Samstag, 26. Dezember 2009


Franz Lehár DER GRAF VON LUXEMBURG


Die Erfolgsgeschichte der 1909 im Theater an der Wien uraufgeführten Operette Der Graf von Luxemburg von Franz Lehár begann mit einem Misserfolg, der sich im selben Theater im Jahr 1897 zutrug. Dort hatte auch die Uraufführung der Operette Die Göttin der Vernunft des Wiener Walzerkönigs Johann Strauß stattgefunden. Den Text stammte von Alfred Willner und Bernhard Buchbinder.

Unbrauchbare Texte

Der Premiere dieser Operette von Johann Strauß vorausgegangen war ein Streit. Ohne das Textbuch im Einzelnen zu kennen, schloss Strauß lediglich auf der Grundlage eines Szenariums den Vertrag mit den Librettisten ab. Als der 72-jährige Strauß die ersten Entwürfe für die Gesangstexte gelesen hatte und nicht zufrieden war, wollte er von der Vertonung zurücktreten. Strauß schrieb an seinen Librettisten Alfred Willner: „Ich werde das Buch nur unter der Bedingung komponieren, wenn ein Verleger sich findet, welcher mein Werk heute, bevor ich eine so riesige Arbeit unternehme, auf Grund Ihres Szenariums kauft. Ich habe bei ‚Waldmeister’ genug Erfahrungen gesammelt, die ich um keinen Preis nochmals erleben will, und ehe ich den Text bearbeite, dessen Erfolg mir heute mehr als zweifelhaft erscheint, will ich mich lieber zur gänzlichen Arbeitslosigkeit verurteilen.“ Strauß, dem der Misserfolg seiner vorangegangenen Operette Waldmeister auf ein Textbuch von Gustav Davis noch in guter Erinnerung war, folgte der damals in Theaterkreisen verbreiteten Ansicht, dass der Durchfall einer Operette immer am Textbuch liegt, der Erfolg jedoch ausschließlich der Verdienst des Komponisten ist. Der Librettist blieb hart. Er wies Strauß auf den geschlossenen Vertrag hin, der besagte, dass der Komponist kein anderes Buch vertonen dürfte, „bevor Sie nicht das unsere bühnenfertig gemacht haben.“ Sollte Strauß sich dennoch weigern, drohte Willner mit einem Prozess. In einem juristischen Verfahren sollte der Komponist durch die Einbeziehung von Sachverständigen beweisen, dass „die weitere Ausführung sowie die Texte absolut und total unbrauchbar“ seien. Schließlich kam ein Vertrag mit dem Verlag Berté zustande und Strauß begann mit der Komposition. Aber die Göttin der Vernunft brachte es nach der Uraufführung nur auf 80 Vorstellungen und blieb damit weit hinter den Erwartungen zurück. In einem Bericht der Wiener Zeitung vom 14. März 1897 war zu lesen: „Johann Strauß wohnte der Aufführung seiner neuen Operette nicht sichtbar bei. Er ließ durch den Regisseur nach allen Aktschlüssen für den warmen Beifall des Publikums danken, der dem, wenn auch nicht mehr sprudelnden, doch immer noch klar und unverfälscht hervorrieselnden Melodienquell galt.“

Ein Operetten-Remake

Einige Jahre nach der Uraufführung der Göttin der Vernunft beschloss Adele Strauß im Jahr 1909 aus Anlass des 10. Todestages ihres Gatten, die originale Musik mit einem neuen Textbuch von Ferdinand Stollberg zu versehen. Stollberg war das Pseudonym des Dichters Felix Salten, der 1923 durch das Buch Bambi sehr bekannt wurde. Somit war das alte Textbuch zur Strauß-Operette von Willner-Buchbinder wieder frei. Willner wollte dem Komponisten Leo Fall das überarbeitete Libretto zur Neuvertonung anbieten und fragte daher bei seinem Kompagnon Buchbinder an, ob er sich an der Arbeit beteiligen würde. Da Buchbinder aber mit der Arbeit an der Operette Das Musikantenmädel von Georg Jarno beschäftigt war, fand Willner in dem Textdichter Robert Bodanzky einen neuen Partner. Nachdem Leo Fall absagte, boten sie das Textbuch dem aufstrebenden Operettenkomponisten Franz Lehár an, für den Bodanzky bereits zwei Libretti geschrieben hatte. Franz Lehár galt nach der Uraufführung seiner fünften Operette Die lustige Witwe als neuer Stern am Wiener Theaterhimmel. Aber seine nachfolgenden Operetten Mitislaw, der Moderne (1907) und Der Mann mit den drei Frauen (1908) erfüllten die in sie gesetzten Erwartungen nicht. Während Lehár bereits an der Operette Das Fürstenkind arbeitete und sich parallel mit Zigeunerliebe beschäftigte, schlugen Willner und Bodanzky dem Komponisten vor, die Vertonung ihrer textliche Neufassung des einstigen Librettos für Johann Strauß zu übernehmen. Und die Zeit drängte: Die Premiere der Neufassung durch Adele Strauß und Felix Salten war für den 30. Dezember 1909 im Raimund-Theater mit dem Wiener Operettenstar Alexander Girardi vorgesehen.

Liebe auf den ersten Blick

Im Sommer 1909 begann Lehár nur wenige Monate vor der avisierten Uraufführung im Theater an der Wien mit der Komposition seiner nunmehr dritten Operette während eines Zeitraums von knapp eineinhalb Jahren. Sie trug den Titel Der Graf von Luxemburg. Lehár zeigte sich von der Stoffvorlage begeistert und sagte rückblickend 1929 in einem Gespräch mit dem Wiener Journal: „Schon nach der ersten Note begann ich mich in das Buch zu verlieben. In drei Monaten war ich fertig und beim Durchblättern der Partitur sagte ich mir: das ist vielleicht die ursprünglichste Musik, die du je geschrieben hast.“ Das dramaturgische Handlungsgerüst, das Willner für Die Göttin der Vernunft entwarf, wurde auch für Der Graf von Luxemburg übernommen. Es zeigt zwei Eheleute, die ohne zu wissen wer der andere ist, aus finanziellen Gründen heiraten, sofort auseinander gehen, sich dann aber doch kennen und lieben lernen. Während die Strauß-Operette zur Zeit der französischen Revolution spielte, verlegten Willner und Bodanzky die Handlung der neuen Lehár-Operette in das mondäne Paris der Jahrhundertwende. Dabei glichen sie das Personal den erprobten Figuren aus der Lustigen Witwe an. Hanna Glawari verwandelte sich in die erfolgreiche Sängerin Angèle Didier, und der Maxim-Besucher Graf Danilo kehrte in der Figur des ebenfalls leichtlebigen René Graf von Luxemburg zurück. Der eifersüchtige Balkan-Gesandte Mirko Zeta trat nunmehr als tollpatschiger, russischer Fürst Basil Basilowitsch auf, der die Sängerin Angèle liebt. Da diese aber nicht von adligem Stand ist, engagiert Basil den von Gläubigern geplagten Graf René. Dieser soll gegen eine halbe Million Francs eine Scheinehe mit Angèle eingehen, um sich wenige Monate später wieder scheiden zu lassen. Angèle würde durch diese Ehe zur Gräfin erhoben und einer Eheschließung mit dem Fürst wäre nunmehr möglich. Doch es kommt operettengemäß anders. Auf einem Ball im zweiten Akt treffen Angèle und René, die während der Hochzeitszeremonie durch einen Paravent voneinander getrennt waren, aufeinander und verlieben sich, ohne zu wissen, dass sie bereits miteinander verheiratet sind. Selbstverständlich werden sie im dritten Akt ein Paar, und Fürst Basil tröstet sich mit der Gräfin Stasia Kokozow.

Eine moderne Salonoperette

Alfred Willner und Robert Bodanzky schufen in Zusammenarbeit mit Franz Lehár mit Der Graf von Luxemburg das neue Muster der Salonoperette, welches bis in die Dreißigerjahre gültig blieb. Das dramaturgische Schema war immer gleich: Im ersten Akt lernt sich das Liebespaar kennen, zerstreitet sich im „dramatischen“ zweiten Finale und bekommt im dritten Akt Gelegenheit, die Missverständnisse aufzuklären. Doch nicht nur Lehár selbst, sondern auch andere Operettenkomponisten folgten dieser Schablone wie Emmerich Kálmán in dem 1926 uraufgeführten Kassenschlager Die Zirkusprinzessin. Der Besetzung des ersten Paars mit Fracktenor und Operettendiva entsprach die Konstellation des zweiten Paars, das mit der eigentlichen Handlung nichts zu tun hat. Im Graf von Luxemburg bilden der Maler Armand und seine Freundin Juliette das Buffopaar, das mit damals modernen Tanzschlagern als singende und tanzende Zugabe effektvolle Musiknummern präsentiert.

Walzer als Leitmotiv

Wie selten bei Lehár dominierte in seiner Partitur zum Der Graf von Luxemburg der Walzer, besonders aber der für den Komponisten typische Valse moderato, in den er nach eigener Aussage wie in dem Duett Bist du’s, lachendes Glück möglichst „viel Schmelz“ legte. Völlig neu und in der Musik zu Operetten bis dahin unüblich war, dass Lehár aus den geschlossenen Nummern der Arien und Duette leitmotivische Bruchstücke übernahm, die er an anderen Stellen der Handlung wieder in die Musik einfügte. So erscheint, als René im zweiten Akt seine wahre Identität enthüllt, sein Auftrittslied zwischen Dur und Moll verzerrt, und auch sein Handschuh-Lied Es duftet nach Tréfle Incarnat besitzt musikalische Reminiszenzen an die Scheinhochzeit im ersten Akt. Lehár fügte angeregt durch Puccini seiner Partitur Oboe und Harfe hinzu, erfand raffinierte Modulationen und rhythmisch neu geprägte Walzer, und ergänzte seine Komposition durch eine Mazurka und einen effektvollen Marsch. „Wir bummeln durchs Leben, was schert uns das Ziel, geht’s auch daneben, wir fragen nicht viel, fliegt auch das Geld zum Fenster ’raus, Kinder, seid froh – und macht euch nichts draus“ singen die Protagonisten im Finale des dritten Akts und beschwören damit die ungebrochene Lebensfreude der Operette.

Küsse im Dreivierteltakt

Die Uraufführung des Graf von Luxemburg war in Wien am 12. November 1909 ein großer Erfolg. Eine spätere, ebenfalls begeistert aufgenommene Aufführung in Berlin brachte Alfred Döblin leicht ironisch auf den Punkt: „Soviel Küsse, soviel Tanz, soviel Schlager – mein Liebchen, was willst du mehr.“ Es folgten Aufführungen in London, Budapest und Paris. 1912 wurde Der Graf von Luxemburg sogar in New York am Broadway gespielt. Die im Auftrag von Adele Strauß neu getextete Operette Reiche Mädchen ging hingegen wenige Wochen später bei der Premiere in Wien sang- und klanglos unter.

Ein neues Lied für Johannes Heesters

1937 nahm sich Lehár nochmals seiner Operette an und schuf für eine Berliner Aufführung eine zweite Fassung. Er arrangierte nicht nur die Eröffnungsszene neu, sondern schrieb ein zusätzliches Couplet für den Auftritt der Gräfin Stasia im dritten Akt. Und als Johannes Heesters 1941 am Berliner Metropol-Theater als René in Der Graf von Luxemburg auftrat, wandte sich der berühmte Tenor mit einem Wunsch an den Altmeister der Operette. Lehár sollte für Heesters mehr als dreißig Jahre nach der Uraufführung des Graf von Luxemburg eine neue Arie für den beliebten Tenor beisteuern. Lehár entschied sich für eine Komposition, die er ursprünglich für den Film Die große Attraktion schrieb, die dort aber keine Verwendung fand. Günther Schwenn verfasste zur Musik neue Verse – und fertig war der Schlager Wann sagst du ja?

Musikalisches Zwetschgenmus

Auch im Kino war Der Graf von Luxemburg erfolgreich. Bereits 1910 gab es nur ein Jahr nach der Uraufführung einen Kurzstummfilm mit Grammophonbegleitung, dem 1926 ein abendfüllender Stummfilm folgte. 1957 kam dann ein Farbfilm mit Gerhard Riedmann, Renate Holm und Gustav Knuth in den Hauptrollen in die Kinos. Mit seiner Ausgewogenheit zwischen lyrischen und heiteren Nummern, mit Pariser Klangkolorit und rauschenden Ensembleszenen besitzt Der Graf von Luxemburg eine bis heute ungebrochene Beliebtheit und Bühnenwirksamkeit. Nur Karl Kraus zeigte sich – nicht zum ersten Mal – von Lehárs walzerseligen Operetten wenig beeindruckt. 1932 schrieb Kraus in der Fackel: „Die Welt und leider auch Frankreich ist von diesem Zwetschgenmus eines musikalischen Schönpflug überzogen. Sie haben eine Grande Duchesse de Gérolstein und spielen den Count de Luxembourg!“