Samstag, 15. Januar 2011

Eviva España DIE ZARZUELA





Mit der englischen und französischen Operette teilt die spanische Zarzuela das gleiche Schicksal: Sie ist über das eigene Land kaum hinausgedrungen. Einen Eindruck von ihrer mitreißenden Musik haben bei uns in den letzten Jahren vor allem die spanischen Sänger Placido Domingo, José Carreras und Montserrat Caballé in ihren Konzerten gegeben, in denen sie den musikalischen Kosmos der Zarzuela vorstellten, die mehr ist, als nur die spanische Form der Operette.

Brombeeren mit Musik

Die Wurzeln der Zarzuela liegen im 17. Jahrhundert, als die höfischen Dramen von Pedro Calderón de la Barca ihre Blüte erlebten. In diese Theaterstücke wurden Gesänge und kurze Musikeinlagen eingestreut. Die Aufführungen fanden zumeist im Palacio de la Zarzuela nahe bei Madrid statt, der von Brombeerhecken umgeben war. Der Name Zarzuela leitet sich deshalb von „zarzal“, zu Deutsch Brombeerstrauch ab, und „Zarzuela“ bedeutet „Brombeersträuchlein“. Aus den durch Musiknummern erweiterten Stücken von de la Barca mit mal tragischen, mal heiteren Sujets entwickelten sich im 18. Jahrhundert anspruchslose Singspiele mit volkstümlichem Einschlag und burlesken Szenen, die so genannten „Tonadillas“, was wörtlich übersetzt Liedchen bedeutet.

Pralles Leben

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Madrid mit dem Teatro del Circo und dem heute noch existierenden und die Tradition pflegenden Teatro de la Zarzuela eigens Bühnen für eine neue Form des spanischen Musiktheaters errichtet. Im Lauf der Zeit hatten sich die „Tonadillas“ nach und nach in abendfüllende Stücke verwandelt – die „Zarzuela grande“ war geboren. Beibehalten wurde, um die Handlung voranzutreiben, der gesprochene Dialog. Aber die musikalischen Abschnitte nahmen mehr Raum ein. Nicht nur auf die Solisten warteten anspruchsvollere Aufgaben. Vor allem der Chor – in seiner Funktion als Vertretung des einfachen Volks – erhielt eine Bedeutung, die jener in der zeitgleichen italienischen Oper bei weitem überstieg, in der er als mehr oder weniger unbeteiligtes Kollektiv das dramatische Geschehen begleitete. Zudem wurden in Spanien im Gegensatz zur italienischen Oper keine Staatsaktionen wie in „Anna Bolena“ oder romantisierende Stoffe wie in „Lucia di Lammermoor“ zur Grundlage der Handlung gemacht, sondern in den Inhalten der Zarzuelas wurde die spanische Sache verhandelt, in spanischer Sprache und mit spanischen Menschen, die dem prallen Leben entsprungen waren. Beliebt bei den Theaterbesuchern war auch das sich parallel zur „Zarzuela grande“ entwickelnde einaktige „genero chico“, das auch „teatro por horas“, Stundentheater genannt wurde, weil die einstündigen Aufführungen nur vier musikalische Darbietungen pro Abend zuließen.

Spanische Glut

Ausschlaggebend für die Neuentwicklung der Zarzuela nach 1850 war das Schaffen von Francisco Asenjo Barbieri. Sein „Barberillo de Lavapiés“ (1874) gilt als Schlüsselwerk der Zarzuela. Der Friseur Lamparilla ist ein Bruder im Geiste des munteren Barbiers aus Sevilla à la Rossini. Bei Barbieri ist er aber kein Strippenzieher mehr, sondern ein verwegener Kritiker der Oberschicht, was nicht zuletzt am Stimmfach ablesbar ist; der Bariton bei Rossini hat sich bei Barbieri in einen Buffotenor verwandelt. Und während für Rossini die Stadt Sevilla nur die Folie für eine amüsante Handlung bildete, wurde in Barbieris „Barberillo de Lavapiés“ die bekannte spanische Stadt zum zentralen Ort der Verwicklungen um einen Barbier, der seinen Mund nicht halten kann: Lavapiés ist schließlich das Altstadtviertel von Madrid, wo das einfache Volk regiert. In der musikalischen Charakterisierung dieser Schicht geben die Tanzrhythmen Copla und Jota den Ton an, und Barbieri setzt die Glut Spaniens und seiner nicht weniger glutvollen Bewohner in einer mitreißenden Musik um. Barbieris Meisterwerk markierte die Wiederbelebung eines eigenständigen spanischen Theaters nach fast zweihundert Jahren der Bedeutungslosigkeit im europäischen Vergleich.

Lebensnahe Typen

Bis zum Ende des 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zarzuela zum musikalisch und dramaturgisch unverwechselbaren Genre, das in Spanien bis heute den selben Ruf genießt wie in den deutschsprachigen Ländern die Operetten von Strauß, Kálmán und Lehár. Die in den Jahren nach 1880 komponierten Zarzuelas von Komponisten wie Ruperto Chapí, Federico Chueca und Jerónimo Giménez griffen den musikalischen und dramaturgischen Faden von Barbieri auf, dessen „Barberillo“ zum Vorbild einer ganzen Gattung wurde, so wie es „Die Fledermaus“ von Johann Strauß für die österreichische Operette war. Doch es gibt einen feinen Unterschied: In den Bühnenwerken der österreichischen Operettenkomponisten wird vor allem von den Liebesaffären der bürgerlichen Oberschicht und der Adligen erzählt. In der Zarzuela stehen dagegen deftige und lebensnahe Typen aus der Vorstadt im Mittelpunkt der Handlung, vom liebeshungrigen Alten über den korrupten Polizisten und den listigen Schneider bis hin zur verführerischen, wenn auch verheirateten Señorita. Personen der höheren Schichten sind nicht von vorneherein ausgeschlossen, doch stehen sie meist in schlechtem Licht da und sind von fragwürdiger Erscheinung.

Furiose Tanzszenen

Die Texte der Zarzuelas geben abgesehen von privaten Liebesgeschichten die Machtverhältnisse zwischen Oben und Unten in aller Deutlichkeit wieder und vermitteln etwas von den feudalen, patriarchalischen und kirchlichen Zwängen Spaniens, die in den gesungenen Arien, Duetten und Ensembles kritisiert werden. Darin gleicht die Zarzuela der Absicht des Komponisten Jacques Offenbach, der ein ähnliches Ziel hat: die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen. Doch während Offenbach zum Stilmittel von Karikatur und Ironie greift und die Handlungen seiner Operetten in das alte Griechenland verlegt, um sich über die Herrschenden im Gewand antiker Helden lustig zu machen, ist es in der Zarzuela das Volk selbst, das seine Vorstellungen einer freieren Gesellschaft formuliert. Je heftiger der äußere Druck ist, desto ausgelassener geht es auf der Bühne zu, wenn sich in furiosen Tanzszenen gegen die Herrschaftsstrukturen aufbäumt wird. Es handelt sich bei diesen raumgreifenden Tänzen nicht wie in der Wiener Operette um elegante Walzer-Einlagen, die das klassisch geschulte Corps de ballet auf Spitze vorführt, sondern um Rhythmen, die der spanischen Folklore entlehnt sind.

Pulsierende Rhythmen

Kritiker wie der Komponist Manuel de Falla waren allerdings um 1900 der Ansicht, dass sich die Zarzuela nicht aus echter Folklore speiste, sondern aus sentimentalisierten und trivialisierten Schablonen mit Neigung zu Salonmusik und Schlagerweisen bestand. Doch die reiche Palette der Musik und ihre Aufgabe ist vielseitiger, als Manuel de Falla zuzugeben bereit war. Die Musik zielt nicht nur darauf ab, die maßgeblichen Konflikte der Handlung in Arien und Duetten zum Klingen zu bringen, sondern sie drückt auch Haltungen aus, die den handelnden Hauptpersonen offiziell verwehrt sind. Die Musik macht sich stark für die Bedürfnisse, die den gesellschaftlichen Zwängen zum Opfer fallen. Kecke Spottlieder im Tarantellarhythmus, der pulsierende Rhythmus der Jota als Zeugnis klingenden Selbstbewusstseins des Volks und die faszinierende Klangwelt von Flamenco, Habanera, Seguidilla, Tango und Bolero lassen die musikalische Vielfalt der spanischen Welt im Wirbel von Tanz und Gesang plastisch entstehen. Gesungen wird von alltäglichen Begebenheiten und natürlich von der Liebe. In Romanzen und Duetten streiten sich die Liebespaare oder kommen sich wieder näher und träumen dann von einem gemeinsamen Leben.

Ekstatische Tanzgesänge

Dennoch sind die vielen Zarzuelas mehr als nur ein bunter Bilderbogen spanischer Gefühlssausbrüche. In den Tanzszenen, in denen die Haupt- und Nebenfiguren mit Chor und Ballett zu einer musikalisch-szenischen Einheit verschmelzen, wird allen gesellschaftlichen und politischen Widrigkeiten getrotzt. So erklärt es sich, dass viele Zarzuelas ihren musikalischen Höhepunkt in einem Volksfest haben. Es handelt hierbei um keine exklusiven Feste, wie der Ball von Prinz Orlofsky im zweiten Akt der „Fledermaus“, sondern um kalendarisch beglaubigte Feiern, die zum spanischen Jahreslauf gehören. In diesen Festen meist kirchlicher Prägung explodieren musikalisch die persönlichen Spannungen der unterdrückten Klassen und Gefühle. In den bisweilen ekstatischen Tanzgesängen der Zarzuela blitzt etwas vom Wunschbild einer klassenlosen Gesellschaft auf, in der Unrecht und Unterdrückung der Vergangenheit angehören.

Wünsche und Hoffnungen

Im Gegensatz zur Wiener Operette, die am Oben und Unten festhält, ein charmantes Bild der oberen Schichten entwirft und die gesellschaftlichen Gegensätze nicht in Frage stellt, zeigt die Zarzuela dem Volk und damit den Theaterbesuchern, was für eine Kraft und Potenz in ihnen steckt, wenn man sie nur lassen würde. Auf den vielen Festen, die in der Zarzuela gefeiert werden, tanzen mit feurigen Rhythmen Adlige, Vermögende, Blumenhändler, Fabrikmädchen, Eselstreiber und Lotterieverkäufer das Ende des Standesunterschiedes herbei: Bolero und Fandango einigen für einen kurzen Augenblick die spanische Gesellschaft und heben soziale Gegensätze auf. Die Zarzuela zeigt in diesen Momenten die Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaftsordnung. Sie spiegelt als Volkstheater im besten Sinne gesellschaftliche Wünsche und Hoffnungen wieder und erträumt im musikalisch-tänzerischen Miteinander Utopien. Aber sie weist nicht den Weg dorthin. Um mehr als ein privates Glück zu finden bedarf es ganz anderer Mittel, als es die Zarzuela als Katalysator unerfüllter politischer Hoffnungen vermag.

Johann Strauß PRINZ METHUSALEM


Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ war bei der Erstaufführung in Wien 1860 ein sensationeller Erfolg. Johann Strauß Sohn, der seinen Ruhm seinen Walzern, Polkas und Märschen verdankte, blickte neidisch auf den Konkurrenten aus Paris. Strauß beschloss, ebenfalls Operetten zu komponieren, um seinen Ruf, der führende Komponist von Unterhaltungsmusik seiner Zeit zu sein, nicht zu gefährden. Doch den Plan auch für das Theater zu schreiben, schob er viele Jahre vor sich her, weil er Zweifel daran hegte, ob sich seine Tanzmusik, wenn sie mit Gesangsversen versehen wurde, auf der Bühne behaupten könnte.

Debüt mit 46 Jahren

Nachdem auch der Wiener Komponist Franz von Suppé begonnen hatte, Operetten zu schreiben, sah sich Johann Strauß gezwungen, in die Offensive gehen. Seine Ehefrau Jetty bat den Theaterdirektor Maximilian Steiner, Buch und Gesangsverse für die Operette „Indigo und die vierzig Räuber“ zu liefern, mit der Strauß 1871, im Alter von 46 Jahren, sein Debüt als Komponist von Operetten gab. 1873 folgte „Der Karneval in Rom“. Mit der 1874 uraufgeführten „Fledermaus“ konnte Johann Strauß endgültig beweisen, dass er nicht nur eingängige Tanzmusik zu komponieren vermochte, sondern das Talent besaß, Figuren musikalisch zu charakterisieren und auf der Bühne dramatische Spannung zu erzeugen.

Wiener Operette à la Offenbach

Das hochgesteckte Ziel mit seinen Operetten auch Paris zu erobern, um Jacques Offenbach an seiner ureigensten Wirkungsstätte Paroli bieten zu können, schien in greifbare Nähe gerückt zu sein, als 1875 „Indigo und die vierzig Räuber“ am Pariser Théâtre de la Renaissance unter dem französischen Titel „La Reine Indigo“ aufgeführt wurde. Strauß, der zu den Proben nach Paris gereist war, berichtete in einem Brief nach Wien an den Textdichter Richard Genée von einem „größtmöglichen Erfolg“ und äußerte den Wunsch, als nächstes eine „typische französische Operette“ zu komponieren. Was Strauß als typisch für die französische Operette ansah, führte er nicht näher aus. Vermutlich dachte er an ein Bühnenwerk, das sich durch parodistische und satirische Elemente auszeichnete. Genée bot ihm ein Libretto an, das auf Eugène Scribes Textbuch zur komischen Oper „La Circassienne“ basierte, das Daniel-François-Esprit Auber 1861 vertont hatte. Darin verkleidet sich ein Soldat als Frau, um seiner Geliebten nahe zu sein. Strauß lehnte den Textentwurf ab. Genée reichte das verschmähte Textbuch an Franz von Suppé weiter, der es 1876 unter dem Titel „Fatinitza“ vertonte und damit Triumphe feierte. Nun schaltete sich Franz Jauner ein. Er war als Direktor des Wiener Carl-Theaters an der Aufführung einer neuen Strauß-Operette und den damit zu erwartenden hohen Einnahmen sehr interessiert, und hatte zudem erfahren, dass Johann Strauß eine Operette im französischen Stil komponieren wollte. Franz Jauner beauftragte die Pariser Librettisten Victor Wilder und Alfred Delacour, die bereits an der französischen Fassung der „Fledermaus“ arbeiteten, ein Libretto für Johann Strauß zu schreiben, dessen satirische Seitenhiebe auf Politik und Militär entfernt an Offenbachs Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ erinnern.

Eine missliche Lage

Die beiden Herrscher der Königreiche Rikarak und Trocadero haben beschlossen, dass Prinz Methusalem mit Prinzessin Pulcinella in den Stand der Ehe treten. Nach der Hochzeit sollen beide Länder friedlich vereinigt werden. Die Realisation erweist sich als schwierig: Methusalem und Pulcinella haben ihre eigenen Pläne, und als in beiden Staaten revolutionäre Unruhen ausbrechen, geraten die Könige in eine missliche Lage. Die Uraufführung in Paris vor Augen, begann Strauß nach Erhalt des in französischer Sprache geschriebenen Librettos mit der Vertonung, doch die Arbeit geriet ins Stocken. Da Strauß kein Französisch sprach, hatte er Schwierigkeiten, die in einer ihm unbekannten Sprache verfassten Verse mit Musik zu versehen. Es half wenig, dass seine Ehefrau Jetty die Gesangstexte sinngemäß ins Deutsche übertrug. Um die Partitur zu „Prinz Methusalem“ beenden zu können, ließ Strauß sich von Carl Treumann die französischen Texte übersetzen. Nach Fertigstellung seiner neuen Operette nahm der Komponist Verhandlungen mit Pariser Theaterdirektoren auf, die keinerlei Interesse daran zeigten, „Prinz Methusalem“ in Frankreich aufzuführen. Franz Jauner bot daraufhin Strauß an, die Weltpremiere im Wiener Carl-Theater stattfinden zu lassen.

Politische Anspielungen

Die Uraufführung von „Prinz Methusalem“ am 3. Januar 1877 unter der musikalischen Leitung von Johann Strauß wurde vom Wiener Publikum mit Zustimmung aufgenommen, die Kritiker verhielten sich in ihren Besprechungen zurückhaltend. Sie konnten mit dem ursprünglich für eine Aufführung in Paris konzipierten Libretto wenig anfangen, das mit Anspielungen auf die nach dem Deutsch-Französischen Krieg immer noch herrschenden politischen Spannungen zwischen den beiden Völkern aufwartete. Die Phantasiestaaten Rikarak und Trocadero stehen für das neu gegründete Deutsche Reich unter der Führung von Preußen, das als Militärmacht galt, und Frankreich, dessen Hauptstadt Paris das Zentrum der Kunst, der Musik und des Theaters war. In der Strauß-Operette beklagt Cyprian von Rikarak den Überschuss von Soldaten auf seinem Territorium, der König von Trocadero ist hingegen unglücklich darüber, dass es in seinem Reich so viele Künstler gibt. Die für eine französische Operette typischen Elemente des Zeitbezugs und damit verbundener aktueller politischer Anspielungen im satirisch-ironischen Stil der Offenbachiaden war für die biedere Wiener Operette etwas gänzlich Neues. Auch die karikierende Darstellung staatstragender Persönlichkeiten hatte es bislang nicht gegeben. Prinz Methusalems altersschwacher Vater Cyprian wird von seiner Ehefrau Sophistika gegängelt, sein eitler Schwiegervater Sigismund wird durch sein skurriles Machtstreben zu einer lächerlichen Figur. Hinzukommen die Gegensätze von Jung und Alt und deren andersgeartete Vorstellungen vom Leben. Da die Hauptpartie des „Prinz Methusalem“ als Hosenrolle für eine Mezzosopranistin konzipiert war, wurde aus dem Königssohn ein verträumter Held, der Sinnlichkeit über Politik stellt; die zärtlichen Gesänge mit Prinzessin Pulcinella galten nach damaligem Verständnis als pikant.

Süße Romanzen

In seiner gleichzeitig liebenswürdig-absurden wie reizvoll-erotischen Musik suchte Johann Strauß die gleichberechtigte Koexistenz von melodienseligen Wiener Tanzweisen und pulsierendem Pariser Flair. Neben dem für ihn typischen Walzer stehen große, rhythmisch geprägte Szenen. Die Hochzeitsfeier explodiert in einem berauschendem Ensemble à la Offenbach, in dem der Krieg als Salonereignis auf die Schippe genommen wird. Während Methusalem und Pulcinella von ihrer Liebe in süßen Romanzen singen, die eine an französische Musik gemahnende Leichtigkeit erreichen, sind König Sigismunds Couplet „Das Tipferl auf dem I“ und Prinz Methusalems „Generalslied“ der deftigen Sphäre des Wiener Volkstheaters zuzuordnen. So führte nicht nur die Handlung mit ihren aktuellen Anspielungen, sondern auch die Musik bei den Kritikern zu geteilten Meinungen. Die einen sprachen von „hüpfenden Melodien auf einen langweiligen Text“, die anderen lobten die „geschickt und stimmungsvoll komponierten Finali“. Eduard Hanslick schrieb in seiner Uraufführungskritik: „Strauß, der schon von Hause aus als Walzerkomponist sich durch Sorgfalt und Geschmack in der Instrumentierung hervortat, hat auch im Methusalem diese Erwartung nicht getäuscht. Das Orchester blinkt und glitzert von feinen Klangeffekten.“ Der ganz große Erfolg wollte sich dennoch nicht einstellen. „Prinz Methusalem“ brachte es in Wien auf nur 69 Vorstellungen. Das Illustrierte Wiener Extrablatt fasste die Situation von Johann Strauß zusammen: „Der Wiener Kompositeur par excellence wollte Offenbach der Zweite werden, aber er blieb Strauß der Erste. So sehr er es auch wollte, er konnte seine künstlerische Individualität nicht verleugnen.“

Paris bleibt stumm

Wenige Tage nach der Wiener Uraufführung begab sich Strauß nach Paris, um mit seinem Orchester auf Maskenbällen aufzuspielen. Er führte Gespräche mit den französischen Librettisten Victor Wilder und Alfred Delacour, die auf Grundlage der Partitur zu „Prinz Methusalem“ die französischen Gesangstexte überarbeiten und revidieren sollten, um eine Aufführung in Paris zu ermöglichen. Wenige Monate später reiste Strauß nochmals in die französische Hauptstadt, um die für den 30. Oktober 1877 anberaumte Pariser Erstaufführung seiner „Fledermaus“ unter dem französischen Titel „La Tsigane“ zu besuchen. Bei einer erneuten Zusammenkunft mit den Librettisten musste Strauß feststellen, dass die französische Umarbeitung von „Prinz Methusalem“ bruchstückhaft geblieben war. Strauß zog seine Partitur zurück, zu seinen Lebzeiten wurde „Prinz Methusalem“ in Paris nicht aufgeführt.