Donnerstag, 12. August 2010

Franz Lehár WIENER FRAUEN



Franz Lehár war zweiunddreißig Jahre alt, als 1902 am Theater an der Wien mit "Wiener Frauen" seine erste Operette uraufgeführt wurde. Sie war ein großer Erfolg und die Melodien des ungarischen Komponisten wurden überall in Wien gesungen und gepfiffen.

Zackige Märsche

Geboren wurde er 1870 in Ungarn als Sohn eines Militärkapellmeisters. Nach einem Studium am Konservatorium in Prag führte ihn sein erstes Engagement als Geigenspieler in das Orchester des Opernhauses in Elberfeld, das heutige Wuppertal. In der deutschen Theaterprovinz hielt er es nur wenige Monate aus, wurde kontaktbrüchig und trat in Österreich seinen soldatischen Dienst in einer Militärkapelle unter der Leitung seines Vaters an. 1890 wurde Franz Lehár als jüngster k.u.k. Militärkapellmeister in das ungarische Losoncz versetzt. In dieser Zeit entstanden eigene Märsche, Lieder und Walzer wie Auf hoher See und Es duften die Blüten. Lehár komponierte eine Oper, doch "Kukuska" wurde 1896 in Leipzig ohne Erfolg uraufgeführt. Ihr Schöpfer setzte enttäuscht seine Laufbahn als Militärmusiker fort, die ihn 1901 nach Wien führte. Er übernahm dort die musikalische Leitung des 26. Infanterieregiments ‚Großfürst von Rußland‘ und spielte bei Promenadenkonzerten und in Kaffeehäusern zum Tanz auf.

Auf der Eislaufbahn

Sein Aufstieg zu einem der erfolgreichsten Bühnenkomponisten seiner Zeit gestaltete sich anekdotenreich. Im Winter 1901 drehte die zwölfjährige Felicitas, Tochter des bekannten Wiener Operettenlibrettisten Victor Léon, der mit dem Text zum Opernball von Heuberger erfolgreich gewesen war, ihre Pirouetten zur Musik von Franz Lehár und seiner Militärkapelle auf einer Eislaufbahn im Wiener Stadtpark. Besonderen Gefallen fand der Backfisch am Marsch Jetzt geht’s los! und Felicitas lag ihrem Vater in den Ohren, für den begabten Musiker einen Operettentext zu schreiben. Victor Léon erinnerte sich 1930 in einer Festschrift zu Lehárs 60. Geburtstag an den aufgeregten Bericht seiner Tochter: „Ich sag dir, Papa, der Marsch...also der ist einfach gottvoll, himmlisch, totschick! Ich sag dir, die Leute sind verrückt auf den...In allen deinen Operetten ist nicht ein Marsch, der so, sagen wir, comme il faut wäre, wie der. Komm doch einmal auf den Eislaufplatz und hör ihn dir an!“ Aber Victor Léon hatte keine Lust, sich Schlittschuhe anzuschnallen und so verhallte der Wunsch seiner Tochter zunächst unerhört. Inzwischen hatte Lehár neben seiner Tätigkeit als Militärkapellmeister damit begonnen, in Wien seine Karriere als Bühnenkomponist voranzutreiben. Bescheiden fing er mit drei Vorspielen zu der dramatischen Bearbeitung Fräulein Leutnant von Arthur Kohlhepp an, eine historische Begebenheit aus „Österreichs Ruhmestagen“. Danach schrieb Lehár ein einziges Duett für das Libretto "Die Kubanerin", brach die Arbeit ab und erwarb stattdessen die Rechte an dem Operettentext Die Spionin, dessen Vertonung er ebenfalls nicht beendete, wenn auch jeweils eine Nummer aus beiden Fragmenten in die Partitur zu "Wiener Frauen" übernommen wurde.

Bunte Revuen

Sein Debüt auf den Brettern, die die Welt bedeuten, geschah dann unter denkwürdigenwürdigen Umständen. Am 16. November 1901 wurde im Theater an der Wien ein buntes Programm gezeigt. Felix Salten, der begabte Dichter so unterschiedlicher Werke wie das Kinderbuch "Bambi" und "Die geheimen Memoiren der Therese Mutzenbacher" hatte das Theater gemietet. Gespielt wurde eine Wiener Version seines Überbrettels unter dem Titel "Zum lieben Augustin", eine bunte Revue mit Tänzen, Liedern und kurzen parodistischen Szenen. Mit von der Partie war auch Frank Wedekind, der Bänkellieder zur Laute vortrug. Dazwischen war ein Duett von Franz Lehár platziert, das dieser auf einen Text des Romanciers Rudolf Hans Bartsch vertont hatte. Die Nummer "Der windige Schneider" erzählte in einem heiteren Wechselgesang zwischen einem Landstreicher und seiner Gefährtin von einem Schneider, der seine Schere verloren hatte, worauf er vom Winde verweht wurde. Den gewünschten Durchbruch als anerkannter Komponist brachte die musikalische Szene trotz der Kostüme des Wiener Jugendstilkünstlers Koloman Moser nicht.

Gold und Silber

1901 hatte Franz Lehár für den temperamentvollen Paulinen-Walzer bei einem Wiener Faschingsball allerdings Sonderbeifall erhalten, und die Widmungsträgerin Fürstin Pauline Metternich erteilte ihm den Auftrag für einen weiteren Walzer. "Gold und Silber" wurde zu Lehárs erster Komposition, die ihn über den Status des hoffnungsvollen Talents hinaushob. Dadurch erinnerte sich Victor Léon an das Idol seiner Tochter und bot ihm das Libretto zur Operette "Der Rastelbinder" an, das von Lehár sogleich vertont wurde. Doch leider zeigte sich zunächst kein Theater bereit, das Werk aufzuführen. Inzwischen hatte Wilhelm Karczag 1902 die Direktion des Theaters an der Wien übernommen und war für die Uraufführungsstätte der Fledermaus auf der Suche nach Novitäten. Nachdem Lehár im Februar 1902 bei einer Wohltätigkeitsmatinee im Theater an der Wien aus Anlass der Goldenen Hochzeit von Rainer und Marie von Österreich mit seiner Militärkapelle mitgewirkt hatte, wurde Lehár von Karczag als Kapellmeister und Hauskomponist an das Theater an der Wien engagiert. Allerdings musste Lehár sich verpflichten, in seiner ersten Operette eine Partie für Alexander Girardi zu schreiben, der damals größte Star am Wiener Operettenhimmel. Er hatte in zahllosen Uraufführungen wie "Der Vogelhändler" und "Der Bettelstudent" mitgewirkt und wiederholte zu Beginn der Karczag-Ära am Theater an der Wien als Zsupan in "Der Zigeunerbaron" einen seiner allergrößten Erfolge.

Der Schlüssel zum Paradies

Das Libretto zu Lehárs Operettenerstling "Wiener Frauen" dichteten die Volks- und Bühnenschriftsteller Ottokar Tann-Bergler und Emil Norini nach dem französischen Schwank Der Schlüssel zum Paradies. Nachdem die Proben zur Uraufführung begonnen hatten, kam es zu einer Auseinandersetzung. Lehár hatte dem Musiklehrer Johann Nechledil eine zündende Nummer zugedacht, der so genannte Nechledil-Marsch, der sich bereits in der Ouvertüre musikalisch ankündigt. Gleich bei den ersten Proben erkannte Girardi als Willibald Brandl die Wirkung dieser Komposition und reklamierte sie für sich. Der junge Darsteller des Nechledil, Oskar Sachs, war froh, überhaupt in diesem illustren Ensemble mitzuwirken, das noch Lisa Abarbanell als Claire und Karl Meister als Philippe aufbot, und verzichtete auf seinen Anspruch. Lehár stimmte zu und schrieb 1930 rückblickend über Alexander Girardi und seine Interpretation des Nechlidil-Marsches: „Es war auf einer Probe, als Girardi ihn so hinreißend vortrug, dass ich – heute darf ich es sagen – zu Tränen gerührt war.“

Eingängige Walzer

Bereits wenige Wochen nach der Uraufführung am 21. November 1902, bei der Lehár am Pult stand, konnte die 50. Aufführung der "Wiener Frauen" gefeiert werden. Wilhelm Sterk schrieb darüber in der ‚Wiener Allgemeinen Zeitung‘: „Auf dem Gebiet der Operette ist Herr Lehár eine herzlich zu begrüßende Erscheinung; nach langer Pause wieder ein Musiker, der Operetten zu schreiben versteht.“ Er bezog sich dabei vor allem auf das Walzerlied der Claire „Schreit‘ ich durch die eig’nen Räume“ und den Nechledil-Marsch. In beiden Nummern kündigten sich sowohl Lehárs Begabung für eingängige Walzer als auch für mitreißende Marschmusik an. Gemessen an den Aufführungszahlen war die zweite Lehár-Operette "Der Rastelbinder", die einen Monat nach der Uraufführung der Wiener Frauen am Carl-Theater ihre Weltpremiere erlebte, ein größerer Erfolg.

Erfolg in Amerika

Lehárs nachfolgende Operette "Der Göttergatte", eine freie Adaption des Amphitryon-Stoffs, kam 1904 am Carl-Theater heraus, ohne sonderlich zu gefallen, und auch die Aufnahme der Operette Die Juxheirat im Theater an der Wien im selben Jahr brachte Lehár eine Enttäuschung, trotz der erneuten Mitwirkung von Alexander Girardi. Und schließlich folgte der erste große Triumph seiner Karriere. Am 30. Dezember 1905 öffnete sich im Theater an der Wien der Vorhang zur Welturaufführung der "Lustigen Witw"e und erstmals wurden die unvergänglichen Melodien „Lippen schweigen, s’flüstern Geigen“ und „Da geh ich zu Maxim“ angestimmt. Der europäische Erfolg der "Lustigen Witwe" wiederholte sich in Amerika. In Chicago wurde Lehárs Meisterwerk am 2. Dezember 1907 gespielt. Als lustige Witwe brillierte Lina Abarbanell, die einst bei der Uraufführung der "Wiener Frauen" nicht ahnen konnte, dass sie als Claire dazu beigetragen hatte, den Weg von Lehár auf den Thron des Fürsten der Silbernen Operettenära zu ebnen.




Gaëtano Donizetti LUCREZIA BORGIA



Für ihren Zeitgenossen, den Politiker Francesco Guicciardini, ist ihr Name „mit großer Schande bedeckt“, nach Victor Hugo gehört sie einer „Familie von Teufeln“ an und der Historiker Ferdinand Gregorovius nennt sie in seiner 1874 erschienenen Biografie die „unseligste Frauengestalt der modernen Geschichte“: Lucrezia Borgia. In der Erinnerung der Nachwelt verkörperte sie eine faszinierende Mischung aus Verderbtheit und Glanz, sie wurde zum Inbegriff eines wüsten Lebens in den dramatischen Zeiten der Hochrenaissance: Als tückische Intrigantin und bösartige Giftmischerin sagte man ihr sogar ein Verhältnis mit ihrem Vater nach.

Wilde Gerüchte

Dieses durch Legenden entstandene Bild von Lucrezia Borgia haben Historiker inzwischen revidiert: Sie war keine Täterin, sondern ein Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse. Geboren wurde sie am 18. April 1480 als Tochter von Kardinal Rodrigo Borgia, dem späteren Papst Alexander VI., und seiner langjährigen Mätresse Vanozza de’ Cattanei. Mehrfach wurde Lucrezia verkuppelt und von ihren ersten beiden Männern aus politischen Gründen wieder geschieden. Ihr dritter Ehemann, Alfonso von Aragon, war der Vater ihres 1499 geborenen Sohns Rodrigo, der Pate für die frei erfundene Figur des Gennaro in Donizettis Oper Lucrezia Borgia stand. Nachdem Alfonso von Aragon von politischen Gegnern in seinem Bett erwürgt worden war, zog sich Lucrezia auf ihr Schloss bei Rom zurück. Im Jahr 1501 bereitete ihr Vater Alexander VI., der seit 1492 als Papst auf dem Heiligen Stuhl saß, eine erneute Heirat seiner Tochter mit Herzog Alfonso I. d’Este von Ferrara vor. Zunächst zeigte sich Alfonso abgeneigt mit einer unehelich geborenen Tochter aus dem Geschlecht der Borgia die Ehe einzugehen, Papst Alexander VI. konnte den Herzog durch eine hohe Mitgift umstimmen. Die Hochzeit fand 1501 in Rom statt. 1505 wurde Alfonso nach dem Tod seines Vaters Herrscher über Ferrara, Modena und Reggio. Der zeitgenössische Dichter Ludovico Ariosto rühmte Lucrezia, die neue Herrin Ferraras: „Alle anderen Frauen gleichen Lucrezia nur wie das Zinn dem Silber, das Kupfer dem Gold, die Mohnblume der Rose, die bleiche Weide dem immergrünen Lorbeer.“ Lucrezia versammelte am Hof von Ferrara die berühmtesten Künstler, Schriftsteller und Gelehrten ihrer Zeit um sich, darunter den Maler Tizian, und erlebte an der Seite eines sie liebenden Mannes und ihrer Kinder die glücklichste Zeit ihres nur 39 Jahre währenden Lebens. Dennoch kursierten immer wieder wilde Gerüchte über den verderblichen Einfluss der Lucrezia Borgia auf die Männer, so als ihr der Florentiner Humanist Ercole Strozzi 1508 ein freizügiges Gedicht widmete, und wenig später ermordet aufgefunden wurde. Ihr schlechter Ruf blieb über ihren Tod hinaus an ihr haften.

Betrunken – Tot!

Victor Hugos griff in seinem 1833 in französischer Sprache verfasstem Drama Lucrèce Borgia die zahlreich kursierenden Legenden um Lucrezia auf. Sein blutrünstiges Theaterstück feierte im 19. Jahrhundert europaweit Triumphe; in Deutschland wurde es in einer Übersetzung von Georg Büchner gespielt. Darin ist in den Überschriften der drei Akte, die in Büchners deutscher Übertragung „Handlung“ genannt werden, der Inhalt knapp zusammengefasst: „Erste Handlung – Schande über Schande, Zweite Handlung – Das Paar, Dritte Handlung – Betrunken - Tot“. Victor Hugo erzählt in seinem Schauspiel die Tragödie einer monströsen Frau im Stil der französischen Schauerromantik: Aus Rache für eine erlittene Schmach träufelt Lucrezia Gift in den Wein einer Festgesellschaft von jungen Leuten. Der Augenblick des Triumphes gerät zum Fiasko, denn der Preis, den sie für ihre Tat zahlen muss, ist hoch – Auch ihr Sohn Gennaro hat von dem vergifteten Wein getrunken.

Gefühle zum Erschauernlassen

Im Jahr der Uraufführung von Victor Hugos Drama unterschrieb Gaëtano Donizetti einen Vertrag mit der Mailänder Scala, der ihn zu zwei neuen Opern verpflichtete. Das Textbuch zur ersten Oper Lucrezia Borgia sollte Felice Romani schreiben. Der Komponist bat seinen Librettisten um besonders starke Szenen, „die Gefühle bis zum Erschauernlassen erregen würden.“ Donizetti faszinierte an Hugos Dramenvorlage, dass darin die Konstellation „Ehepaar und Liebhaber“ abwandelt wurde in eine für die damalige Zeit auf dem Theater unkonventionelle Mutter-Sohn-Beziehung zwischen Gennaro und Lucrezia, dem sie sich als Mutter nicht zu erkennen gibt und für seine Liebhaberin gehalten wird. Felice Romani folgte in seinem Libretto nur in Grundzügen der Handlung von Hugos Schauspiel. Er löste sich in seinem Libretto von Hugos Renaissance-Prunkgemälde und arbeitete die Dramenvorlage für die Bedürfnisse der Opernbühne um, indem er sich auf die private Tragödie einer verkannten Mutter-Sohn-Beziehung konzentrierte. Die Gesellschaft der Adligen, die bei Hugo breiten Raum einnimmt, wurde zur singenden Statisterie degradiert und agiert – mit Ausnahme von Gennaros Freund Maffio Orsini – ohne eigenständige Charakterisierung, alle für den Gang der Handlung wesentlichen Episoden wies Felice Romani den Hauptfiguren zu. Dadurch ergab sich eine leichter fassbare und schlüssigere Führung des dramatischen Geschehens als bei Victor Hugo, dessen Schauspiel sich in vielen Nebenhandlungen verliert. In der Opernfassung wird Lucrezia als verzweifelte, in ihren Gefühlen verkannte Mutter gezeigt, der Herzog wird seiner öffentlichen Funktion fast vollständig beraubt und auf einen vermeintlich betrogenen Ehemann zurechtgestutzt – für die Logik der Opernbühne reichte diese Vereinfachung aus. Und während Victor Hugo seiner Titelheldin Lucrezia ein inzestuöses Verhältnis mit ihrem Sohn unterstellt, deuten Donizettis und sein Librettist die Beziehung als tragisches Zusammentreffen zweier Menschen, von Gennaro, der seine Mutter idealisiert, obwohl er sie nicht kennt, und von Lucrezia, die nach eigener Aussage „jeder verabscheut“, und die durch die Begegnung mit Gennaro hofft, „in einem einzigen Herzen das Gefühl von Mitleid und Liebe zu erwecken“.

Bühnenwirksame Legende

Donizetti und sein Librettist vermieden es aber, aus Lucrezia ein Unschuldslamm zu machen; sie griffen wie Victor Hugo die bühnenwirksame Legende der bösen Giftmischerin auf, versuchten jedoch, ihr Verhalten plausibel erscheinen zu lassen: Wenn Lucrezia im letzten Akt den Wein vergiftet, wehrt sie sich dadurch gegen die ungeheueren Anschuldigungen, mit denen sie die Offiziere im Prolog der Oper konfrontierten und beleidigten. Der Giftmord ist die einzige Möglichkeit einer einsamen Frau, um sich vor den Verleumdungen der Männer zu schützen. Im Finale der Oper Lucrezia Borgia weichen Donizetti und Romani endgültig von Hugos Dramenvorlage ab. Bei Victor Hugo ersticht Gennaro seine Mutter mit einem Dolch, weil er sich von ihr getäuscht fühlt, da sie sich ihm zu spät als seine Mutter offenbart hat, bei Donizetti lässt Gennaro, nachdem er von Lucrezia erfahren hat, dass auch er ein Borgia sei, das verabreichte Gift wirken und stirbt, woraufhin die Titelheldin entseelt zusammenbricht. Lucrezia Borgias dramatischer Tod auf der Bühne – bei Hugo durch einen Dolchstoß, bei Donizetti durch einen „strafenden Pfeil von Himmel“, den sie sich erbittet – entsprach nicht der Wahrheit. Lucrezia starb am 24. Juni 1519 in Ferrara wenige Stunden nach der Geburt ihres neunten Kindes.

Strahlende Primadonnentöne

In der Uraufführung von Lucrezia Borgia am Teatro alla Scala in Mailand am 26. Dezember 1833 wurde die Titelpartie von der Sopranistin Henriette Méric-Lalande übernommen, deren immens beweglicher Sopran zu einer ungewöhnlich reichen Ausstattung ihres Gesangsparts durch Donizetti führte. Seine Oper bietet den Rahmen für große Auftritte einer Primadonna, die sowohl das szenische als auch das musikalische Geschehen beherrscht, zunächst mit ausdrucksvollen Kantilenen und zahlreichen vokalen Kunststücken in ihrer von Harfenklängen begleiteten Auftrittsarie „Come è bello“, danach in einem dramatischen Duett mit dem Tenor „Infelice! Il veleno bevesti!“ und schließlich in dem mitreißenden Finale „Tu pur qui?“, in dem zum krönenden Abschluss der Oper ein lang angehaltener Spitzenton der Primadonna strahlend über allem leuchtet. Den anderen Solisten blieb die Möglichkeit vokaler Prachtentfaltung weitgehend versagt und im Orchestersatz verzichtete Donizetti auf romantische Genremalerei, die Musik ist schlicht und zugleich raffiniert mit weitausgesponnen Melodiebögen.

Diskussionen

Nachdem die Sopranistin Henriette Méric-Lalande die fertig gestellte Partitur studiert hatte, forderte die gefeierte Bühnenkünstlerin im Finale der Oper nach dem Tod von Gennaro eine effektvolle Cabaletta zu singen, die in der Originalkomposition nicht enthalten war. Romani schloss sich Donizettis Opposition gegen die Idee der Primadonna an, bis es schließlich hieß „keine Cabaletta, keine Méric-Lalande“. Der Sängerin ging es dabei nicht nur um die brillante Prachtentfaltung ihrer Stimme, sie wusste auch, dass eine packende Cabaletta im Finale den Jubel des Publikums und damit den Erfolg des Abends sicherte. Das hatte auch der maestro di musica zu akzeptieren und Donizetti lenkte nach vielen Diskussionen ein, weil auch er um die äußere Wirkung der zusätzlich geforderten Cabaletta wusste, obwohl er sie in einem Brief an seinen Schwager Antonio Vasselli nachträglich missbilligte. Der Komponist fand es lächerlich, dass „eine Mutter im Beisein des Leichnams ihres Sohns eine solche Entfaltung ihrer gesanglichen Behändigkeit zur Schau stellen wollte.“ Dennoch erschien die umstrittene Cabaletta „Era desso il figlio mio“ in allen frühen Notenausgaben von Lucrezia Borgia.

Tiefgreifende Umarbeitungen

Das Publikum reagierte auf die Uraufführung enthusiastisch, die Presse verhalten: Kritisiert wurde der Mangel an melodischer Neuheit. 1840 war in Paris die französische Erstaufführung vorgesehen, die Übersetzung des von Felice Romani in italienischer Sprache geschriebenen Librettos nahm Etienne Monnier vor. Victor Hugo erhob daraufhin Einwände gegen die französische Fassung von Donizettis Oper, da er seine Urheberrechte verletzt sah. Dennoch wurde in Paris an der Premiere festgehalten. Victor Hugo klagte auf literarischen Diebstahl und erwirkte eine gerichtliche Verfügung, die eine weitere Verwendung seines Schauspiels als Grundlage eines Opernlibrettos untersagte. Um Donizettis Oper dennoch in Paris spielen zu können, ergab sich die Notwendigkeit, die literarische Quelle zu kaschieren und sowohl den Titel als auch die Verse des originalen Librettos von Felice Romani zu ändern, wobei die Handlung um einen verleumdeten Sohn im Spannungsfeld zwischen seiner Mutter und deren Ehemann beibehalten wurde. Der Schauplatz der Pariser Fassung von Lucrezia Borgia wurde von Ferrara nach Granada verlegt, die italienischen Renaissance-Figuren betraten als Türken die Bühne, und die Pariser Erstaufführung fand unter dem neuen Titel Nizza di Grenada statt. Auch bei den Vorstellungen von Donizettis Oper in Rom mussten 1841 Änderungen vorgenommen werden. Nach Auffassung der Zensur konnte im Zentrum des Papsttums eine Oper über Lucrezia Borgia, die uneheliche Tochter des späteren Papst Alexander VI., nicht geduldet werden. Die Vorstellungen durften erst nach tiefgreifenden Umarbeitungen des Librettos als Elisa da Fosco über die Bühne gehen. Doch gerade diese Aufführungen in Rom begründeten die Popularität von Donizettis Oper, die schließlich in ganz Europa gespielt wurde, und Franz Liszt dazu inspirierte, 1849 seine Réminiscences de Lucrezia Borgia, sur des motifs de l’opéra de Gaëtano Donizetti für Solo-Klavier zu komponieren.