Franz Steiner übernahm 1880 nach dem Tod seines Vaters Maximilian die künstlerische Leitung des Theaters an der Wien. Zum Erbe gehörte eine Schuldenlast von hunderttausend Gulden, die abgetragen werden musste, um den Spielbetrieb des privat geführten Theaters aufrecht zu erhalten. Um die Kasse zu füllen, bat Franz Steiner den führenden Operettenkomponisten seiner Zeit, ein neues Bühnenwerk zu schaffen: Johann Strauß sagte zu.
Ein spanisches Sujet
Seit der 1874 begeistert aufgenommenen Uraufführung der Fledermaus waren einige Jahre vergangen, und die darauf folgenden Operetten Cagliostro in Wien (1875), Prinz Methusalem (1877) und Blindekuh (1878) waren in ihren bescheidenen Aufführungszahlen weit hinter den Erwartungen des Komponisten zurückgeblieben. Der Walzerkönig brauchte dringend einen Erfolg, um sich als Bühnenkomponist weiterhin neben Franz von Suppé und Karl Millöcker behaupten zu können, und begann mit der Suche nach einem Librettisten. Fündig wurde er bei Heinrich Bohrmann, wenn auch über Umwege. Bohrmann, Theaterdirektor in Pressburg, hatte eine Komödie über den spanischen Dichter Miguel de Cervantes geschrieben. Als Bohrmann von seinem Wiener Verleger Gustav Lewy erfuhr, dass Franz von Suppé ein spanisches Sujet für eine neue Operette suchte, wollte Bohrmann ihm seine Komödie als Librettovorlage anbieten. Bei Bohrmanns Ankunft in Wien hatte Suppé bereits mit der Arbeit an seiner Operette Donna Juanita auf einen Text von Richard Genée und Friedrich Zell begonnen. Gustav Lewy schlug Bohrmann vor, stattdessen dem Walzerkönig die Cervantes-Komödie als Operettensujet anzubieten. Bohrmann las Strauß aus seiner Dichtung vor, der Komponist war einverstanden und sagte die Vertonung zu.
Der Dichter als Liebhaber
Als Inspirationsquelle für sein Bühnenstück, das der Operette Das Spitzentuch der Königin als Vorlage dienen sollte, wählte Bohrmann eine Episode aus dem Leben des Dichters Miguel de Cervantes (1557-1616), dessen 1605 veröffentlichter Roman Don Quijote zur Weltliteratur gehörte. In seiner Komödie, die am Hof des portugiesischen Königs Sebastian I. um 1570 spielte, ging Bohrmann mit der historischen Wahrheit großzügig um und vermischte Fakten mit Fiktion. Zwar war Cervantes auf der Flucht vor der spanischen Inquisition nach Portugal gelangt, doch verdiente er sein Geld als Söldner. Seine Tätigkeit als Vorleser des portugiesischen Königs war eine Erfindung von Heinrich Bohrmann; zudem gelangte Cervantes erst nach dem Tod von König Sebastian (1554-1578) nach Portugal. König Sebastiano, wie er in der Strauß-Operette genannt wird, stand als Titelheld bereits in der in Paris 1843 uraufgeführten Oper Dom Sébastien de Portugal von Gaëtano Donizetti im Mittelpunkt. Doch während Sébastien bei Donizetti sein Vaterland Portugal verlässt, um in Afrika die Moslems zu besiegen und im Finale der Oper in Marokko von politischen Gegnern erschossen wird (tatsächlich fiel der König in einer Schlacht gegen die Araber), überlebt König Sebastiano im Spitzentuch der Königin die Handlung.
Trüffel und Champagner
Johann Strauß beauftragte Richard Genée, die Gesangstexte zum Spitzentuch der Königin zu schreiben. An den Dialogen werkelten neben Heinrich Bohrmann und Julius Nigri noch zwei weitere Autoren herum, und so blieb von der Schauspielvorlage wenig übrig. In der Operette von Johann Strauß möchte der Premierminister Graf Villalobos das Königreich Portugal unter die Herrschaft von Spanien stellen. König Sebastiano soll deshalb entmachtet werden. In die Handlung verwoben ist die unglückliche Ehe des jungen Königs mit einer namenlosen Königin; namenlos deshalb, weil der historische Sebastian von Portugal niemals geheiratet hat. König Sebastiano zieht in der Operette zudem kulinarische Genüsse den erotischen Freuden vor. Die Liebe zu Trüffeln und Champagner haben der intrigante Premierminister Graf Villalobos und der Erzieher Don Sancho im König erweckt, um durch die wachsende Entfremdung des Herrscherpaars einen legitimen Thronfolger zu verhindern, was die Machtübernahme in Portugal durch die spanische Krone erleichtern soll. Diese Pläne kann Cervantes durch eine Reihe von Intrigen verhindern. Eine wichtige Rolle spielt dabei ein Spitzentuch der Königin, das von Hand zu Hand geht.
Gelangweilte Kritiker
Bei der Uraufführung im Theater an der Wien am
Geschickte Zweitverwertung
Doch Strauß war erfinderisch, wenn es darum ging, Musik aus seinen wenig erfolgreichen Operetten (die in seinem Oeuvre die Mehrheit bildeten) für den Konzertgebrauch zu retten. Schon vier Tage nach der Uraufführung von Das Spitzentuch der Königin kündigte der Verleger August Cranz einen neuen Walzer an: Rosen aus dem Süden. Strauß stellte ihn aus zwei Nummern seiner Operette zusammen. Die Musik des Walzers entnahm Strauß dem vom König gesungenen „Trüffel-Couplet“ entnommen und mit weiteren musikalischen Motiven ergänzt, darunter Cervantes Romanze „Wo die wilde Rose blüht“. Am 7. November 1880 erklang der Walzer Rosen aus dem Süden im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins unter der musikalischen Leitung seines Bruders Eduard Strauß zum ersten Mal.
Posthume Uraufführung
In der Originalpartitur zum Spitzentuch der Königin hatte Johann Strauß die Komposition „Wo die wilde Rose blüht“ als Nummer 7 vorgesehen. Gesungen werden sollte sie in einer Terzettfassung von der Königin, dem König und der Hofdame Irene. Als Zugeständnis an Ferdinand Schütz, der sich als erster Sänger des Cervantes darüber beklagte, dass seine Partie keine Solo-Arie aufwies, arbeitete Johann Strauß das Rosen-Terzett in eine Tenor-Romanze um. Bei der Premiere der Neuinszenierung in der Staatsoperette Dresden am 27. April 2007 wurde das in der Uraufführung gestrichene Terzett zum ersten Mal in der ursprünglich von Strauß vorgesehenen Fassung gesungen.