Zwischen Oper
und Politik
Ein bewegtes
Leben
Agostino
Steffani war eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte an
der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Er war Diplomat an deutschen Fürstenhöfen
und erarbeitete sich nicht nur als Politiker einen ausgezeichneten Ruf, sondern
ebenso als Komponist von Opern und Kammermusik. In späteren Lebensjahren zum
Bischof ernannt, setzte er sich für die Belange der katholischen Kirche ein.
Ein
musikalisches Kind
Geboren wurde er
am 26. Juli 16 54
in Castelfranco Veneto als Sohn von Camillo Steffani und seiner Frau Paolina. Während
der Schulzeit, die er bei seinem Onkel Maranto Terzago in Padua verbrachte, zeigte
sich Kurfürst Ferdinand Maria von Bayern auf einer Italienreise vom Gesang des
dreizehnjährigen Agostino beeindruckt, der als Sopransolist zum Chor der Basilica
di sant’Antonio gehörte. Der bayerische Kurfürst beschloss, dem jungen Sänger eine
fundierte Ausbildung zum Musiker in München zu ermöglichen. Steffanis Eltern stimmten
dem Plan zu, da sie darin eine einmalige Chance sahen, die sie niemals hätten
ermöglichen können.
Vom Hofmusicus
zum Abbé
In München
erhielt Steffani Unterricht im Orgel- und Cembalospielen und wurde bereits im
Alter von 18 Jahren zum Hofmusicus
ernannt. Der Kurfürst finanzierte ihm außerdem eine zweijährige Studienreise
nach Rom, wo ihn Erole Bernabei, maestro
di capella alla capella Giulia in Vaticano, in Kontrapunkt und Kirchenmusik
unterwies. Durch den Aufenthalt im Vatikan in seinem Glauben gestärkt, ließ
sich Agostino Steffani zum Priester weihen und legte Wert darauf, fortan mit
Abbé angesprochen zu werden, die im 17. Jahrhundert gebräuchliche Anrede für
katholische niedrige Weltgeistliche. Als Pfründe erhielt er die bei Nördlingen
gelegene Abtei Löpsingen, deren kargen Einkünfte er sich allerdings mit dem
Augsburger Domkapitell teilen musste. Da zu dieser Zeit ein Geistlicher als
Komponist weltlicher Musik keinen Anstoß erregte, schrieb Steffani, nachdem er
nach München zurückgekehrt war, insgesamt sechs Opern, so auch 1687 die
Auftragskomposition Alarico il Baltha zum
Geburtstag der österreichischen Erzherzogin Maria Antonia. Die Libretti verfasste
mehrfach sein Bruder Ventura, der inzwischen ebenfalls in München als Hofpoet
und Privatsekretär Karriere machte.
Barocke
Schauopern für Hannover
1688 folgte Agostino
Steffani einem Ruf von Herzog Ernst August von Braunschweig-Calenberg an den
Hof nach Hannover, um die künstlerische Leitung des neu erbauten Opernhauses zu
übernehmen. Zu seinen Aufgaben gehörte ebenso die alljährliche Komposition einer
Oper für den Karneval. Die Gazetten lobten seine Musik, andere Höfe spielten Steffanis
Bühnenwerke nach. Den vornehmlich an antiken Mythen orientierten Texten und den
dramaturgischen Aufbau seiner Opern überließ der Komponist dem Librettisten
Ortensio Mauro, seines Zeichens Hofpoet. Das Ergebnis waren barocke Prunk- und
Schauopern. So benötigte man 1689 für die festliche Einweihungsoper des
Opernhauses Henrico Leone (Heinrich, der
Löwe) unter anderem folgende Bühnenbilder und Maschinen: Ein zerbrechendes
Schiff, einen Greifen, der Heinrich in sein Nest entführt, eine Wolke, die
Heinrich auf den Lüneburger Kalkberg trägt, und schließlich einen Triumphwagen,
den vier lebendige Pferde zogen. Da die Oper im Dienste fürstlicher Repräsentation
stand, sollte die Erinnerung an den glorreichen Welfen Heinrich der Löwe gleichzeitig
den Anspruch Ernst Augusts auf die Kurfürstenwürde untermauern, da ihm diese
wegen seines evangelischen Glaubens bislang verwehrt geblieben war. So ernannte
der Herzog seinen Hofkomponisten zum Diplomaten, um seine Ansprüche bei den
katholischen Kurfürsten durchzusetzen. Agostino Steffani wurde mit der Aufgabe
betraut, eine Denkschrift in italienischer Sprache zu verfassen, die er auf dem
Augsburger Kurfürstentag dem päpstlichen Nuntius überreichte. Der Inhalt war
eine Abhandlung über die Verdienste des Herzogs gegenüber den Christen im
Allgemeinen und der katholischen Religion im Besonderen. Für diese und ähnliche
Erörterungen schien Abbé Steffani auch deswegen geeignet zu sein, weil ein
katholischer Geistlicher als Anwalt für die Kurwürde des Herzogs von Hannover glaubhaft
wirkte. 1692 führten Steffanis Bemühungen zum Erfolg. Ernst August wurde zum
Kurfürsten erhoben. Da er in den wichtigsten europäischen Städten ständige
Gesandtschaftsposten unterhielt, entsandte er den nunmehr 42-Jährigen Abbé nach
Brüssel, der dort sechs Jahre lang die Geschäfte eines ständigen Gesandten führte.
Der gebildete und weit gereiste, zudem mehrsprachige Italiener, den seine
Zeitgenossen als liebenswürdig und gewandt beschrieben, der anschaulich über Musik
und religiöse Fragen parlieren konnte (und nebenbei politische Informationen
aufschnappte), zudem noch leicht singbare Kammerduette komponierte, war in
Brüssel eine Bereicherung für den höfischen Zirkel.
Regierungspräsident
in Düsseldorf
Auf Vorschlag
der in Florenz geborenen Prinzessin Anna Maria Luisa de’ Medici, mit der Steffani
im Briefwechsel stand, berief ihn Kurfürst Johann Wilhelm, der auch Jan
Wellem genannt wurde, 1702 nach Düsseldorf. Agostino Steffani wurde als
Geheimrat und Präsident des geistlichen Rats eingestellt; er erhielt 1.800
Reichstaler nebst einer Zulage für vier Diener und acht Pferde. Nur ein Jahr
später schuf Kurfürst Jan Wellem eigens für ihn
die Stelle eines Regierungspräsidenten, zu dessen Aufgaben sowohl innere als
auch auswärtige Angelegenheiten des Landes gehörten. 1703 bis 1705 bekleidete Steffani
zusätzlich das Amt eines Kanzlers an der Universität Heidelberg, die Stadt
gehörte wie die gesamte Pfalz zu Jan Wellems Herrschaftsbereich.
Trotz seiner vielen Aufgaben stand ihm genügend Zeit zur Verfügung, um den
Düsseldorfer Spielplan um drei Opern zu bereichern. Arminio, 1707 zum Karneval uraufgeführt, bestand allerdings zu zwei
Dritteln aus Arien, Duetten und Chören, die Steffani aus den in Hannover aufgeführten
Opern herausfilterte, die 1709 komponierte Oper Tassilone war hingegen eine Novität.
Virtuose Arien
Die Rolle des
Vermittlers, der Steffani sich als Diplomat in kurfürstlichen, später in päpstlichen
Diensten Zeit seines Lebens widmete, charakterisiert auch sein musikalisches
Werk. Er schlug einen Bogen von der Oper venezianischer Provenienz mit ihren
zahlreichen kurzen Arien hin zu einem Operntypus, der französische Elemente
vornehmlich im Bereich der orchestralen Begleitung in die italienische Oper
integrierte. Steffani gehörte auch zu den ersten Komponisten, die die Oboe
neben den Flöten und Fagotten in der Oper heimisch machten. Und kaum ein
Theaterkomponist seiner Zeit hat dermaßen viele Arien mit Begleitung obligater
Soloinstrumente wie etwa Violine oder gar Laute geschrieben, die sich häufig
mit der Singstimme zu einem Triosatz fügten. Sein Verdienst war die Vermengung
des italienischen, noch in der Tradition Monteverdis stehenden Stils, mit
Elementen der französischen Barockoper Lullyscher Prägung. Letzteres macht sich
in der delikaten, farbenreichen Orchesterbegleitung und den eingeschobenen,
spielerisch-leichten Tanzsätzen sowie an den sehr differenziert ausgestalteten
Rezitativen und Monologen bemerkbar. Die Arien erinnern mit ihrem virtuosen
Anspruch hingegen an italienische Vorbilder, da Steffani ganz im Stil des italienischen
Barock den Sängerinnen und Sängern sowie den Kastraten artistische Verzierungen
abverlangte.
Apostolischer Vikar
des Heiligen Stuhls
Nicht nur Steffanis
Karriere als Komponist und Politiker führte ihn in den Düsseldorfer Jahren steil
nach oben, ebenso trieb er seine geistliche Laufbahn voran. 1707 empfing er im
Bamberger Dom die Bischofsweihe durch den Mainzer Erzbischof Lothar Franz von
Schönborn. Im Alter von 56 Jahren verließ Steffani Düsseldorf, um sich im
Auftrag des Vatikans einer neuen Aufgabe zu widmen. Papst Clemens XI. ernannte
ihn in Rom zum „Hausprälaten seiner Heiligkeit, Apostolischen Vikar und Delegaten
des Heiligen Stuhls“. Steffani sollte als Apostolischer Vikar die katholische
Minderheit in Norddeutschland vertreten. Damit ging seine Karriere als weltlicher
Diplomat zu Ende, Steffani stellte von nun an sein Leben in den Dienst der
katholischen Kirche. Er ging erneut nach Hannover, um von dort aus die
Rekatholisierung einiger deutscher Fürstenhäuser voranzutreiben, ein wie wir
heute wissen im lutherisch geprägten Norddeutschland aussichtsloses
Unterfangen. Bischof Steffani schlug unter anderem vor, so genannte Mischehen
von Katholiken und Protestanten zu erlauben, falls die Eheleute sich
verpflichten würden, ihre gemeinsamen Kinder im katholischen Glauben zu
erziehen, ein Vorhaben, das der Vatikan vehement ablehnte. Somit beschränkte er
seine seelsorgerische Tätigkeit auf das Abhalten von Gottesdiensten und
initiierte in Celle und Hannover den Bau katholischer Kirchen. Das Komponieren
gab er als Apostolischer Vikar nicht auf, wenn er auch seine kammermusikalischen
Werke unter dem Namen seines Notenkopisten Gregoria Piva veröffentlichte, um
Konflikten mit dem Vatikan aus dem Weg zu gehen. Als die Londoner Academy of
Ancient Music ihn zum Ehrenpräsidenten ernannte, komponierte er als Danksagung
eine Stabat Mater, nachdem er sich zuvor die Erlaubnis aus Rom geholt hatte.
Auf der Flucht
Seine letzten
Lebensjahre waren von Krankheit und Existenznöten überschattet. Steffani verfügte
über keinerlei gesicherte Existenzgrundlage. Zwar war ihm 1709 die Propstei
Selz im Elsass überlassen worden, deren Einkünfte jedoch gering und
unregelmäßig waren. Schließlich legte er sein Amt als Apostolischer Vikar
nieder und reiste 1722 nach Carrara, auch um sich dem Zugriff seiner zahlreichen
Gläubiger in Hannover zu entziehen. Victor Amadeus II., König von Savoyen,
ernannte den nunmehr 68-Jährigen zum Präsidenten der Universität Turin. Da sich
für seinen Posten in Norddeutschland jedoch kein geeigneter Nachfolger fand, verfuhr
der Vatikan pragmatisch und bezahlte Steffanis Schulden. 1725 kehrte er als
Apostolischer Vikar nach Hannover zurück. Ein Jahr später trat der über Siebzigjährige
nach einer schweren Erkrankung erneut zurück. Um die Heimreise nach Italien und
seinen dortigen Lebensunterhalt zu sichern, entschloss er sich, seine wertvolle
Kunstsammlung in Frankfurt am Main versteigern zu lassen.
Tod in
Frankfurt
In der Nacht
vom 11. auf den 12. Februar
17 28 starb Agostino Steffani im Frankfurter Dompfarrhaus an den
Folgen eines Schlaganfalls. Seine letzte Ruhe fand er in einer Seitenkapelle
des Kaiserdoms St. Bartholomäus, die Grabstätte wurde 1867 während einer
Feuersbrunst im Frankfurter Dom dem Anschein nach zerstört. 1953 entdeckte man
bei Bauarbeiten dann einen Steinsarkophag, in dem sich seine sterblichen
Überreste befanden, nebst einem Bischofsstab sowie ein Kelch aus Holz mit
Silberbeschlägen. An dieser Stelle erinnert heute ein Marmorepitaph an Agostino
Steffani, das die Katholiken Hannovers nach der Wiederentdeckung des Sarkophags
als Dank für die Erbauung der Basilika St. Clemens stifteten, die als erstes
katholisches Gotteshaus nach der Reformation von Bischof Steffani 1718 geweiht worden
war. St. Clemens ist die nördlichste Kirche in Europa, die auf seine Anregung
hin im venezianischen Barockstil errichtet wurde, und die auch der „Petersdom
des Nordens“ genannt wird.