Freitag, 1. Februar 2013


Zwischen Oper und Politik
Ein bewegtes Leben



Agostino Steffani war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Er war Diplomat an deutschen Fürstenhöfen und erarbeitete sich nicht nur als Politiker einen ausgezeichneten Ruf, sondern ebenso als Komponist von Opern und Kammermusik. In späteren Lebensjahren zum Bischof ernannt, setzte er sich für die Belange der katholischen Kirche ein.

Ein musikalisches Kind

Geboren wurde er am 26. Juli 1654 in Castelfranco Veneto als Sohn von Camillo Steffani und seiner Frau Paolina. Während der Schulzeit, die er bei seinem Onkel Maranto Terzago in Padua verbrachte, zeigte sich Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern auf einer Italienreise vom Gesang des dreizehnjährigen Agostino beeindruckt, der als Sopransolist zum Chor der Basilica di sant’Antonio gehörte. Der bayerische Kurfürst beschloss, dem jungen Sänger eine fundierte Ausbildung zum Musiker in München zu ermöglichen. Steffanis Eltern stimmten dem Plan zu, da sie darin eine einmalige Chance sahen, die sie niemals hätten ermöglichen können.

Vom Hofmusicus zum Abbé

In München erhielt Steffani Unterricht im Orgel- und Cembalospielen und wurde bereits im Alter von 18 Jahren zum Hofmusicus ernannt. Der Kurfürst finanzierte ihm außerdem eine zweijährige Studienreise nach Rom, wo ihn Erole Bernabei, maestro di capella alla capella Giulia in Vaticano, in Kontrapunkt und Kirchenmusik unterwies. Durch den Aufenthalt im Vatikan in seinem Glauben gestärkt, ließ sich Agostino Steffani zum Priester weihen und legte Wert darauf, fortan mit Abbé angesprochen zu werden, die im 17. Jahrhundert gebräuchliche Anrede für katholische niedrige Weltgeistliche. Als Pfründe erhielt er die bei Nördlingen gelegene Abtei Löpsingen, deren kargen Einkünfte er sich allerdings mit dem Augsburger Domkapitell teilen musste. Da zu dieser Zeit ein Geistlicher als Komponist weltlicher Musik keinen Anstoß erregte, schrieb Steffani, nachdem er nach München zurückgekehrt war, insgesamt sechs Opern, so auch 1687 die Auftragskomposition Alarico il Baltha zum Geburtstag der österreichischen Erzherzogin Maria Antonia. Die Libretti verfasste mehrfach sein Bruder Ventura, der inzwischen ebenfalls in München als Hofpoet und Privatsekretär Karriere machte.

Barocke Schauopern für Hannover

1688 folgte Agostino Steffani einem Ruf von Herzog Ernst August von Braunschweig-Calenberg an den Hof nach Hannover, um die künstlerische Leitung des neu erbauten Opernhauses zu übernehmen. Zu seinen Aufgaben gehörte ebenso die alljährliche Komposition einer Oper für den Karneval. Die Gazetten lobten seine Musik, andere Höfe spielten Steffanis Bühnenwerke nach. Den vornehmlich an antiken Mythen orientierten Texten und den dramaturgischen Aufbau seiner Opern überließ der Komponist dem Librettisten Ortensio Mauro, seines Zeichens Hofpoet. Das Ergebnis waren barocke Prunk- und Schauopern. So benötigte man 1689 für die festliche Einweihungsoper des Opernhauses Henrico Leone (Heinrich, der Löwe) unter anderem folgende Bühnenbilder und Maschinen: Ein zerbrechendes Schiff, einen Greifen, der Heinrich in sein Nest entführt, eine Wolke, die Heinrich auf den Lüneburger Kalkberg trägt, und schließlich einen Triumphwagen, den vier lebendige Pferde zogen. Da die Oper im Dienste fürstlicher Repräsentation stand, sollte die Erinnerung an den glorreichen Welfen Heinrich der Löwe gleichzeitig den Anspruch Ernst Augusts auf die Kurfürstenwürde untermauern, da ihm diese wegen seines evangelischen Glaubens bislang verwehrt geblieben war. So ernannte der Herzog seinen Hofkomponisten zum Diplomaten, um seine Ansprüche bei den katholischen Kurfürsten durchzusetzen. Agostino Steffani wurde mit der Aufgabe betraut, eine Denkschrift in italienischer Sprache zu verfassen, die er auf dem Augsburger Kurfürstentag dem päpstlichen Nuntius überreichte. Der Inhalt war eine Abhandlung über die Verdienste des Herzogs gegenüber den Christen im Allgemeinen und der katholischen Religion im Besonderen. Für diese und ähnliche Erörterungen schien Abbé Steffani auch deswegen geeignet zu sein, weil ein katholischer Geistlicher als Anwalt für die Kurwürde des Herzogs von Hannover glaubhaft wirkte. 1692 führten Steffanis Bemühungen zum Erfolg. Ernst August wurde zum Kurfürsten erhoben. Da er in den wichtigsten europäischen Städten ständige Gesandtschaftsposten unterhielt, entsandte er den nunmehr 42-Jährigen Abbé nach Brüssel, der dort sechs Jahre lang die Geschäfte eines ständigen Gesandten führte. Der gebildete und weit gereiste, zudem mehrsprachige Italiener, den seine Zeitgenossen als liebenswürdig und gewandt beschrieben, der anschaulich über Musik und religiöse Fragen parlieren konnte (und nebenbei politische Informationen aufschnappte), zudem noch leicht singbare Kammerduette komponierte, war in Brüssel eine Bereicherung für den höfischen Zirkel.

Regierungspräsident in Düsseldorf

Auf Vorschlag der in Florenz geborenen Prinzessin Anna Maria Luisa de’ Medici, mit der Steffani im Briefwechsel stand, berief ihn Kurfürst Johann Wilhelm, der auch Jan Wellem genannt wurde, 1702 nach Düsseldorf. Agostino Steffani wurde als Geheimrat und Präsident des geistlichen Rats eingestellt; er erhielt 1.800 Reichstaler nebst einer Zulage für vier Diener und acht Pferde. Nur ein Jahr später schuf Kurfürst Jan Wellem eigens für ihn die Stelle eines Regierungspräsidenten, zu dessen Aufgaben sowohl innere als auch auswärtige Angelegenheiten des Landes gehörten. 1703 bis 1705 bekleidete Steffani zusätzlich das Amt eines Kanzlers an der Universität Heidelberg, die Stadt gehörte wie die gesamte Pfalz zu Jan Wellems Herrschaftsbereich. Trotz seiner vielen Aufgaben stand ihm genügend Zeit zur Verfügung, um den Düsseldorfer Spielplan um drei Opern zu bereichern. Arminio, 1707 zum Karneval uraufgeführt, bestand allerdings zu zwei Dritteln aus Arien, Duetten und Chören, die Steffani aus den in Hannover aufgeführten Opern herausfilterte, die 1709 komponierte Oper Tassilone war hingegen eine Novität.

Virtuose Arien

Die Rolle des Vermittlers, der Steffani sich als Diplomat in kurfürstlichen, später in päpstlichen Diensten Zeit seines Lebens widmete, charakterisiert auch sein musikalisches Werk. Er schlug einen Bogen von der Oper venezianischer Provenienz mit ihren zahlreichen kurzen Arien hin zu einem Operntypus, der französische Elemente vornehmlich im Bereich der orchestralen Begleitung in die italienische Oper integrierte. Steffani gehörte auch zu den ersten Komponisten, die die Oboe neben den Flöten und Fagotten in der Oper heimisch machten. Und kaum ein Theaterkomponist seiner Zeit hat dermaßen viele Arien mit Begleitung obligater Soloinstrumente wie etwa Violine oder gar Laute geschrieben, die sich häufig mit der Singstimme zu einem Triosatz fügten. Sein Verdienst war die Vermengung des italienischen, noch in der Tradition Monteverdis stehenden Stils, mit Elementen der französischen Barockoper Lullyscher Prägung. Letzteres macht sich in der delikaten, farbenreichen Orchesterbegleitung und den eingeschobenen, spielerisch-leichten Tanzsätzen sowie an den sehr differenziert ausgestalteten Rezitativen und Monologen bemerkbar. Die Arien erinnern mit ihrem virtuosen Anspruch hingegen an italienische Vorbilder, da Steffani ganz im Stil des italienischen Barock den Sängerinnen und Sängern sowie den Kastraten artistische Verzierungen abverlangte.

Apostolischer Vikar des Heiligen Stuhls

Nicht nur Steffanis Karriere als Komponist und Politiker führte ihn in den Düsseldorfer Jahren steil nach oben, ebenso trieb er seine geistliche Laufbahn voran. 1707 empfing er im Bamberger Dom die Bischofsweihe durch den Mainzer Erzbischof Lothar Franz von Schönborn. Im Alter von 56 Jahren verließ Steffani Düsseldorf, um sich im Auftrag des Vatikans einer neuen Aufgabe zu widmen. Papst Clemens XI. ernannte ihn in Rom zum „Hausprälaten seiner Heiligkeit, Apostolischen Vikar und Delegaten des Heiligen Stuhls“. Steffani sollte als Apostolischer Vikar die katholische Minderheit in Norddeutschland vertreten. Damit ging seine Karriere als weltlicher Diplomat zu Ende, Steffani stellte von nun an sein Leben in den Dienst der katholischen Kirche. Er ging erneut nach Hannover, um von dort aus die Rekatholisierung einiger deutscher Fürstenhäuser voranzutreiben, ein wie wir heute wissen im lutherisch geprägten Norddeutschland aussichtsloses Unterfangen. Bischof Steffani schlug unter anderem vor, so genannte Mischehen von Katholiken und Protestanten zu erlauben, falls die Eheleute sich verpflichten würden, ihre gemeinsamen Kinder im katholischen Glauben zu erziehen, ein Vorhaben, das der Vatikan vehement ablehnte. Somit beschränkte er seine seelsorgerische Tätigkeit auf das Abhalten von Gottesdiensten und initiierte in Celle und Hannover den Bau katholischer Kirchen. Das Komponieren gab er als Apostolischer Vikar nicht auf, wenn er auch seine kammermusikalischen Werke unter dem Namen seines Notenkopisten Gregoria Piva veröffentlichte, um Konflikten mit dem Vatikan aus dem Weg zu gehen. Als die Londoner Academy of Ancient Music ihn zum Ehrenpräsidenten ernannte, komponierte er als Danksagung eine Stabat Mater, nachdem er sich zuvor die Erlaubnis aus Rom geholt hatte.

Auf der Flucht

Seine letzten Lebensjahre waren von Krankheit und Existenznöten überschattet. Steffani verfügte über keinerlei gesicherte Existenzgrundlage. Zwar war ihm 1709 die Propstei Selz im Elsass überlassen worden, deren Einkünfte jedoch gering und unregelmäßig waren. Schließlich legte er sein Amt als Apostolischer Vikar nieder und reiste 1722 nach Carrara, auch um sich dem Zugriff seiner zahlreichen Gläubiger in Hannover zu entziehen. Victor Amadeus II., König von Savoyen, ernannte den nunmehr 68-Jährigen zum Präsidenten der Universität Turin. Da sich für seinen Posten in Norddeutschland jedoch kein geeigneter Nachfolger fand, verfuhr der Vatikan pragmatisch und bezahlte Steffanis Schulden. 1725 kehrte er als Apostolischer Vikar nach Hannover zurück. Ein Jahr später trat der über Siebzigjährige nach einer schweren Erkrankung erneut zurück. Um die Heimreise nach Italien und seinen dortigen Lebensunterhalt zu sichern, entschloss er sich, seine wertvolle Kunstsammlung in Frankfurt am Main versteigern zu lassen.

Tod in Frankfurt

In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 1728 starb Agostino Steffani im Frankfurter Dompfarrhaus an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine letzte Ruhe fand er in einer Seitenkapelle des Kaiserdoms St. Bartholomäus, die Grabstätte wurde 1867 während einer Feuersbrunst im Frankfurter Dom dem Anschein nach zerstört. 1953 entdeckte man bei Bauarbeiten dann einen Steinsarkophag, in dem sich seine sterblichen Überreste befanden, nebst einem Bischofsstab sowie ein Kelch aus Holz mit Silberbeschlägen. An dieser Stelle erinnert heute ein Marmorepitaph an Agostino Steffani, das die Katholiken Hannovers nach der Wiederentdeckung des Sarkophags als Dank für die Erbauung der Basilika St. Clemens stifteten, die als erstes katholisches Gotteshaus nach der Reformation von Bischof Steffani 1718 geweiht worden war. St. Clemens ist die nördlichste Kirche in Europa, die auf seine Anregung hin im venezianischen Barockstil errichtet wurde, und die auch der „Petersdom des Nordens“ genannt wird.