Samstag, 30. Januar 2010

Emmerich Kálmán DIE CSÀRDÀSFÜRSTIN



Als 1874 in Wien die Operette "Die Fledermaus" von Johann Strauß uraufgeführt wurde, hatte es wenige Monate zuvor einen Börsenkrach gegeben, der viele Wiener in den finanziellen Ruin trieb. Anfang November 1905 gab es in Wien mehrere großen Demonstrationen für das allgemeine Wahlrecht, verbunden mit einem mehrtägigen Streik der Eisenbahner, der den gesamten Verkehr lahm legte, und zu Versorgungsengpässen führte. Parallel dazu wurde im Theater an der Wien die Uraufführung der walzerseligen Operette "Die lustige Witwe" von Franz Lehár geprobt. Und als 1915 die Weltpremiere der "Csárdásfürstin" ein überwältigender Erfolg wurde, lief die Vernichtungsmaschinerie des Ersten Weltkriegs bereits mehr als ein Jahr.

Tanz auf dem Vulkan

Politische und wirtschaftliche Krisensituationen gab es im Lauf der Geschichte auch in anderen Ländern. Um sich über schlechte Zeiten hinweg zu trösten, hieß es dann in der Bevölkerung „Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“. Nicht so in Österreich. Die Wiener verwandelten den Satz in das Bonmot: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst!“. Und wenn die allgemeine Lage in Wien noch so bedenklich war – und das war im Lauf der Geschichte häufig der Fall – wurde über Revolutionen, Finanzkrisen und Kriege hinweggetanzt.

Vom Pianisten zum Komponisten

Imre Kálmán (1882 - 1953), der sich im deutschsprachigen Raum den Vornamen Emmerich gab, erhielt in Budapest eine pianistische Ausbildung, die er wegen eines chronischen Armleidens abbrach. Kálmán wandte sich der Komposition zu. Seine erste Operette "Tatárjárás" kam 1908 in Budapest heraus. Sie wurde im folgenden Jahr auch in Wien unter dem deutschen Titel "Ein Herbstmanöver" als überzeugende Talentprobe gespielt. Die folgenden Bühnenwerke "Der gute Kamerad" (1911) und "Der kleine König" (1912) kamen weniger gut an, nur "Der Zigeunerprimas" wurde am Johann-Strauß-Theater 1912 mehr als 200 Mal aufgeführt.

Liebe im Walzertakt

Auf der Suche nach einem neuen Libretto entschied sich Kálmán für einen Stoff von Leo Stein und Béla Jenbach. Die Textvorlage nahm ihre Spannungsmomente aus dem Gegensatz zwischen Aristokratie und Künstlertum, in dem eine unstandesgemäße Verbindung für dramatische Konflikte sorgte. Die gefeierte Unterhaltungssängerin Sylva Varescu liebt den jungen Fürst Edwin von Lippert-Weylersheim. Um einer Verlobung mit Komtesse Stasi auszuweichen, die sein Vater fordert, gibt Edwin seiner Geliebten überstürzt ein Eheversprechen. Als Sylva von der avisierten Verlobung mit Stasi erfährt, begibt sich sie enttäuscht auf eine Gastspielreise nach Amerika. Schließlich stellt sich heraus, dass auch Fürst Lippert-Weylersheim Senior mit einer ehemaligen Nachtklubsängerin in dritter Ehe verheiratet ist. Das glückliche Ende wird von Edwin und Sylva im Walzertakt gefeiert.

Immer feste druff!

Die Verträge mit dem Bühnenverlag und dem Johann-Strauß-Theater wurden im April 1914 geschlossen. Den größten Teil der Partitur zur "Csárdásfürstin" komponierte Kálmán somit in den Monaten vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Der Kriegsbeginn im Juli 1914 führte zu einem Abbruch der Komposition. Kálmán stand nicht der Sinn nach lustigen Tanzduetten und konstruierten Theaterkonflikten, während der Krieg in seine erste Phase trat, und er sich um das Schicksal seiner in Ungarn lebenden Verwandten sorgte. Der Krieg bedeutete jedoch nicht, dass die Theater ihren Spielbetrieb einstellten. Nationalbetonte Dramen und patriotische Singspiele verdrängten zeitweise die heitere Tanzoperette. Propaganda-Operetten sollten an der so genannten ‚Heimatfront‘ die Bevölkerung auf die Ziele der Kriegsführung einstimmen. Die Operettenkomponisten Walter Kollo (Immer feste druff, 1914), Franz Lehár (Liederzyklus "Aus eiserner Zeit", 1915), Paul Lincke (Fräulein Kadett, 1915), Leo Fall (Seemannsliebchen, 1916) und Leo Ascher (Der Soldat der Marie, 1916) schrieben vaterländische Weisen im Dreivierteltakt.

Patriotische Klänge

Auch Emmerich Kálmán steuerte eine Kriegsoperette bei. Er verwandelte 1914 die erfolglos gebliebene Operette "Der gute Kamerad" in das patriotische Singspiel "Gold gab ich für Eisen". Der Titel bezog sich auf die ‚Goldspende‘. Zu Beginn des Kriegs gaben die Frauen ihre goldenen Eheringe für Rüstungszwecke her und erhielten als Anerkennung und Ersatz für ihre gute Tat eiserne Ehrereife. Gold gab ich für Eisen wurde von vielen österreichischen und reichsdeutschen Bühnen gespielt, und Kálmán machte glänzende Kasse. Die Tantiemen ermöglichten es ihm, unbelastet von finanziellen Sorgen die Arbeit an der "Csárdásfürstin" wieder aufzunehmen, die er aber erneut einstellte. Am Johann-Strauß-Theater, an dem die Uraufführung vertraglich vorgesehen war, wurde die Laufzeit der Operette "Rund um die Liebe" von Oscar Straus immer wieder verlängert. Die Premiere der "Csárdásfürstin" wurde auf unbestimmte Zeit verschoben. Kálman wandte sich der Operette "Fräulein Susi" zu, die in Budapest im Februar 1915 uraufgeführt wurde.

Glanz und Elend

In Wien erlahmte das Interesse an patriotischen Operetten schnell. Der Krieg, dem die Politiker ein schnelles und siegreiches Ende vorausgesagt hatten, zog sich hin. Die Versorgungslage war fast zusammengebrochen und die Theater bemühten sich, den Mangel des Kriegsalltags durch glanzvoll ausgestattete Operettenaufführungen zu übertünchen. Emmerich Kálmán nahm die Arbeit an der unvollendeten Operette wieder auf. Sie hieß zunächst optimistisch gestimmt "Es lebe die Liebe!". Um jedoch Verwechslungen mit dem ähnlichen Titel des Kassenschlagers von Oscar Straus zu vermeiden, wurde die neue Operette in "Die Csárdásfürstin" umbenannt. Die Uraufführung fand am 17. November 1915 statt. An diesem Tag meldete die in Wien erscheinende Tageszeitung Die Reichspost: „Niederlage der Franzosen bei Belesch“ und „Russische Panzer vor der ungarischen Küste“. In derselben Ausgabe wurde die Bevölkerung zur „Verwendung von Kastanienmehl zum Brotbacken“ aufgefordert. Im Inserententeil warb die Firma Julius Schick für „Felduniformen - fertig lagernd und nach Maß für Offiziere und Einjährig-Freiwillige“. Berichtet wurde auch über Stadtrundfahrten und Theaterbesuche für verwundete Soldaten. Einige von ihnen saßen bei der Uraufführung im Parkett. Als Sylva betrat Mizzi Günther die Bühne, die als erste Hanna Glawari in Lehárs Welterfolg Die lustige Witwe Theatergeschichte geschrieben hatte. Karl Bachmann (Edwin), Susanne Bachrich (Stasi), Max Brod (Fürst Weylersheim) und Antal Nyára (Feri) komplettierten das Ensemble unter der musikalischen Leitung von Arthur Guttmann.

Rhythmische Kontraste

Der übergroße Erfolg, der sich an diesem Abend einstellte, beruhte auf der verschwenderischen Fülle inspirierter, eingängiger Musiknummern. Emmerich Kálmáns Komposition besaß melodische Erfindungskraft, ein feines Gespür für klangkoloristische Wirkungen und ein sicheres Gefühl für rhythmische Kontraste. Kálmáns weitere musikalische Trümpfe wurden schon im ersten Akt ausgespielt: Sein Sinn für ungarische Folklore und sein Griff nach mondänen Tanzrhythmen. Sylvas große Gesangsnummer „O jag dem Glück nicht nach“ war im Wechsel von langsamen und schnellem Tempo der Struktur ungarischer Tänze nachgebildet, Bonis schmissiges Marschlied „Ganz ohne Weiber geht die Chose nicht“ griff gänzlich unmilitärisch den Modetanz One-Step auf.

Jaj Mamam, Bruderherz

Die tänzerisch beschwingte Musik ergab aber mehr als nur einen bunten Abend. "Die Csárdásfürstin" spiegelte den zeitgeschichtlichen Hintergrund einer feudalen Gesellschaft wieder, die mitten im Krieg ihrem Untergang entgegenblickte. Bei der Fülle mitreißender Melodien kann leicht übersehen werden, dass die Librettisten Stein und Jenbach Gesangsverse geschrieben hatten, die mit ironischen Wortspielen und treffsicheren Reimen den Nerv ihrer Zeit trafen. Wenn Feri zu Beginn von „Die Mädis vom Chantant“ sang: „Alle sind wir Sünder! / Es wär‘ uns zwar gesünder, / bei Nacht zu liegen ausgestreckt im Bett, / doch das Großstadtpflaster hat uns verführt zum Laster, / und wir sind Lumpen drum von A bis Z“ und in der ungarischen Nummer „Jaj Mamam, Bruderherz, ich kauf‘ mir die Welt!“ die Frage formuliert wurde: „Weißt du, wie lange noch der Globus sich dreht, / ob es morgen nicht schon zu spät?“ gaben die Librettisten die Untergangsstimmung einer Welt der Lebemänner und der süßen Mädels wieder, in welcher der Schein das Sein überlagert. Der Tenorbuffo formulierte deutlich seine Lebensanschauung, mit der sich das damalige Publikum identifizieren konnte: „In der trauten Atmosphäre, wo man tanzt und küsst und lacht, / pfeif ich auf der Welt Misere, mach‘ zum Tag die Nacht“. Im Gegensatz zur offen propagandistischen Verarbeitung des Kriegsgeschehens in Gold gab ich für Eisen zeigte die "Csárdásfürstin" ein anderes Bild der Gegenwart. Feris Bekenntnis „Dieses ganze Jammertal ist für mich ein Nachtlokal“ und der den Zeitläuften trotzende Chor „Hurrah! Hurrah! Man lebt ja nur einmal, und einmal ist keinmal, / nur einmal lebt man ja!“ spiegelten den Tanz auf dem Vulkan wieder, zu dem die Csárdásfürstin aufspielte.

Lächeln unter Tränen

Die Wiener Zeitung schrieb über die Uraufführung: „Kálmáns Musik behält selbst im stärksten Übermute den Einschlag eines wehmütigen Moll. Wenn das Liebespaar singt: ‚War auch nur flüchtig der Traum - schön war es doch!’ lächelt die Musik unter Tränen.“ Dennoch war die "Csárdásfürstin" kein politisches Stück in der Nachfolge der satirischen Bühnenwerke von Jacques Offenbach, trotz einiger Spitzen gegen Vertreter des Hochadels. Kálmáns Operette verklärte unkritisch eine Gesellschaftsordnung, in der es ein fest gefügtes Unten und Oben gab, in der die Zensur allgegenwärtig war, Adel und Militär das gesellschaftliche Leben und die herrschende Moral bestimmten. Ziviler Widerstand war kaum vorhanden, und so konnte die Operette wie andere triviale Kunstformen in politisch schwierigen Zeiten nur noch den Rückzug in das private Glück anbieten. Das Finale mündet in einer sich in drei Ansätzen aufschwingenden brillanten Orchesterfanfare, die Sylvas Bekenntnis zitiert: „Im eig‘nen Herzen such‘s, nicht in der Welt Getriebe. / Das Glück wohnt überall, denn überall wohnt Liebe“.

Aufpoliert

Diese Zeitbezüge, so realitätsnah und gleichzeitig realitätsfern sie auch waren, führten dazu, dass im Johann-Strauß-Theater 1916 ausschließlich die "Csárdásfürstin" gespielt wurde. Die Inszenierung brachte es bis zum Mai 1917 auf 533 Vorstellungen. Die deutsche Erstaufführung in Berlin 1916 war mit der legendären Operetten-Diva Fritzi Massary als Sylva ein ebenso großer Erfolg. Einzig die 1916 am Raimund-Theater in Wien uraufgeführte sentimentale Operette "Das Dreimäderlhaus", für die Heinrich Berté Melodien von Franz Schubert benutzte, konnte in der Kriegszeit den Erfolg der "Csárdásfürstin" übertrumpfen. Im Berliner Admiralspalast wurde "Die Csárdásfürstin" 1931 als pompöse Ausstattungsrevue von Hermann Haller mit Hans Albers und Rita Georg in den Hauptrollen inszeniert; die Komposition polierte Kálmán durch Jazz-Elemente auf. Während die Vertreibung der jüdischen Künstler aus Deutschland begonnen hatte, verwandelte Georg Jacoby die "Csárdásfürstin" für die Berliner UFA in einen harmlosen Operettenfilm ohne Zeitbezüge. In den Hauptrollen wirkten Marta Eggerth, Hans Söhnker und Paul Hörbiger mit. Der Streifen wurde am 29. Juni 1934 in Berlin im Gloria Palast uraufgeführt, bis die Verfilmung wie Kálmáns Gesamtwerk in Deutschland verboten wurde. Der Komponist lebte zu diesem Zeitpunkt mit seiner Frau Vera und den drei Kindern in Wien.

Erinnerungen

1938 floh Kálmán mit seiner Familie über Paris in die USA. Kálmán dirigierte Rundfunkkonzerte und brachte am 18. Juli 1945 am Broadway die Operette "Marinka" heraus. Erzählt wurde darin von der tragisch endenden Liebe des österreichischen Kronprinzen Rudolf zu seiner bürgerlichen Geliebten Mary Vetsera. Während Europa in Trümmern lag, beschwor Kálmán noch einmal die versunkene Pracht der K.u.K.-Monarchie. Emmerich Kálmán reiste 1949 zum ersten Mal nach Kriegsende aus Amerika zu einem Besuch nach Wien. Der Komponist traf ehemalige Künstlerkollegen wieder. An seinen Librettisten Alfred Grünwald schrieb Kálmán über das Wiedersehen: „Gespenster in einer Geisterstadt“. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Wiener seit der Uraufführung der Csárdásfürstin 1915 den Ersten Weltkrieg, die Inflation, die Weltwirtschaftskrise, den Einmarsch deutscher Truppen und den Zweiten Weltkrieg durchlitten. Bei den ersten Wiener Nachkriegsaufführungen der Csárdásfürstin war die Lage wieder einmal hoffnungslos, aber nicht ernst, und das Liebespaar Edwin und Sylva sang dazu: „Mag die ganze Welt versinken, hab’ ich dich!“


Eine Cosima im Dreivierteltakt
Frau Johann Strauß, geb. Adele Deutsch



Den Ruhm ihres Gatten trug sie wie einen Königsmantel, den sie nach seinem Tod nicht ablegte: Anreden ließ sie sich als Frau Johann Strauß. Adele war die dritte Ehefrau von Johann Strauß und überlebte ihren Mann um 30 Jahre. Für die 1856 in Wien geborene Adele Deutsch war es die zweite Ehe: 1874 heiratete sie den Bankierssohn Anton Strauß, der 1877 verstarb.

Eine glückliche Ehe

Der Wiener Walzerkönig war zur Zeit ihres Kennenlernens in der Wiener Gesellschaft bereits zwei Mal verheiratet gewesen. Seine erste Frau Henriette Chalupetzky starb 1878, die zweite Ehe mit Angelika Dittrich war ein Fiasko. Johann Strauß ließ sich scheiden, was eine weitere Eheschließung nach katholischem Recht in Österreich unmöglich machte. Die Ehe mit Adele musste deshalb planvoll legalisiert werden: Strauß gab die österreichische Staatsbürgerschaft auf und wurde Staatsbürger des Herzogtums Sachsen-Goburg-Gotha. Der Komponist konvertierte zudem zum protestantischen Glauben und konnte 1887 in der Herzoglichen Hofkirche zu Coburg seine Adele endlich heiraten. Die 31-jährige Adele Strauß, von deren großen dunklen Augen der 62-jährige Walzerkönig bei der Hochzeit schwärmte, galt als liebevolle Ehefrau, trug aber auch Charakterzüge des Herrischen und Dominanten in sich. In einem Nachruf war zu lesen: „Wenn sie lächelte und wenn ihr Lächeln zufällig nicht mokant war, hatte sie einen unwiderstehlichen Liebreiz.“

Die geschäftstüchtige Witwe

Adele Strauß organisierte den Haushalt, korrespondierte mit Theaterdirektoren und Verlegern und stand dem Komponisten in seinem letzten Lebensjahr aufopferungsvoll zur Seite. Die glückliche Ehe dauerte nur zwölf Jahre, da Johann Strauß 1899 verschied. Strauß setzte in seinem Testament die Wiener Gesellschaft der Musikfreunde zu seinem Haupterben ein. Seine Witwe erhielt neben der Strauß-Villa zusätzlich „alles, was in diesem Hause nicht erd-, mauer-, niet- und nagelfest ist.“ Zudem bekam Adele nach dem Tod ihres Mannes alle anfallenden Tantiemen und Autorenrechte zugesprochen, allerdings unter der Bedingung, dass sich sie nicht wieder verheiraten würde. Die hohen Tantiemen, die Adele Strauß von den Theatern für die überall gespielten Aufführungen der Strauß-Hits Die Fledermaus, Der Zigeunerbaron und Eine Nacht in Venedig einstrich, reichten ihr nicht. Um noch mehr Geld zu verdienen, erfand Adele Strauß das Genre der „Künstlichen Operette“, deren Konzept „Aus alt mach neu“ sich in Wiener Blut bewährt hatte, ein mit Gesangstexten unterlegtes Konglomerat aus Walzern und Polkas aus dem reichen Schaffen von Johann Strauß. Das Konzept wurde in der Folge von dritter Seite auch auf Musik von Jacques Offenbach (Der Goldschmied von Toledo, 1919), Franz von Suppé (Dichter und Bauer, 1915) und Leo Fall (Rosen aus Florida, 1929) angewendet.

Neue Texte zu alter Musik

Das erste Ergebnis von Adeles Bemühungen, den kompositorischen Nachlass ihres Gatten auszuschlachten, um dadurch weitere Tantiemen zu erzielen, war die 1902 in Wien uraufgeführte Operette Gräfin Pepi. Dafür wurden Kompositionen aus den selten gespielten Strauß-Operetten Blindekuh und Simplicius von Ernst Reiterer musikalisch bearbeitet, von Victor León mit neuen Texten versehen und in ein Libretto eingearbeitet. 1906 folgte Tausend und eine Nacht auf Basis der ersten Operette von Strauß Indigo und die vierzig Räuber. Ergänzt durch Walzer und Polkas von Johann Strauß erlebte seine Originaloperette Die Göttin der Vernunft unter dem Titel Reiche Mädchen im Jahr 1909 ihre fröhliche Wiederauferstehung; Der Karneval in Rom kam 1912 mit neuen Texten versehen und einer vom Original abweichenden Handlung als Der blaue Held erneut auf die Bühne. Adele Strauß, die bei den Wiener Premieren in einer Ehrenloge thronend die Huldigungen des Publikums entgegennahm, strich erfreut die Tantiemen ein, worüber sich der Satiriker Karl Kraus in seiner Zeitschrift „Die Fackel“ mokierte: „Es wird unermüdlich galvanisiert, unermüdlich in der Schublade des Toten herumgesucht, unermüdlich Nachgelassenes zu Novitäten gekleistert. Die alten Titel seiner Werke werden aus der Musikgeschichte gestrichen und aus der Erinnerung an eine bessere Theaterzeit gerissen, seine Kompositionen von Kreti und Pleti zusammengeschweißt und auf den Tantiemenglanz hergerichtet. Sieht so die Auferstehung des Genius aus? Ach, es war nur eine Täuschung. Man versicherte uns, Johann Strauß sei zum Leben erweckt worden. Und er hatte sich doch bloß im Grabe umgedreht!“

Die „Lex Johann Strauß“

Die Kritik von Karl Kraus focht Adele Strauß nicht an und sie ging einen Schritt weiter. Um die Tantiemen für die Zeit nach ihrem Ableben ihrer Tochter Alice aus erster Ehe zu sichern – die Ehe mit Johann Strauß war kinderlos geblieben –, betrieb Adele Strauß mit großer Energie und unter Einschaltung von Rechtsanwälten die Verlängerung der Schutzfrist des Urheberrechts, die zu ihrer Zeit 30 Jahre betrug. Die Witwe forderte 50 Jahre, erreichte aber mit der „Lex Johann Strauß“ nur die Verlängerung der Schutzfrist auf 32 Jahre. In ihrem Kampf um die Verlängerung von Autorenrechten fand Adele Strauß im fränkischen Bayreuth eine Verbündete. Auch Cosima Wagner, Witwe Richard Wagners und Herrin auf dem Grünen Hügel, focht den Kampf um eine Verlängerung der Schutzrechte. Cosima wollte ermöglichen, dass das in Bayreuth 1882 uraufgeführte Bühnenweihfestspiel Parsifal nach 1913, dem Ablauf der allgemein geltenden Schutzfrist, weiterhin exklusiv den Bayreuther Festspielen zu Aufführungszwecken vorbehalten blieb, was ihr nicht gelang.

Cosima im Walzerrausch

Adele Strauß war Frau Cosima nach Wagners Tod im Jahr 1888 begegnet, als sie mit ihrem Mann Johann bei den Bayreuther Festspielen eine Aufführung von Parsifal besuchte. Beim Blumenmädchen-Walzer „Komm, holder Knabe“ soll Johann Strauß seiner Frau im Zuschauerraum zugeraunt haben: „Das hat er von mir!“ Dass Richard Wagner die Musik vom Walzerkönig gekannt und geschätzt hat, belegen zwei Tagebucheintragungen von Cosima Wagner. Am Silvesterabend 1873 notierte sie: „Abends tanzen die Kinder um den Baum, Richard spielt dazu Walzer aus den Meistersingern und von Strauß.“ Am 22. Mai 1875, an Wagners 62. Geburtstag, ist zu lesen: „Die Kinder sehr ernst und feierlich, sprechen ihre Verse hübsch. Abends Illumination von Wahnfried, Feuerwerk, dazu Strauß‘sche Walzer, Kinderfackelzug; alles glückt schön, Richard heiter und gerührt.“

Im Ruhmesmausoleum

Adele Strauß und Cosima Wagner starben im selben Jahr: Cosima Wagner mit 92 Jahren am 1. April 1930, Adele wenige Wochen zuvor im Alter von 74 Jahren am 9. März 1930. „Man hat Adele Strauß oft genug scherzhaft eine Cosima im Dreivierteltakt genannt“, war in einem Nachruf am 10. März 1930 in der Tageszeitung Neue Freie Presse zu lesen. „Sie war tatsächlich eine Cosima, wie auch Johann Strauß gleich Wagner ein Genie war. Nun hat die unermüdlich am Werke Dienende Ruhe gefunden, und Wagners Wort zu seiner Gattin Cosima: ‚Du gehörst mit ins Ruhmesmausoleum’, gilt auch für die Gattin von Johann Strauß.“