Eduard Künneke GLÜCKLICHE REISE
Ein Kritiker bescheinigte dem
Komponisten Eduard Künneke nach der Uraufführung seiner Operette Der Tenor der Herzogin: „Das jüngste
Werk steht den schablonisierten Gegenwartserzeugnissen fern; packender Rhythmus,
leuchtende Melodik und brillante Instrumentierung heben es über das Gewohnte
heraus.“ Gleiches lässt sich über seine anderen Operetten sagen: Der Vetter aus Dingsda, Liselott und Glückliche Reise.
Karriere mit Startschwierigkeiten
Der am 27. Jan uar 18 85
in Emmerich am Niederrhein geborene Eduard Künneke studierte an der Berliner
Musikhochschule Dirigieren und Komposition bei Max Bruch. 1907 erhielt er im
Alter von 22 Jahren ein erstes Engagement als Chorleiter am Berliner Neuen
Operettentheater, 1911 wechselte er als Kapellmeister an das Deutsche Theater.
Während dieser Zeit wurden Künnekes Opern Robins
Ende in Mannheim und Coeur-As in
Dresden uraufgeführt, ohne dass er damit nennenswerte Erfolge erzielte. 1916
nahm er ein Engagement am Berliner Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater an und
teilte sich mit zwei anderen Dirigenten die musikalische Leitung der mehr als
1000 Aufführungen der Operette Das
Dreimäderlhaus, die Heinrich Berté nach Melodien von Franz Schubert
zusammenstellte. Künneke lernte während der Aufführungsserie die Sängerin
Katarina Garden kennen, die seine Ehefrau wurde. Ihre gemeinsame Tochter war die
spätere Filmschauspielerin und Schlagersängerin Evelyn Künneke.
Prägnante Rhythmen im Sound der Zeit
Nach der Premiere seines
Singspiels Das Dorf ohne Glocke verpflichtete
der Theaterproduzent Hermann Haller den aufstrebenden Komponisten an das
Theater am Nollendorfplatz. Haller schlug ihm vor, eine „richtige Operette“ zu
schreiben. Künneke willigte ein, obwohl er weiterhin seine künstlerische
Zukunft als Komponist von Opern sah. Doch auf einen Versuch wollte er es ankommen
lassen. 1919 wurde in Berlin seine erste Operette Der Vielgeliebte uraufgeführt, zu der Hermann Haller und Fritz
Oliven die Verse lieferten. Künneke berichtete rückblickend über den Premierenabend:
„Schon nach dem zweiten Akt wurden die Autoren auf die Bühne gerufen. Es war
ein unerhörter Erfolg, von dem ganz Berlin sprach; ich war von diesem
Augenblick an der Operette verfallen.“ Den Durchbruch zu einer der führenden
Operettenkomponisten seiner Zeit schaffte Künneke 1921 mit Der Vetter aus Dingsda. Diesen übergroßen Erfolg konnte er mit
seinen nachfolgenden Bühnenwerken Die Ehe
im Kreise und Verliebte Leute nicht
erreichen. Erst die Umarbeitung seiner Operette Die blonde Liselott zu Liselott, die
1932 am Berliner Admiralspalast mit Gustav Gründgens und Käthe Dorsch in
den Hauptrollen gespielt wurde, brachte neuen Schwung in seine Karriere. Die
Qualität seiner Bühnenwerke zeichnete sich durch Instrumentrationskunst und
Klangphantasie aus, die auch bei noch so geringem Gewicht der Texte hervortrat.
Künnekes Stärke war die kammermusikalische Durchleuchtung des Tonsatzes,
basierend auf einer profunden Kenntnis des Handwerks. Mit prägnanten Rhythmen
traf er den Ton der Zeit und gab seinen Operetten durch aktuelle Tanzrhythmen eine
ganz eigene Note.
Drüben in der Heimat, da blüht
ein Rosengarten
Auch die Uraufführung von Glückliche Reise am 23. November 19 32 war ein
durchschlagender Erfolg. Es ging um Heimweh und Liebe, um zwei bodenständige
Männer, die postlagernd Briefe auf Heiratsannoncen verschicken, um den Frauen ihrer
Träume zu begegnen. Robert von Hartenau und Stefan Schwarzenberg, zwei ehemalige
deutsche Offiziere, haben sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg nach
Südamerika abgesetzt und langweilen sich in der Fremde auf ihrer Farm, die außerdem
wenig abwirft. Kontakt mit der Heimat haben sie nur durch eine
Briefpartnerschaft mit zwei jungen Frauen aus Berlin. Als ihr Freund Kapitän Peter
Brangersen überraschend im Urwald aufkreuzt, schlägt er Robert und Stefan vor,
die beiden jungen Damen persönlich kennen zu lernen. Da sie kein Geld für die
Schiffsreise haben, arbeiten sie während der Überfahrt nach Europa als
Stewards. In Berlin angekommen stellt sich heraus, dass die Brieffreundin
Monika Brink nicht die reiche Dame von Welt ist, die angeblich permanent zwischen
New York und Monte Carlo pendelt. Monika arbeitet als Angestellte in einem
Reisebüro. Sie hat nicht nur Stefan viele Briefe geschrieben, sondern auch an
Robert, allerdings unter dem Namen ihrer Freundin Lona Vonderhoff, die davon keine
Ahnung hat. Nach einigen Turbulenzen finden die richtigen Paare zueinander.
Gemeinsam brechen sie zu einer weiteren „Glücklichen Reise” auf – diesmal ist
das Ziel der Hafen der Ehe.
Schreib’ mir ’ne Karte, wenn du
angekommen bist.
Künnekes Operette trug zunächst den
Arbeitstitel „Liebe ohne Grenzen“. Avisiert war die Uraufführung am Berliner
Lessing-Theater, das zum Konzern der Gebrüder Rotter gehörte. Nach dem
Zusammenbruch ihres Theaterimperiums vergab Künneke die Aufführungsrechte an
das Berliner Kurfürstendamm-Theater, an dem sich der Regisseur und Schauspieler
Leo Peukert als Direktor betätigte. Peukert, der die Uraufführung auch inszenierte,
kam auf die Idee, der Operette einen neuen Titel nach einem schwungvollen
Marschfox aus der Partitur zu geben: „Glückliche Reise“. Die Handlung um zwei
Freunde, die in Berlin die Frauen ihres Lebens finden, ist etwas zähflüssig
erzählt, die Verwicklungen sind mehr gezwungen als logisch, aber die Musik
entschädigt für alle dramaturgischen Ungereimtheiten. Künneke komponierte eine
Großstadtoperette mit den pulsierenden Rhythmen seiner Zeit: Rumba, Tango,
Foxtrott und Blues. Hinzu kam etwas Albernheit („Am Amazonas, da wohnen unsere
Ahnen“) und ein wenig Pseudophilosophie („Das Leben ist ein Karussell“), auf das
muntere Tanzduett („Jede Frau geht so gerne mal zum Tanztee, aber jede Frau ist
auch gern die Eleganste“) folgt ein sentimentaler Schlager („Nacht muss es
sein, wenn man sein Herz verschenkt, Nacht muss es sein, wenn man ans Küssen
denkt“).
Fein und apart
Die in Berlin erscheinende Börsenzeitung schrieb nach der
Uraufführung von Glückliche Reise über
die „prickelnde, perlende und pikante“ Musik: „Sie ist nicht nur durchweg
unterhaltend, sondern lässt auch den geschmackvollen Komponisten von hohem
Niveau erkennen, der keinerlei Konzessionen an dankbare Abgedroschenheit macht.
Künneke hat eigene Ideen und Einfälle, er instrumentiert künstlerisch fein und
apart. Auch etliche stramme Schlager sind zu verzeichnen, von denen das
begeisterte Publikum Wiederholungen erzwang.“ In der Rolle der Lona Vonderhoff trat
die junge Lizzi Waldmüller in der Uraufführung auf. Den Durchbruch zum
Leinwandstar verdankte sie Willi Forst. Er gab ihr 1939 in dem Spielfilm Bel Ami die Rolle der Pariser Tänzerin
Rachel. In einer Revueszene sang Lizzi Waldmüller einen Schlager von Theo
Mackeben, der zum Evergreen wurde: „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami“.
Auch für die damals noch unbekannte Schauspielerin Lilli Palmer, die 1933 in
Aufführungen der Glücklichen Reise in
Darmstadt mitspielte, war Künnekes Operette der Startschuss in eine große
Karriere.
Die erfundene Tante
Glückliche Reise wurde zweimal verfilmt. 1933 durch Alfred Abel mit
Magda Schneider, Carla Carlsen, Max Hansen und Paul Henckels in den
Hauptrollen. Als Tante Henriette, eine Rolle, die für den Film hinzuerfunden
wurde, griff Adele Sandrock klärend in das Liebeskarussell ein. In einer
weiteren Verfilmung von 1954 mit Ina Peters, Inge Egger, Paul Hubschmid und
Peer Schmid wollte es der Regisseur Thomas Engel in den Fünfzigerjahren
vermeiden, zwei ehemalige deutsche Offiziere auf die Leinwand zu bringen. Robert
und Stefan sind nun Biologiestudenten, die ihr Studium eigenartigerweise in der
Südsee absolvieren.
Zauberin Lola
Auf Glückliche Reise folgte im Dezember 1933
die Uraufführung der romantischen Operette Die
lockende Flamme am Berliner Theater des Westens. Danach erlitt Künnekes
Karriere eine schmerzhafte Zäsur. Der Komponist geriet mit den Nationalsozialisten
in Konflikt, weil er sich von seiner halbjüdischen Ehefrau Katarina nicht
trennen wollte. Die Situation verschärfte sich noch, als Joseph Goebbels die
„entartet-negroider“ Jazzelemente seiner Operetten rügte. Die Uraufführung von
Künnekes nächster Operette Herz über Bord
war deshalb nur im benachbarten Ausland möglich. Sie wurde erstmals in Zürich 1935 gespielt; die
deutsche Erstaufführung fand auch nicht in der Theatermetropole Berlin, sondern
in Düsseldorf statt. Da nach der Vertreibung der jüdischen Komponisten aus
Deutschland die Produktion von neuen Operetten insgesamt zurückgegangen war,
und das Reich auf einen so populären Künstler wie Eduard Künneke nicht
verzichten wollte, endete der Boykott seiner Werke durch eine Anweisung der
Reichstheaterkammer, dass dem Komponisten trotz der ‚nichtarischen‘ Gattin
keine Schwierigkeiten mehr zu machen seien. Seine Operetten durften wieder
aufgeführt werden. In rascher Folge fanden die Uraufführungen von Zauberin Lola, Hochzeit in Samarkand und Traumland
statt.
Finale in
Düsseldorf
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges
zog sich der nunmehr sechzigjährige Komponist in sein Privatleben zurück. Er beschäftigte
sich mit Mathematik, Geschichte, Religionswissenschaft und Mythologie. Als sich
1949 in Düsseldorf der Vorhang zur Uraufführung seiner letzten, nur mäßig
erfolgreichen Operette Hochzeit mit Erika
öffnete, war die Premiere trotz einiger gefälliger Melodien nur ein ferner
Nachklang seiner großen Erfolge der Zwanziger- und Dreißigerjahre. In der Weltbühne war zu lesen: „Das
Blumenmädchen Erika und der Gärtnerbursche Ferdinand sind Liebesleute und haben
(wie sollte es anders sein?) kein Geld, um zu heiraten. Den Rahmen zu dieser
Szenerie bestreiten ein Straßenhändler und eine Gemüsefrau, dialektsprechend
und seelengut. Ferner wirken mit der edle Graf Kunibert und die reiche
Spanierin Emilie, die schließlich auch noch heiraten. Zum Schluss wird ‚Ob arm,
ob reich, verliebt sind alle gleich’ gesungen, und dann ist die Hochzeit mit
Erika zu Ende.“ Eduard Künneke starb am 27. Oktober 19 53 in Berlin. Bis heute werden Der Vetter aus Dingsda und Glückliche Reise von den Theatern
aufgeführt, seine Operetten Herz über
Bord und Traumland, die in ihrer
gelungenen Mischung aus kecken Jazzsynkopen und gefühlvollen Weisen seinen
Meisterwerken nicht nachstehen, gilt es hingegen neu zu entdecken.