der „New York Tribune“ über Alvarys Auftritt: „Neben der exzellenten Sängerleistung ist der altdeutsche Schwung seiner Perücke zu rühmen und der korrekte Schnitt seines Schnurrbarts, der von einem allerersten Nürnberger Barbier gepflegt zu sein schien. Schon durch sein jugendlich-schwärmerisches Auftreten musste der aristokratische Jüngling den Neid der biederen Meister hervorrufen. Verständlich, dass er nicht nur Evchen Pogners Zuneigung errang, sondern auch die Bewunderung aller Damen im Zuschauerraum“.
Der Damentenor
Der entscheidende Schritt zum zentraler Sänger des Ensembles gelang Max Alvary Am 9. November 1887 fand in New York die amerikanische Erstaufführung von Wagners Oper „Siegfried“ statt mit Max Alvary in der Titelpartie.Mit seinem Siegfried wurde Max Alvary über Nacht zum Star und zum Liebling des New Yorker Publikums. Und er wagte etwas, was einige Jahre später in Bayreuth zu Auseinandersetzungen mit Cosima Wagner führen sollte. Um den jugendlichen Charakter des drachentötenden Helden glaubhaft zu machen, entschloss sich Max Alvary als allererster Wagnertenor, ohne das damals unerlässliche Männlichkeitsattributs eines Vollbarts aufzutreten, der für Wagnerhelden – ob nun Tannhäuser oder Siegmund – Pflicht war. Nicht nur an der Met, sondern auch in London, Berlin und selbstverständlich auch bei den Bayreuther Festspielen. Und noch etwas war zutiefst „shocking“: Alvary verzichtete auf fleischfarbene Beinkleider und zeigte unter seinem Bärenfell-Röckchen seine nackten Beine, die Waden von den geflochtenen Schnüren der Ledersandalen umspannt. Diesen bartlosen Auftritt übernahm Alvary später auch für seine anderen Wagner-Partien wie Stolzing, Siegmund und Tristan. In der amerikanischen Erstaufführung von Richard Wagners Musikdrama „Das Rheingold“ gab Max Alvary die Partie des Feuergotts Loge. Seine damalige Popularität, die er durch Auftritte als Adolar in Carl Maria von Webers romantischer Oper „Euryanthe“ und bei den Reprisen des „Lohengrin“ in New York noch steigerte, trug Alvary bei manchen Kritikern allerdings den Beinamen „Damentenor“ ein.
Jugendlicher Elan
Als Max Alvarys Engagement in New York dem Ende entgegen ging, wollte er seinen Ruhm für eine Karriere in Deutschland nutzen. Nach einer letzten Vorstellung in St. Louis als Stolzing verließ er im Frühjahr 1889 nach knapp vier Jahren die Vereinigten Staaten. Zunächst gastierte Alvary nach seiner Rückkehr auf deutschen Boden in Hamburg. Hier sang er Siegfried und Stolzing, gefolgt von Auftritten als Tannhäuser, und er wurde 1890 im Alter von 34 Jahren in München als Lohengrin und Jung-Siegfried gefeiert. Der Kritiker Alfred von Mensi-Klarbach schrieb über Alvarys Münchner Gastspiele: „Da kam aus Amerika ein junger deutscher Sänger und sang seinen Jung-Siegfried bartlos, in einer sorgfältig einstudierten Maske, mit jugendlicher Elastizität und Begeisterung – und München war – ‚weg’. Das heißt vornehmlich die Jugend beiderlei Geschlechts. Max Alvary war auf der Szene eben eine Erscheinung von oft idealer Schönheit. Seine Kostüme und Requisiten hatte er selbst entworfen und anfertigen lassen. Ja, er schleppte sogar einen eigenen Schmiedeherd aus New York mit sich herum. Reifere Hörer hatten in seinem Gesang verschiedenes auszusetzen, und nicht immer zu Unrecht.“
Cosima Wagner auf Talentsuche
Bei einer dieser Aufführungen in München saß Cosima Wagner im Zuschauerraum. Auch zu ihr war der gute Ruf, den sich Alvary in Amerika ersungen hatte, durchgedrungen. Cosima Wagner leitete seit Wagners Tod die Bayreuther Festspiele. Das schloss auch ein, dass sie die Inszenierungen eigenhändig vornahm. 1891, dem Jahr, in dem Max Alvary in Bayreuth debütierte, inszenierte sie „Tannhäuser“. Als Festspielleiterin war sie immer auf der Suche nach neuen und frischen Sängern für die Aufführungen. Und sie setzte auf ein junges Ensemble. Sie wollte Solisten haben, die noch nicht durch Aufführungstraditionen an anderen Theatern beeinflusst waren, um sie nach ihrer Vorstellung zu formen. 1898 schrieb Cosima Wagner an den „Hänsel-und-Gretel“-Komponisten Engelbert Humperdinck: „Ich kann mich nicht mehr entschließen, - ‚Du bist der Lenz’ - in ein sechzigjähriges Antlitz - von einer Fünfzigjährigen singen zu lassen“. Gegenüber dem Komponisten Richard Strauß zeigte sich Cosima in einem Brief vom 6. März 1890 über den Auftritt von Max Alvary in München beeindruckt: „Alvary ist eine höchst erfreuliche menschliche Erscheinung, ein Mann von Ernst und Intelligenz. Was ihm stimmlich fehlt, ist das gewisse Etwas; ich wüsste es nicht näher zu bezeichnen.“ Einige Tage später schrieb sie an den Dirigenten Hermann Levi: „Ich kann ihn mir sehr gut als Lohengrin vorstellen, wie ich überhaupt, seitdem ich ihn in einer Probe in Karlsruhe sah, ziemlich genau gewusst habe, woran man mit ihm ist. Er gehört zu den schätzenswerten Erscheinungen; die Bestimmtheit seiner etwaigen Verwendung ist mir noch nicht ganz klar.“
Konsonantenspuckerei
Im Sommer 1890 fanden keine Festspiele statt. In der Ära Cosima wurde in der Regel ein spielfreies Jahr eingeschoben, um Cosima Wagner die Gelegenheit zu geben, ihre eigenhändig vorgenommen Inszenierungen vorzubereiten – und zudem in einer Art von Sommerschule mit möglichen Solisten zu arbeiten. Auch Alvary erhielt eine solche Einladung für den Sommer 1890 nach Bayreuth, da Cosima ihn als Tristan engagieren wollte. Die in Frage kommenden Solisten wurden in diesen Pausenjahren unter der Mitwirkung von Julius Kniese musikalisch geprüft und geschult. Cosima Wagner verlangte von ihnen eine klare und deutliche Aussprache, ein Stil, den man später, als er übertrieben wurde, als „Konsonantenspuckerei“ bezeichnete.
Arbeit am Tristan
An ihre Vertraute, die Gräfin Wolkenstein, schrieb Cosima Wagner, nachdem sie mit Alvary zwei Wochen lang an der schwierigen Partie des Tristan gearbeitet hatte: „Eine wahre Freude ist mir durch das Studium des Tristan mit Alvary geworden. Und da wir uns entschlossen haben, hier drei Mal doch den Tristan zu geben, so habe ich die Vorarbeit gemacht und vierzehn Tage mit ihm seine Aufgabe durchgenommen, wobei seine Intelligenz, sein Eifer, seine Bescheidenheit und sein entschiedenes Talent mich sehr berührt haben. Er ist der Sohn von Andreas Achenbach, hat eine Protestantin aus guter schlesischer Familie geheiratet, ist in starke Konflikte mit seiner durchaus und ausschließlich ultramontan gesinnten Familie geraten und zeigt ein sonderliches Gemisch von Naivität und Erfahrung, von guten Formen und Unbändigkeit, von Festigkeit und Fügsamkeit. Die gute Herkunft merkt man ihm aber überall an. Seine Stimme hat keinen eigentlichen Wohlklang, und der Vortrag des Piano wird ihm schwer, auch fehlt etwas die Inbrunst. Er hat aber viel Energie und ist von jeder Komödianterei frei. Sowohl ihn wie seine Frau halte ich für eine Bereicherung unseres Verbandes.“
Diese Einschätzung von Alvarys stimmlichen Möglichkeiten teilte auch der Kritiker Joseph Sittard. Und wir müssen diesen historischen Quellen vertrauen, weil es von Max Alvary leider keine Tondokumente gibt. Aufnahmen von Sängern auf Schellackplatten entstanden ab etwa 1900; die neue Technik kam für Dokumentation von Alvarys Stimme zu spät.
Streit während der Festspiele
Es begannen die szenischen Vorbereitungen zu den Festspielen 1891, zu denen Max Alvary als Tristan und Tannhäuser verpflichtet war, wobei von vorneherein feststand, dass Alvary sich die Vorstellungen von „Tannhäuser“ mit Hermann Winkelmann teilen sollte. Die Partie der Elisabeth wurde von der jungen Sopranistin Pauline de Ahna gestaltet, die einige Zeit später den Komponisten Richard Strauss heiratete, und als Pauline Strauss in Erinnerung blieb. Sorgfältig bereitete sich Cosima auf ihre Inszenierung von „Tannhäuser“ im Festspieljahr 1891 vor. Sie las alles Relevante aus der Feder Wagners, forschte in Archiven und Museen und holte sich von Kunst- und Literaturhistorikern fachlichen Rat. Von den Solisten, aber auch vom Chor, forderte sie kein bedeutungsloses Herumstehen, sondern eine innere Anteilnahme an der Handlung. Schon das hob sie aus den Regisseuren ihrer Zeit heraus. Die Oper, wie sie Cosima dann 1891 präsentierte, handelte weniger von Tannhäusers Schicksal, als von der Antithese zwischen Venusberg und Wartburg. Den ersten Akt belebte nicht das übliche, strammschenkelige Ballett, sondern in der Choreographie der Mailänder Primaballerina Virginia Zuccheri tanzten feingliedrige Nymphen, Sirenen und Faunen. Das Ergebnis war unter der musikalischen Leitung von Felix Mottl ein christliches Mysterienspiel. Cosima setzte Sinnlichkeit und Dekadenz der antiken Welt gegen Idealismus und Reinheit des Mittelalters. Elisabeth war in Cosima Wagners „Tannhäuser“-Inszenierung von 1891 keine bodenständige Heroine mehr, sondern wurde von Pauline de Ahna als jung, unschuldig und naiv gezeigt.
Licht vom eigenen Licht
Bei den Bühnenproben stellte sich aber heraus, dass Festspielleiterin Cosima Wagner und der Met-Star Max Alvary unterschiedliche Auffassungen von der szenischen Darstellung hatten. Alvary, der die Partie schon mehrfach gesungen hatte, kam mit klaren Vorstellungen des Charakters seiner Rolle nach Bayreuth und ließ sich kaum zu Änderungen bewegen. Cosima dagegen wollte die Sänger nach ihren Vorstellungen formen. Es kam zu aufgeregten Diskussionen über Auf- und Abtritte, über die Bewegung der Arme und das Verhalten und die Reaktionen gegenüber Venus und Elisabeth.Der Dirigent Hans von Bülow schrieb ein Jahr später zurückschauend über den Konflikt zwischen Cosima Wagner und Max Alvary: „Ein Künstler wie Max Alvary ist weder Komet noch Planet oder gar Trabant, die mit geliehenem Licht arbeiten. Er ist eine Sonne für sich und strahlt eigenes Licht aus. Licht vom eigenen Licht!“
Tannhäuser ohne Bart
Genau das war es aber, was Cosima an Alvary störte. Er war ihr als Darsteller zu eigenwillig, zu selbstständig, vor allem zu wenig beeinflussbar. Nach der Festspiel-Premiere von „Tannhäuser“ hielt sie sich noch mit Kritik zurück, doch nach der zweiten Aufführung kam es zu ernsthaften Kontroversen. Zu viele Bewegungsabläufe stimmten nicht mit Cosimas Vorgaben überein. Zudem bestand Alvary darauf, in eigener Maske, also ohne angeklebten Bart, und in eigenem Kostüm aufzutreten. Das erstere war schon schlimm genug, doch das zweite traf Cosima ganz besonders. Sie selbst hatte auf der Basis mittelalterlicher Vorlagen sämtliche Kostüme in sorgsam auf einander abgestimmten Farben auch für die Figur des Tannhäuser entworfen. Diese Einheit sah sie jetzt zerstört. Cosima ließ sich gegenüber Alvary sogar zu der Aussage hinreißen „seine Darstellung des Tannhäuser sei ein Hohn“, wofür sie sich zwei Tage später allerdings schriftlich bei ihm entschuldigte. Dennoch blieb sie hart. Da die Partie mit dem Tenor Hermann Winkelmann offiziell doppelt besetzt war und der Sänger Heinrich Zeller sich als Drittbesetzung in Bayreuth aufhielt, untersagte Cosima jedes weitere Auftreten von Alvary als Tannhäuser.
Mit flammender Begeisterung
In einer zeitgenössischen Kritik in der „Neuen Berliner Musikzeitung“ war eine Meinung zu lesen, die diametral zu Cosima Wagners Einschätzung von Max Alvary als Tannhäuser stand: „Herr Alvary ist einer der interessantesten Darsteller des Tannhäuser, der mir je vorgekommen ist. Seine Leistung aus der Person heraus war so ganz eines mit derselben, dass man sie nur individuell auffassen kann. Das, was Herr Alvary bietet, deckt sich genau mit dem, was der Schöpfer des musikalischen Dramas verlangt, so genau, dass individuelle und Wagnerische Auffassung aufs Engste verbunden erscheinen – die Leistung ist also stilvoll im wahrsten Sinne des Wortes. Man muss es gesehen haben, wie sich dieser Tannhäuser nach Wolframs Lied im zweiten Aufzuge emporrichtet, das Auge voll flammender Begeisterung, um begreifen zu lernen, dass Tannhäuser seine Göttin verteidigen muss bis zum Untergang. Dazu singt Herr Alvary außerordentlich schön, die Stimme, obwohl nicht groß, ist doch so tragfähig, dass sie den größten Orchesterstürmen trotzt.“ Trotz der Auseinandersetzung mit Cosima um die Darstellung des Tannhäuser hielt Alvary seinen Vertrag für die Tristan-Aufführungen ein.
Erfolg als Tristan auf dem Grünen Hügel
Auf der Basis der Uraufführung in München 1865 und einer weiteren Aufführung in Berlin 1876, die Cosima beide gesehen hatte, entwarf sie eigene Bühnenbilder und ebenso die Kostüme. Es war ihr erklärtes Ziel, in den kommenden Jahren in Bayreuth so genannte Musteraufführungen zu schaffen, die für alle anderen Theater Vorbild sein sollten. Cosima wollte nichts Neues erfinden, sie sah sich nur als Ausführende der Absichten ihres Gatten, sie wollte die Aufführungen seiner Werke nur – wie sie sagte – „im einzelnen vervollkommnen“. Auch wenn sie in ihren Bühnenbildern das universelle Drama „Tristan und Isolde“ aus ihrer Zeit heraus mit der naturalistischen Draperie des 19. Jahrhunderts überzog, setzte sie in ihrer Personenregie weniger auf ein Drama von heroischer Leidenschaft, denn auf ein seelisches Kammerspiel. So lauteten ihre Regieanweisungen beispielsweise: „Nur eine kleine Bewegung“ und „nur durch eine Kopfbewegung, nicht durch Arme andeuten“. Dadurch wollte Cosima trotz der üppigen, dem Zeitgeschmack entsprechenden Bühnenbildern die Innerlichkeit des Werkes betonen. In dieser Inszenierung von Cosima Wagner sang Max Alvary den Tristan im Sommer 1891 mit Rosa Sucher als Isolde in den angesetzten drei Aufführungen. Die musikalische Leitung übernahm Felix Mottl.
Edle Tongebung
In der „Neuen Berliner Musikzeitung“ war zu lesen: „Über den Tristan des Herrn Alvary ein prägnantes und endgültiges Urteil zu fällen, ist nicht leicht. Das meiste Interesse beanspruchte der Künstler im letzten Aufzuge, wo er sowohl gesanglich, wie schauspielerisch sein Bestes gab, ganz aus sich herausging, und infolgedessen ein bedeutender Eindruck auch nicht ausbleiben konnte. Im zweiten Aufzug erschien mir sein Tristan zu kühl und reserviert, man wunderte sich manchmal ordentlich darüber, dass er von den elementar hervorbrechenden Leidenschaftsstürmen seiner Partnerin nicht mit fortgerissen wurde. Einen Vorzug hat sich Max Alvary durchweg bewahrt: Er sang ungemein vornehm, mit edler Tongebung und reiner Intonation. Auch wurden die lyrischen Stellen im zweiten Akt mit schönem Piano vorgetragen.“
Und dann folgte während der Festspiele 1891 ein Vorgang, der die Mitwirkenden vom hehren Podest der Kunst in die Niederungen des Theaterbetriebs stieß. Winkelmann sagte die folgende Tannhäuser-Aufführung ab. Also bat Cosima den soeben noch verschmähten Sänger Max Alvary, doch wieder als Tannhäuser aufzutreten. Alvary lehnte das jedoch kategorisch ab, auch mit dem Hinweis, sich für seine weiteren Tristan-Aufführungen schonen zu wollen. So bekam der die Drittbesetzung Heinrich Zeller seine Chance – und versagte jämmerlich.
Der skeptische Richard Strauss
Trotz aller Kontroversen rechnete Cosima Wagner auf eine erneute Mitwirkung 1892 von Alvary als Tristan und Tannhäuser. Auf ein Pausenjahr wurde verzichtet. Alternativen vor allem für den Tristan, den nur wenige Sänger studiert hatten, gab es kaum. Auf eine entsprechende schriftliche Einladung von Seiten der Festspiele für das Jahr 1892 reagierte Max Alvary jedoch ausweichend. Er verwies in einem Brief an Cosimas Verwaltungsdirektor Adolf von Gross auf bereits fest vereinbarte Gastspiele in England, die unmittelbar vor den Aufführungen in Bayreuth stattfinden sollten: „Verschiedene Vorkommnisse, die mir sehr große Unannehmlichkeiten und bittere Kränkungen verursachten, hatten mich allerdings den Entschluss fassen lassen, Ihnen in Zukunft aus dem Weg zu gehen. Solchen Unannehmlichkeiten und Missverständnissen ist aber ebenso leicht durch eine klare und sachliche vorherige Besprechung vorzubeugen.“ Zu diesem klärenden Gespräch im Vorfeld der Festspiele kam es nicht. Im Februar 1892 gastierte Max Alvary als Tannhäuser in Weimar. Er wollte zeigen, wie sehr er sich nach seinem Debüt als Stradella vor 13 Jahren entwickelt hatte. Richard Strauss, damals musikalischer Leiter in Weimar, tauschte sich mit Cosima über Alvarys Gastspiel als Tannhäuser aus. Und Strauss nutzte die Gelegenheit zu harschen Ausfällen gegen Alvary, zudem Strauss unbefriedigt darüber war, dass Cosima seinen Schützling Heinrich Zeller im Festspieljahr 1892 nur in Nebenrollen zu besetzen gedachte. Strauss schrieb an Cosima: „Wenn ich so meinen guten, herrlichen Zeller ansehe und dann des frechen, schamlosen Alvary gedenke, dessen Tannhäuser wirklich das Nichtswürdigste, Talentloseste war, was ich überhaupt jemals gesehen (es war unerhört!), und wie spricht der Kerl über Bayreuth, so will es mir noch immer nicht in meinen dummen Kopf, dass Zeller wegen Stimmlosigkeit von der Darstellung einer größeren Rolle in Bayreuth ausgeschlossen sein soll. Sie schreiben mir, teuerste, gnädigste Frau: wenn Sie jetzt Zeller für den Tannhäuser anforderten, sähe es aus, als ob Sie meinten, er sei der Tannhäuser. Ist denn Alvary der Tristan?“
Max Alvary sagt ab
Nachdem das Ende der Londoner Saison, in der Alvary als Wagner-Tenor großen Erfolg hatte, auf den 28. Juli festgelegt worden war, hätte Alvary ohne weiteres an den Festspielen 1892 mitwirken können, allerdings unter einer nur eingeschränkten Teilnahme an den szenischen und musikalischen Proben. Da auf seine Terminvorschläge von Bayreuth keine Reaktion kam, und weder Cosima Wagner noch von Gross Alvarys Anregung zu einem klärenden Gespräch aufgriffen, sagte Alvary im April 1892 seine erneute Mitwirkung in Bayreuth ab. Er schrieb an von Gross, den Verwaltungsdirektor der Festspiele: „Der Ärger, der mir im vorigen Sommer den Aufenthalt in Bayreuth und die Freude an der Arbeit gründlich verleideten, der gehässige Ton, in dem zum Beispiel intime Äußerungen von Frau Wagner in Wahnfried von Herrn Strauss kolportiert und aufgebauscht wurden, dieses Alles deutet gar nicht darauf hin, dass die Verhältnisse im nächsten Sommer für mich erfreulicher zu werden versprächen. Wenn ich mich nicht mit ganzer Freudigkeit der Sache widmen kann, und schon im Voraus sehe, wie meine Rückkehr nach Bayreuth von Leuten, die in Wahnfried zu den Intimen gehören, mit scheelen Augen angesehen und nur angesichts der zwingenden Verhältnisse als zulässig betrachtet wird, so muss mir ja alle Lust vergehen, und Sie werden mir zugeben müssen, dass ich es da vorziehe, meine vier Wochen Ferien auch wirklich auszunutzen, anstatt zu riskieren, den alten Intrigen zu begegnen. Es ist wohl kaum jemand mit solch freudigen und selbstlosen Wünschen und Hoffnungen nach Bayreuth gekommen und so ernüchtert von Dannen gezogen wie ich. Mit den herzlichsten Grüßen von Haus zu Haus – Ihr aufrichtig ergebener Max Alvary.“
Eine berühmte Patentante
Cosima Wagner nahm Alvarys Absage gelassen auf. An Strauss schrieb sie nach dem Bericht über verschiedene andere Schwierigkeiten bei der Vorbereitung der Festspiele in einem Brief darüber lakonisch: „Lieber, verehrter Dr. Strauss! Dies bringt mich wieder auf van Dyck und Alvary. Dass sie mit letzterem solch ein Elend durchmachten, hörte ich mit Pein. Ich denke wie der Kaiser: Die nicht mit uns gehen, sollen draußen bleiben.“ Einige Zeit später zeigte sie gegenüber Alvary – wie so oft in ihrem Leben – innere Größe. Sie übernahm die Patenschaft für Alvarys Tochter Thekla. Einige Jahre später verzichtete Cosima in ihrer Ring-Inszenierung von 1896 zumindest für die Partie des Jung-Siegfried auf den wallenden Rauschebart.
Vater von neun Kindern
Max Alvary hatte inzwischen einen prominenten Fürsprecher erhalten, der seine sängerische und darstellerische Kunst sehr schätzte. Gustav Mahler, unter dessen musikalischer Leitung Alvary in Hamburg gesungen hatte, dirigierte im Juni und Juli 1892 einen Ring-Zyklus in London, in dem Alvary mitwirkte. Gelegentlich machte Max Alvary auch wieder einen Ausflug ins italienische Fach. Bei der deutschen Erstaufführung der veristischen Oper „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni wirkte Alvary in Hamburg als Turiddu mit. Und er nahm die Partie des Max in Webers romantischer Oper „Der Freischütz“ in sein Repertoire auf.
In den Ort Groß-Tabarz in Thüringen wollte Alvary für sich, seine Frau und seine vielköpfige Kinderschar – Alvary war inzwischen Vater von neun Kindern – ein Haus bauen. Das Haus blieb bis 1913 in Familienbesitz, ehe es verkauft und mehrfach umgebaut wurde. Dann übernahm die Krankenkasse in Gotha die Villa und baute es zum Erholungsheim um. Nach 1945 ging das Haus in den Besitz der IG Wismut über, die es als Ferien- und Erholungsheim für die schaffende Arbeiterklasse aus dem Bergbau nutzte. Inzwischen ist die Villa wieder in privatem Besitz. Der davor verlaufende Weg wurde in „Max-Alvary-Strasse“ benannt.
Die eigene Villa
Seine Nichte Vera von Falkenhayn erinnerte sich: „Max Alvary fand den Bauplatz in Groß-Tabarz in Thüringen im eigentlich unverkäuflichen Grundstück des Herzogs von Coburg und Gotha. Die Gedanken wollten von dem einmal erkannten Lieblingsplatz nicht mehr abgehen und Alvary wusste den fürstlichen Besitzer endlich das Kauf- und Baurecht gegen sein Versprechen abzuringen, in Gotha zwei Mal kostenlos dafür zu singen. So entstand nach den Plänen Alvarys ein Thüringer Bauernhaus, dem man nicht ansah, was es im Innern an Kostbarkeiten barg. Es gab eine weiße Stube, deren eine behagliche Ecke ein weißer Kachelofen ausfüllte, den Max Alvary aus dem Lutherzimmer aus der Wartburg hatte nachbilden lassen. In einer Ecke stand ein Tisch mit den vielen silbernen Bechern, die seine Kinder von den Paten bekommen hatten, darunter auch der von Cosima Wagner. Die große Diele war geschmückt mit den Lorbeerkränzen des Sängers. Nie ohne sein Skizzenbuch in der Tasche wanderte er schauend und zeichnend in der Gegend dieses Landes. Von Dorf zu Dorf gehen sammelte er Altertümer, die von den Bauern unbenutzt auf ihren Dachböden standen, köstliche Butzenscheiben, Türklopfer, Treppengeländer, Ofenbänke und andere ergänzende Möbelstücke. Auf der Treppe nach dem Obergeschoß saßen die Kinder wie Orgelpfeifen und lauschten, wenn der Vater im Nebenzimmer zum Klavier sang. Max Alvary hatte sein Haus gut bestellt.“
Ein tragischer Unfall
Nach erfolgreichen Gastspielen in Hamburg, München und London sollte Max Alvary im November 1893 in Mannheim in seiner Parade-Rolle als Jung-Siegfried gastieren. Durch eine Verspätung der Bahn traf Alvary erst kurz vor Beginn der Probe ein, die mit dem zweiten Akt beginnen sollte. In der hektischen Atmosphäre wurde Alvary nicht davon unterrichtet, dass die Drachenhöhle keinen festen Boden besaß, sondern nur mit Leinwand bespannt war. Nachdem Siegfried den Riesenwurm Fafner auf der rechten Bühnenseite getötet hatte, wollte Alvary auf der Probe seinen berühmten Sprung über den Drachen zeigen – und stürzte vier Meter tief in die Unterbühne. Der Sänger zog sich schwere Verletzungen an den Beinen zu, von denen er sich aber zunächst wieder erholte.
Juristische Schritte
In einem Brief an seinen Freund Fedor von Milde beschrieb er den Vorgang genauer. Er wollte von dem studierten Juristen rechtliche Auskünfte. Max Alvary hatte beschlossen, die Mannheimer Bühne zu verklagen:
Hamburg, 12. Januar 1895
Sehr geehrter Herr von Milde!
Auf Anraten Ihres früheren Kollegen Herrn Brüning, der mir bei dieser Gelegenheit viele Grüße an Sie aufgetragen, möchte ich Sie freundlichst um Auskunft bitten, über die umseitig genannten Fragen, deren Beantwortung für mich von größter Wichtigkeit ist in Sachen meiner Klage gegen das Mannheimer Theater; aus Anlass durch den Unfall, den ich im vorigen Jahre dort erlitten, beim Betreten der Fafner-Höhle in „Siegfried“. Diese Höhle hatte dort keinen Boden und leider war dieser Umstand dem Auge entzogen durch eine über diesen Abgrund gespannte bemalte Leinwand. Ich stürzte bei der Probe unselig ab, als ich an den Drachen trat, der sich zur Hälfte noch in der Höhle befand, um zu sehen, ob der Sprung zu machen sei. Der Gegner suchte sich nun dadurch zu entschuldigen, dass er sagt, der Sprung über den Drachen würde nirgends gemacht, sei auch gar nicht zu machen etc. Daher brauche der Boden in der Höhle nicht zum Betreten eingerichtet zu sein und ist auch an den wenigsten Theatern zum Betreten vorgesehen. Nun bleibt mir nichts übrig, als durch gesammeltes Material zu beweisen, dass diese Behauptungen der Gegner falsch sind. Von circa 22 Bühnen habe ich die eigene Erfahrung, dass die Höhle zu betreten ist, dass der Sprung über den Drachen zu machen ist und gemacht wird. Auch fast alle Tenoristen haben mir bezeugt, dass sie den Sprung machen, wenn nicht eine besondere Veranlassung vorliegt, die sie daran hindert. Nirgends aber bestand die unheilvolle und wahnsinnige Einrichtung, dass am Eingang der Höhle der Boden aufhörte, und dieses Loch durch eine Leinwand für das Auge des Darstellers unsichtbar wird. Um Ihnen nicht allzu viele Umstände zu machen, habe ich die Fragen so aufgeschrieben, dass Sie die Antworten mit kurzen Notizen dazwischen schreiben und mir einfach so wieder zurückschicken können. Es handelt sich hier um keine gerichtliche Ausfrage, sondern um Material, welches dem Gegner das Ungeheuerliche dieser Behauptung vorführen soll. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie meiner Bitte folgen wollten.
Ich verbleibe mit ganz ergebenem Gruß
Max Alvary
Der Rechtsstreit zog sich über Jahre hin und wurde erst nach Alvarys Tod entschieden. Die Familie bekam eine Entschädigung von 18.000 Goldmark zugesprochen. Anfang 1894 nahm Alvary nach einer längeren Genesungszeit seine Bühnentätigkeit wieder auf. In Hamburg sang er unter Gustav Mahlers Leitung den Tristan und gastierte in Ring-Aufführungen wieder in London.
Versöhnung mit dem Vater
Glaubt man den Erinnerungen von Vera von Falkenhayn soll der Tenor sogar in Düsseldorf aufgetreten sein, wobei das Jahr nicht genannt wird: „Wie man sagte, hielt Alvary das Lachen und Weinen seines Publikums wie an einem elastisch gehorchenden Gummiband – durch sein schauspielerisches Können, durch den bezaubernden Klang seiner Stimme und durch ihre Schönheit alle Herzen bewegend. Schließlich fand auch die Versöhnung seines Vaters mit dem Sänger statt. In Düsseldorf, wo er den Pylades in Glucks ‚Iphigenie’ sang, schenkte Andreas Achenbach dem Sohn als künstlerische Gegengabe eine als Dekoration gedachte Ölskizze dieser Aufführung.“ Damit erkannte auch sein Vater Andreas Achenbach die große künstlerische Leistung seines Sohns an. Vera von Falkenhayn erzählt weiter: „Alvary selbst schilderte seinem Vater im Atelier besuchend, einmal sehr anschaulich und mit echt rheinischem Humor gewürzt, wie er nach seinen ersten Auftritten in New York die allzu heftig anstürmende Begeisterung einiger Amerikanerinnen mildern wollte. Er bestellte sie alle zur gleichen Stunde und zum gleichen Platz in die Avenue. Dort schob er den Kinderwagen mit seinen Zwillingen eigenhändig vor sich her und noch etliche andere seiner Kleinsten hingen rechts und links an seinen Rockzipfeln. Auf diese Weise wollte er als jugendlicher Held der Bühne in Wirklichkeit ernüchternd wirken. Zur Ehre der liebenswürdigen Töchter dieses Landes sei jedoch dazu vermerkt, dass Liebe und Begeisterung nicht etwa in ihr böses Gegenteil enttäuschter Herzen verkehrt wurden, sondern nur in der Form geändert. Von nun an wurde Spielzeug ohne Zahl in sein Haus gesandt – und auf den Karten stand „just for the babies“. Auch die Lohengrin-Rüstung aus echtem Silber war ein Geschenk dieser triumphalen Epoche.“
Erneut in New York
Max Alvary kehrte noch zwei Mal nach New York zurück. Als sich das damalige Met-Ensemble aber auf Tournee befand, mietete der Dirigent Walter Damrosch im Frühjahr 1895 das leer stehende Theater und veranstaltete Wagner-Aufführungen. Alvary trat wieder als Lohengrin auf, und begeisterte die Zuschauer durch seine Darstellung von Siegmund und Tristan.
Am 6. März 1895 gab er im Alter von 39 Jahren einem amerikanischen Journalisten des „New York Musical Courier“ ein (hier auszugesweise zitiertes) Interview, das in Deutschland in den „Signalen für die musikalische Welt“ veröffentlicht wurde,
Reporter: So, Herr Alvary, jetzt habe ich Sie gefunden. Erst nach Ihrem Hotel, dann nach dem Opernhause – und wieder zurück, und so immer hin und her!
Max Alvary: Ja, ich habe furchtbar viel zu tun!
Reporter: Ja, Herr Alvary, und Sie zeigten in allem Ihren Meister, auch als Architekt.
Max Alvary: Gewiss! Baute ich nicht alles selbst in meinem eigenen großen Hause?
Reporter: Und Sie sprechen vier Sprachen!
Max Alvary: Vor allem bin ich stolz auf mein „Englisch“. Mir wurde das Glück zuteil, die besten Schulen von London und Paris besuchen zu können. Das habe ich meinem Vater zu verdanken, Herrn Andreas Achenbach, einem der Gründer der modern-realistischen Malerschule in Deutschland.
Reporter: Sie sind dort geboren?
Max Alvary: Ja, in Düsseldorf. Gesang studierte ich beim alten Lamperti in Mailand.
Reporter: Zu Beginn ihrer Karriere sangen Sie Opern, die Sie als ‚candiert’ bezeichneten.
Max Alvary: Das tue ich heute noch. Als ich im Anfang meiner Kariere stand, sang ich selbstverständlich Opern wie „Romeo und Julia“ und „Carmen“.
Reporter: Aber Sie erklärten, dass Sie mit der Zeit auf all dieses Zuckerwerk verzichten wollten zu Gunsten der Wagnerschen Musikdramen.
Max Alvary: Ich habe mein Wort gehalten. Und Sie wissen, ein Künstler kann Wagner nicht mit derselben Stimme singen, wie die süßen Sachen, deren wir Erwähnung getan. Ich kann nicht begreifen, wie ein wahrer Künstler befriedigt sein kann, wenn er sein ganzes Leben hindurch solche Musik singen soll. Aber mit Wagner, mein lieber Mann, ist das doch ganz etwas Anderes. Ach ja – Wagner! Was ein Riesengeist war er. In „Tristan“, „Tannhäuser“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“ finde ich immer etwas Neues.
Reporter: Welcher der Wagnerschen Charaktere inspirierte Sie am meisten?
Max Alvary: Der Wert der verschiedenen Wagnerschen Werke kann nicht gegeneinander abgewogen werden. Das würde auf’s Haarspalten herauskommen. Sie können weder Tristan mit Tannhäuser, noch Siegfried und Lohengrin vergleichen. Jeder dieser Charaktere zeichnet sich durch seine eigene individuelle Bedeutung aus. Größe und Wahrheit ist bei ihnen allen gleich interessant, enthusiasmierend und erfolgreich für den Künstler, welcher sich deren ernste Durchführung zur Aufgabe gemacht hat.
Reporter: Welche der genannten vier Rollen haben Sie am meisten gesungen?
Max Alvary: Jung-Siegfried steht in meiner Liste mit 97 Mal obenan, dann folgt Tannhäuser mit 95 Mal.
Reporter: Und Sie wollen Ihren Hundertsten Siegfried in New York singen?
Max Alvary: Ja, und zwar auf derselben Bühne, wo ich die Rolle zum ersten Mal gesungen habe. Und ich brauche nicht zu sagen, dass dies den Anlass für eine Festvorstellung geben wird.
Reporter: Wann fahren Sie zurück nach Deutschland?
Max Alvary: Ich muss im Mai zur Zeit des Wagner-Zyklus in Hamburg zu Hause sein. Hernach gehe ich in den Thüringer Wald, um zu wandern und um den Sommer zu genießen.
Reporter: Herr Alvary, vielen Dank, dass Sie sich Zeit genommen haben.
Bühnenabschied mit vierzig Jahren
In den mit seiner Familie verbrachten Ferien stellte sich heraus, dass Alvary immer noch an den Folgen des Bühnenunfalls litt und Schmerzen in den Beinen hatte. Dennoch kehrte er im Herbst 1895 nochmals in die Vereinigten Staaten zurück, trat wieder in seinen bekannten Rollen in New York auf und nahm an einer mehrwöchigen Tournee teil.
Aber seine Karriere neigte dem Ende entgegen. Alvary musste sich einer weiteren Operation unterziehen und schränkte seine Auftritte immer mehr ein. 1896 wirkte er in Amsterdam in der niederländischen Erstaufführung des „Tristan“ mit. Es war sein letztes Auslandsgastspiel. Am 25. Mai 1896 beendete er seine Karriere in Hamburg als Siegfried in der „Götterdämmerung“. Da war er nur 40 Jahre alt.
Lorbeeren
In seinen Memoiren „Thema und Variationen“ erinnerte sich der Dirigent Bruno Walter an Max Alvary: „Max Alvary sang und spielte seinen Tannhäuser und Siegfried als bildender Künstler. Seine Stimme war stark, aber seinem Singen mangelte die Schönheit, seiner Darstellung die Dramatik, jedoch, seltsam zu sagen, seine Leistungen waren insgesamt malerisch vortrefflich, wozu seine schöne Erscheinung bedeutend beitrug. Das Publikum liebte und feierte ihn – die Anleihe bei der bildenden Kunst unterschied ihn von allem, was ihn auf der Opernbühne umgab, er wirkte in ihrer Sphäre wie ein distinguierter Besucher aus einer anderen Welt, der nicht recht hergehörte, aber durch die Kraft einer zielbewussten, in sich gefestigten Persönlichkeit seine Fremdartigkeit vergessen machte.“
Max Alvary starb am 7. November 1898, fast fünf Jahre nach seinem Bühnenunfall. Bestattet wurde er auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg. Das Orchester intonierte an seinem Grab Siegfrieds Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“. Eine Hamburger Zeitung veröffentlichte ein Gedicht zum Gedenken an Max Alvary:
„Den freien Trieb zum Schönen zu entfalten
zog’s dich als Jüngling in der Kunst Gebiet.
Nachdichtend schufst du ewigen Gestalten,
die Form, wie sie das Aug des Dichters sieht.
Galt’s schlichte Wahrheit mit der Schönheit einen,
hat Meister, dir, der höchste Ruhm gebührt.
Du hast die Kunst, die Kunst hat dich verstanden
und beugt sich weinend heut’ auf deinen Sarg,
dass sie dem Liebsten der verklärten Söhne
das stille Haupt mit ihrem Lorbeer kröne.“

Der Text ist eine bearbeitete Fassung eines Vortrags beim Richard-Wagner-Verband-Düsseldorf
Quellen:
Einhard Luther – Helden an geweihtem Ort
Vera von Falkenhain – Menschen in ihrer Zeit
Archiv der Bayreuther Festspiele
Theatermuseum Düsseldorf
Theaterwissenschaftliche Sammlung Schloss Wahn