So jung und schon so tot
Der Sänger Russ Columbo
Am 2. September 19 34 erreichte die Polizeizentrale in
Hollywood gegen 13 Uhr ein Notruf.
Ein Krankenwagen wurde losgeschickt, der mit überhöhtem Tempo zur Villa des
Fotografen Lansing Brown raste. Die Sanitäter sprangen aus dem Wagen und liefen
durch eine offene Terrassentür in das Wohnzimmer der Villa. Es bot sich ihnen
ein schrecklicher Anblick. Der Sänger Russ Columbo saß blutüberströmt in einem
Sessel, eine Pistolenkugel war durch sein linkes Auge in seinen Kopf
eingedrungen. Ihm gegenüber an einem Schreibtisch saß der sichtlich schockierte
Fotograf Lansing Brown. Er sah die Sanitäter an und sagte: „Die Pistole ging
auf einmal los … es war ein schreckliches Unglück … er war doch mein Freund!“
Mord oder Unglück?
Russ Columbo, der noch atmete,
wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo er aufgrund seiner schweren Verletzungen später
starb. Lansing Brown wurde verhaftet und unter Mordanklage gestellt. Brown
sprach von einem Unglück. Doch erst als wenige Tage später der Polizeibericht
vorlag, hatte man Gewissheit darüber, was am 2. September 19 34 in einer Villa in Hollywood
wirklich geschehen war. Der Unterhaltungssänger wurde nur 26 Jahre alt. Mit
seinen Liedern stand er immer wieder auf Platz eins der amerikanischen
Hitparade. Zu seinen Erfolgen gehörte 1931 der Song „I don’t know why“.
Eine glamouröse Stummfilmdiva
Russ Columbo stammte aus einer
Familie mit italienischen Wurzeln. Geboren wurde er am 14. Jan uar 19 08
in Camden, New Jersey, als Ruggerio Eugenio Rudolpho Columbo, sein Kosename war
Russ. Er wuchs in Los Angeles auf und erhielt während seiner Schulzeit
Geigenunterricht. Mit Klassenkameraden gründete er eine Jazzband, in der er mit
seiner geschmeidigen Baritonstimme die neusten Hits sang. Nachdem er 1925 den
Schulabschluss gemacht hatte, musste er Geld verdienen. Auf Vermittlung eines
befreundeten Musikers lernte Columbo die glamouröse Stummfilmdiva Pola Negri kennen.
Sie machte ihm ein Angebot: Für drei Dollar am Tag sollte er im Studio gemeinsam
mit einem Pianisten musizieren und Pola Negri bei ihren Dreharbeiten zum damals
noch stummen Film musikalisch begleiten. Die Schauspielerin brauchte im
Hintergrund atmosphärische Musik, zu der sie vor der Kamera ausdrucksvoll agierte.
Pola Negri fiel auf, dass Russ Columbo Ähnlichkeit mit dem verstorbenen Filmstar
Rodolfo Valentino hatte, was man nachvollziehen kann, wenn man sich Fotos von
Columbo ansieht. Er war ein gutaussehender Mann mit fein geschnittenen Gesichtszügen,
heute würde man ihn als smart bezeichnen. 1933 drehte Pola Negri in Frankreich
den Film „A woman commands“. Darin sang sie einen der größten Hits von Russ
Columbo, den Song „Paradise“. Nach zwei Jahren gab Columbo seine Tätigkeit als Musiker
für Pola Negri auf und unterschrieb 1928 in Hollywood einen Vertrag als Geiger
im Jazzorchester von Gus Arnheim. Die Musiker spielten jeden Abend im exklusiven
Cocoanut Groove Nightclub. Filmstars speisten dort zu Abend und tanzten zur
Musik des Orchesters. Russ Columbo wurde auch als Sänger eingesetzt. 1928
entstand seine erste Schallplatte mit dem Song „Back in your own backyard“.
Die eigene Radioshow
Drei Jahre blieb Columbo Mitglied
im Orchester von Gus Arnheim. Zu dieser Zeit erfolgte sein Debüt beim Tonfilm,
obwohl er auf der Leinwand nicht zu sehen war. In dem Western „Wolf Song“ lieh er
seine Gesangstimme dem Schauspieler Gary Cooper, eine in Hollywood übliche Vorgehensweise,
wenn Schauspieler nicht singen konnten. Zum Gesang von Russ Columbo machte Gary
Cooper den Mund auf und zu. Als Sänger in Revueszenen trat Columbo in weiteren
Filmen auf, aber die Hoffnung auf eine Hauptrolle erfüllte sich nicht. Er beschloss
nach New York zu gehen, um dort seine Karriere voranzutreiben. Die New Yorker
Radiostationen suchten junge Sänger, die in den Abendstunden mit sentimentalen
Schlagern die Zuhörer unterhalten sollten. Im Juli 1931 debütierte Columbo bei
NBC mit einem Fünfzehn-Minuten-Programm, das erfolgreich war. Er bekam eine
eigene Show, in der er allabendlich seine Schlager sang, die er auch auf
Schallplatten aufnahm wie den Song „You’re my everything”, eingespielt 1932 mit
Leonard Joy und seinem Orchester.
Lovesongs mit Gene Krupa
In den Dreißigerjahren gab es in
Amerika Kinos, in denen vor dem Hauptfilm ein Bühnenprogramm gezeigt wurde. Die
Leinwand wurde hochgezogen und bekannte Stars sangen live ihre Hits, gefolgt von
Artisten mit Varieténummern und Girls, die in knappen Kostümen Showtänze
zeigten. Columbo trat in New York in einem Kino auf, das „Brooklyn Paramount” hieß,
und er gründete eine eigene Band, die ihn bei den Kino-Konzerten begleitete Zur
dieser Band gehörten junge Jazz-Musiker, darunter der Saxophonspieler Benny
Goodman und der Trommler Gene Krupa. Gemeinsam mit Russ Columbo nahmen sie 1932
den Song „My love“ auf, für den Columbo sowohl den Text als auch die Musik schrieb.
Ein Schlagersänger ist verliebt
Als Columbo mit seiner Band 1933 auf
eine Tournee durch die USA ging und in Hollywood gastierte, wurden die
Studiobosse auf den inzwischen sehr populären Sänger aufmerksam und gaben ihm endlich
die Hauptrolle in einem Film. Columbo übernahm in „Broadway thru a keyhole“ die
Rolle eines verliebten Schlagersängers. Im wahren Leben verband ihn eine
zärtliche Romanze mit der Schauspielerin Carol Lombard, eine spätere Heirat war
nicht ausgeschlossen. Einen weiteren Film drehte Columbo mit „Wake up and
Dream“, der am 12. September
19 34 in die Kinos kommen sollte. Für den 2. September war in
Hollywood eine festliche Voraufführung angesetzt. Am Vormittag besuchte Columbo
seinen Freund, den Fotografen Lansing Brown, der ihn zur Kinopremiere begleiten
sollte. Die genauen Einzelheiten der folgenden schicksalhaften Stunden finden
sich im Polizeibericht.
Der Polizeibericht
Gegen 11 Uhr 30 traf der Sänger in der Villa des Fotografen ein.
Man trank im Wohnzimmer gemeinsam Kaffee, während Browns Eltern in der Küche
das Mittagessen vorbereiteten. Columbo saß in der Nähe des Fensters in einem
Sessel. Brown saß an seinem Schreibtisch, der eine polierte Marmorplatte hatte,
und wollte sich eine Zigarette anzünden. Dazu nahm Lansing Brown ein
Streichholz in die rechte Hand. Mit der linken Hand griff er nach einer Duellpistole
aus dem 19. Jahrhundert, die er sich wenige Tage zuvor in einem Antiquitätengeschäft
als Dekoration gekauft hatte. Brown strich mit dem Streichholz, um es
anzuzünden, über den eisernen Lauf der antiken Pistole. Das Streichholz flammte
auf und entzündete Schwarzpulver, von dem niemand wusste, dass es sich noch in
der Waffe befand, ebenso wie eine Kugel. Das Pulver explodierte, die Kugel
schoss aus dem Lauf, schlug auf die Marmorplatte des Schreibtischs, prallte ab,
flog durch den Raum und traf Russ Columbo ins linke Auge. Als Brown sah, dass
Columbo Blut über das Gesicht lief, schrie er nach seinen Eltern. Die stürzten
aus der Küche herbei und sahen, dass der Sänger verletzt war. Der Vater rief
die Polizei an, die einen Krankenwagen schickte. Columbo wurde in eine Klinik
gebracht und erlag am selben Abend seinen Verletzungen.
Verschwörungstheorien
Russ Columbo starb mit nur 26 Jahren
durch ein Unglück, durch eine im Lauf einer alten Pistole vergessenen Kugel. Daran
wollten seine Fans und die amerikanische Presse nicht glauben. Verschwörungstheorien
kamen auf. Angeblich hatte Lansing Brown, der ebenfalls in Carol Lombard
verliebt war, den Sänger aus Eifersucht erschossen; auch die Schauspielerin Charlotte
Shelby, mit der Columbo eine kurzfristige Affäre hatte, wurde als Täterin aus
Leidenschaft ins Gespräch gebracht. Und man munkelte, dass die Mafia ihre Hände
im Spiel hatte, weil Columbo Spielschulden nicht bezahlen wollte. Der
Polizeibericht kam wenige Tage später zu einem anderen Ergebnis: Es handelte
sich um einen tragischen Unglücksfall; der Fotograf Lansing Brown wurde von der
Mordanklage freigesprochen. Das Begräbnis fand in Hollywood statt und viele
Stars gaben dem Sänger das letzte Geleit.
Prisoner of Love
Russ Columbo war tot, doch dann
geschah etwas Unglaubliches. Seine Familie beschloss, dass Columbos Mutter vom Tod
ihres jüngsten Sohns nichts erfahren durfte. Als er starb, war Julia Columbo 74
Jahre alt und hatte ein schwaches Herz. Ihre Kinder befürchteten, dass sie
stirbt, wenn die Wahrheit erfahren würde. Die Familie beschloss, Russ Columbo
künstlich am Leben zu halten. Der Vater erzählte seiner Frau Julia, dass Russ
sie nicht mehr besuchen konnte, weil er Filme in Europa drehte. Carol Lombard,
die Mitleid mit der Mutter hatte, besuchte Julia und gab vor mit Russ Columbo
verheiratet zu sein. Verwandte in Italien, die eingeweiht waren, schrieben im
Namen von Russ Columbo Briefe mit erfundenem Inhalt. Der Vater las der
halbblinden Mutter die Zeilen vor – Julia war glücklich, dass es ihrem Sohn gut
ging. Als sie 1944 starb, atmete die Familie erleichtert auf. Endlich war das Täuschungsmanöver
zu Ende.
Goodnight Sweetheart
In Hollywood stand nach Columbos
Tod seine Villa zunächst leer. Es fand sich kein neuer Mieter, bis der
Komponist George Gershwin dort einzog. In Columbos ehemaliger Villa komponierte
Gershwin die Musik für den Revuefilm „Shall we dance“. Nachdem Gershwin 1937
verstorben war, ging Columbos ehemalige Villa in den Besitz der Jazzsängerin
Rosemarie Clooney über. In einem in den Neunzigerjahren geführten Interview
behauptete sie, der Geist von Russ Colombo sei ihr mehrfach in der Nacht
erschienen.
Heute gehört Russ Columbo zu den
vergessenen Unterhaltungssängern der Dreißigerjahre. Sein Repertoire war begrenzt,
es gibt von ihm auf Schallplatten lediglich dreißig melancholische Songs: Er
sang von Küssen im Mondschein und der Sehnsucht nach der großen Liebe. Ob dass
für eine große und dauerhafte Karriere gereicht hätte, ist schwer abzuschätzen.
Viele seiner Songs wurden auf CD erneut veröffentlicht und erinnern an einen
Star, dessen tragisches Ende bis heute berührt.