Freitag, 1. Februar 2013


So jung und schon so tot
Der Sänger Russ Columbo



Am 2. September 1934 erreichte die Polizeizentrale in Hollywood gegen 13 Uhr ein Notruf. Ein Krankenwagen wurde losgeschickt, der mit überhöhtem Tempo zur Villa des Fotografen Lansing Brown raste. Die Sanitäter sprangen aus dem Wagen und liefen durch eine offene Terrassentür in das Wohnzimmer der Villa. Es bot sich ihnen ein schrecklicher Anblick. Der Sänger Russ Columbo saß blutüberströmt in einem Sessel, eine Pistolenkugel war durch sein linkes Auge in seinen Kopf eingedrungen. Ihm gegenüber an einem Schreibtisch saß der sichtlich schockierte Fotograf Lansing Brown. Er sah die Sanitäter an und sagte: „Die Pistole ging auf einmal los … es war ein schreckliches Unglück … er war doch mein Freund!“

Mord oder Unglück?

Russ Columbo, der noch atmete, wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo er aufgrund seiner schweren Verletzungen später starb. Lansing Brown wurde verhaftet und unter Mordanklage gestellt. Brown sprach von einem Unglück. Doch erst als wenige Tage später der Polizeibericht vorlag, hatte man Gewissheit darüber, was am 2. September 1934 in einer Villa in Hollywood wirklich geschehen war. Der Unterhaltungssänger wurde nur 26 Jahre alt. Mit seinen Liedern stand er immer wieder auf Platz eins der amerikanischen Hitparade. Zu seinen Erfolgen gehörte 1931 der Song „I don’t know why“.

Eine glamouröse Stummfilmdiva

Russ Columbo stammte aus einer Familie mit italienischen Wurzeln. Geboren wurde er am 14. Januar 1908 in Camden, New Jersey, als Ruggerio Eugenio Rudolpho Columbo, sein Kosename war Russ. Er wuchs in Los Angeles auf und erhielt während seiner Schulzeit Geigenunterricht. Mit Klassenkameraden gründete er eine Jazzband, in der er mit seiner geschmeidigen Baritonstimme die neusten Hits sang. Nachdem er 1925 den Schulabschluss gemacht hatte, musste er Geld verdienen. Auf Vermittlung eines befreundeten Musikers lernte Columbo die glamouröse Stummfilmdiva Pola Negri kennen. Sie machte ihm ein Angebot: Für drei Dollar am Tag sollte er im Studio gemeinsam mit einem Pianisten musizieren und Pola Negri bei ihren Dreharbeiten zum damals noch stummen Film musikalisch begleiten. Die Schauspielerin brauchte im Hintergrund atmosphärische Musik, zu der sie vor der Kamera ausdrucksvoll agierte. Pola Negri fiel auf, dass Russ Columbo Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Filmstar Rodolfo Valentino hatte, was man nachvollziehen kann, wenn man sich Fotos von Columbo ansieht. Er war ein gutaussehender Mann mit fein geschnittenen Gesichtszügen, heute würde man ihn als smart bezeichnen. 1933 drehte Pola Negri in Frankreich den Film „A woman commands“. Darin sang sie einen der größten Hits von Russ Columbo, den Song „Paradise“. Nach zwei Jahren gab Columbo seine Tätigkeit als Musiker für Pola Negri auf und unterschrieb 1928 in Hollywood einen Vertrag als Geiger im Jazzorchester von Gus Arnheim. Die Musiker spielten jeden Abend im exklusiven Cocoanut Groove Nightclub. Filmstars speisten dort zu Abend und tanzten zur Musik des Orchesters. Russ Columbo wurde auch als Sänger eingesetzt. 1928 entstand seine erste Schallplatte mit dem Song „Back in your own backyard“.

Die eigene Radioshow

Drei Jahre blieb Columbo Mitglied im Orchester von Gus Arnheim. Zu dieser Zeit erfolgte sein Debüt beim Tonfilm, obwohl er auf der Leinwand nicht zu sehen war. In dem Western „Wolf Song“ lieh er seine Gesangstimme dem Schauspieler Gary Cooper, eine in Hollywood übliche Vorgehensweise, wenn Schauspieler nicht singen konnten. Zum Gesang von Russ Columbo machte Gary Cooper den Mund auf und zu. Als Sänger in Revueszenen trat Columbo in weiteren Filmen auf, aber die Hoffnung auf eine Hauptrolle erfüllte sich nicht. Er beschloss nach New York zu gehen, um dort seine Karriere voranzutreiben. Die New Yorker Radiostationen suchten junge Sänger, die in den Abendstunden mit sentimentalen Schlagern die Zuhörer unterhalten sollten. Im Juli 1931 debütierte Columbo bei NBC mit einem Fünfzehn-Minuten-Programm, das erfolgreich war. Er bekam eine eigene Show, in der er allabendlich seine Schlager sang, die er auch auf Schallplatten aufnahm wie den Song „You’re my everything”, eingespielt 1932 mit Leonard Joy und seinem Orchester.

Lovesongs  mit Gene Krupa

In den Dreißigerjahren gab es in Amerika Kinos, in denen vor dem Hauptfilm ein Bühnenprogramm gezeigt wurde. Die Leinwand wurde hochgezogen und bekannte Stars sangen live ihre Hits, gefolgt von Artisten mit Varieténummern und Girls, die in knappen Kostümen Showtänze zeigten. Columbo trat in New York in einem Kino auf, das „Brooklyn Paramount” hieß, und er gründete eine eigene Band, die ihn bei den Kino-Konzerten begleitete Zur dieser Band gehörten junge Jazz-Musiker, darunter der Saxophonspieler Benny Goodman und der Trommler Gene Krupa. Gemeinsam mit Russ Columbo nahmen sie 1932 den Song „My love“ auf, für den Columbo sowohl den Text als auch die Musik schrieb.

Ein Schlagersänger ist verliebt

Als Columbo mit seiner Band 1933 auf eine Tournee durch die USA ging und in Hollywood gastierte, wurden die Studiobosse auf den inzwischen sehr populären Sänger aufmerksam und gaben ihm endlich die Hauptrolle in einem Film. Columbo übernahm in „Broadway thru a keyhole“ die Rolle eines verliebten Schlagersängers. Im wahren Leben verband ihn eine zärtliche Romanze mit der Schauspielerin Carol Lombard, eine spätere Heirat war nicht ausgeschlossen. Einen weiteren Film drehte Columbo mit „Wake up and Dream“, der am 12. September 1934 in die Kinos kommen sollte. Für den 2. September war in Hollywood eine festliche Voraufführung angesetzt. Am Vormittag besuchte Columbo seinen Freund, den Fotografen Lansing Brown, der ihn zur Kinopremiere begleiten sollte. Die genauen Einzelheiten der folgenden schicksalhaften Stunden finden sich im Polizeibericht.

Der Polizeibericht

Gegen 11 Uhr 30 traf der Sänger in der Villa des Fotografen ein. Man trank im Wohnzimmer gemeinsam Kaffee, während Browns Eltern in der Küche das Mittagessen vorbereiteten. Columbo saß in der Nähe des Fensters in einem Sessel. Brown saß an seinem Schreibtisch, der eine polierte Marmorplatte hatte, und wollte sich eine Zigarette anzünden. Dazu nahm Lansing Brown ein Streichholz in die rechte Hand. Mit der linken Hand griff er nach einer Duellpistole aus dem 19. Jahrhundert, die er sich wenige Tage zuvor in einem Antiquitätengeschäft als Dekoration gekauft hatte. Brown strich mit dem Streichholz, um es anzuzünden, über den eisernen Lauf der antiken Pistole. Das Streichholz flammte auf und entzündete Schwarzpulver, von dem niemand wusste, dass es sich noch in der Waffe befand, ebenso wie eine Kugel. Das Pulver explodierte, die Kugel schoss aus dem Lauf, schlug auf die Marmorplatte des Schreibtischs, prallte ab, flog durch den Raum und traf Russ Columbo ins linke Auge. Als Brown sah, dass Columbo Blut über das Gesicht lief, schrie er nach seinen Eltern. Die stürzten aus der Küche herbei und sahen, dass der Sänger verletzt war. Der Vater rief die Polizei an, die einen Krankenwagen schickte. Columbo wurde in eine Klinik gebracht und erlag am selben Abend seinen Verletzungen.

Verschwörungstheorien

Russ Columbo starb mit nur 26 Jahren durch ein Unglück, durch eine im Lauf einer alten Pistole vergessenen Kugel. Daran wollten seine Fans und die amerikanische Presse nicht glauben. Verschwörungstheorien kamen auf. Angeblich hatte Lansing Brown, der ebenfalls in Carol Lombard verliebt war, den Sänger aus Eifersucht erschossen; auch die Schauspielerin Charlotte Shelby, mit der Columbo eine kurzfristige Affäre hatte, wurde als Täterin aus Leidenschaft ins Gespräch gebracht. Und man munkelte, dass die Mafia ihre Hände im Spiel hatte, weil Columbo Spielschulden nicht bezahlen wollte. Der Polizeibericht kam wenige Tage später zu einem anderen Ergebnis: Es handelte sich um einen tragischen Unglücksfall; der Fotograf Lansing Brown wurde von der Mordanklage freigesprochen. Das Begräbnis fand in Hollywood statt und viele Stars gaben dem Sänger das letzte Geleit.

Prisoner of Love

Russ Columbo war tot, doch dann geschah etwas Unglaubliches. Seine Familie beschloss, dass Columbos Mutter vom Tod ihres jüngsten Sohns nichts erfahren durfte. Als er starb, war Julia Columbo 74 Jahre alt und hatte ein schwaches Herz. Ihre Kinder befürchteten, dass sie stirbt, wenn die Wahrheit erfahren würde. Die Familie beschloss, Russ Columbo künstlich am Leben zu halten. Der Vater erzählte seiner Frau Julia, dass Russ sie nicht mehr besuchen konnte, weil er Filme in Europa drehte. Carol Lombard, die Mitleid mit der Mutter hatte, besuchte Julia und gab vor mit Russ Columbo verheiratet zu sein. Verwandte in Italien, die eingeweiht waren, schrieben im Namen von Russ Columbo Briefe mit erfundenem Inhalt. Der Vater las der halbblinden Mutter die Zeilen vor – Julia war glücklich, dass es ihrem Sohn gut ging. Als sie 1944 starb, atmete die Familie erleichtert auf. Endlich war das Täuschungsmanöver zu Ende.

Goodnight Sweetheart

In Hollywood stand nach Columbos Tod seine Villa zunächst leer. Es fand sich kein neuer Mieter, bis der Komponist George Gershwin dort einzog. In Columbos ehemaliger Villa komponierte Gershwin die Musik für den Revuefilm „Shall we dance“. Nachdem Gershwin 1937 verstorben war, ging Columbos ehemalige Villa in den Besitz der Jazzsängerin Rosemarie Clooney über. In einem in den Neunzigerjahren geführten Interview behauptete sie, der Geist von Russ Colombo sei ihr mehrfach in der Nacht erschienen.
Heute gehört Russ Columbo zu den vergessenen Unterhaltungssängern der Dreißigerjahre. Sein Repertoire war begrenzt, es gibt von ihm auf Schallplatten lediglich dreißig melancholische Songs: Er sang von Küssen im Mondschein und der Sehnsucht nach der großen Liebe. Ob dass für eine große und dauerhafte Karriere gereicht hätte, ist schwer abzuschätzen. Viele seiner Songs wurden auf CD erneut veröffentlicht und erinnern an einen Star, dessen tragisches Ende bis heute berührt.