Sturz
in die Vergessenheit
Als erfolgreiche Opern- und
Operettensängerin feierte Gitta Alpár Triumphe in Wien, Berlin und London. Ihre
Emigration nach Amerika brachte das Karriere-Aus.
Stimme mit erotischem Reiz
In einer Szene des 1941 gedrehten
Hollywood-Films The flame of New Orleans
sitzt Marlene Dietrich in einem Theater, um sich eine Aufführung der Oper Lucia di Lammermoor von Gaëtano Donizetti
anzusehen. Auf einer kleinen Bühne tritt die im Europa der Vorkriegszeit
gefeierte Sängerin Gitta Alpár auf, um mit einem Tenor das Duett „Verranno a te“ zu singen. Es war das letzte Mal, dass die
in Ungarn geborene Künstlerin in einem Film mitwirkte, ihre Laufbahn ging damit
zu Ende. Wenige Jahre zuvor schrieb die Zeitschrift „Der Wiener Tag“ auf dem
Höhepunkt ihrer Karriere über sie: „Gitta Alpár ist der weibliche Richard
Tauber der Operette. Ihr Gesang, kultiviert bis in den Silberrand der
Koloratur, darüber hinaus auf eine sinnliche Art weiblich durchwärmt, bezaubert
durch den erotischen Reiz ihrer Stimme, durch die delikaten Finessen ihres
Gesangs.“
Von der Oper zur Operette
Geboren wurde Gitta Alpár 1903 in
Budapest. Nach einer Gesangsausbildung debütierte sie 1923 an der Ungarischen
Staatsoper als Gilda in Rigoletto und
unterschrieb 1927 einen Vertrag mit der Berliner Staatsoper unter den Linden,
wo sie als Musetta in La Bohème und
als Königin der Nacht in Die Zauberflöte
gefeiert wurde. Ihre Operettenkarriere begann 1930 in Berlin als Viktoria in
Paul Abráháms Operette Viktoria und ihr
Husar, in der Uraufführung von Franz Lehárs Operette Schön ist die Welt sang sie an der Seite von Richard Tauber und
verdiente an einem Operetten-Abend soviel wie vorher an einem Monat in der Oper.
Zwei Musikfilme Gitta entdeckt ihr Herz
und Die oder keine verbreiteten den
Ruf der Alpár über Berlin hinaus.
Toujours l’amour
In der Berliner Uraufführung von
Paul Abráháms Operette Ball im Savoy
am 23. Dezember 19 32
im Großen Schauspielhaus ist sie auf
dem Höhepunkt ihrer Karriere und ihrer Schönheit. Sie ist eine der letzten
Operettendiven, von der man ohne Übertreibung sagen kann, dass ihr eine Stadt
zu Füßen gelegen hat. Gitta Alpár trat als Madeleine auf, Trude Berliner übernahm
die Rolle der Tänzerin Tangolita, Arthur Schröder war Marquis Aristide de
Faublas und in den Buffo-Rollen Mustapha und Daisy waren das singende und
tanzende Ehepaar Oskar Dénes und Rosy Bársony zu erleben. Die Produzenten der
Uraufführung von Ball im Savoy waren
die Brüder Alfred und Fritz Rotter, die in Berlin mehrere Bühnen betrieben,
obwohl sie kurz vor Pleite standen. Von ihrem letzten Geld gaben sie nach der
Premiere von Ball im Savoy einen
Empfang im Foyer. Kein Künstler ahnte, dass unter dem gesamten Mobiliar,
Tischen wie Stühlen, bereits der Kuckuck klebte. Als Paul Abráhám mit den
Sängern der Uraufführung mit einem Glas Sekt anstoßen wollte, waren die Flaschen
nicht aufzufinden – die Sektvorräte hatte der Gerichtsvollzieher während der
Premiere gepfändet! Die Künstler zeigten sich einfallsreich, füllten die Gläser
mit Wein und feierten so den großen Erfolg.
Flucht nach Wien
Mitte Jan uar
1933 konnten die Brüder Rotter die Gagen nicht mehr bezahlen, die Operette Ball im Savoy wurde abgesetzt. Zwei
Wochen später übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland,
unzählige Menschen wurden gezwungen, das Land zu verlassen, darunter auch Alfred
und Fritz Rotter und Mitglieder des Ensembles von Ball im Savoy. Nur der Schauspieler Arthur Schröder konnte in
Deutschland bleiben und setzte seine Karriere im Theater und im Film fort. Trude
Berliner, Paul Abráháms erste Tangolita, emigrierte in die Vereinigten Staaten,
wo sie 1942 in dem Spielfilm Casablanca
die kleine Rolle einer Angestellten übernahm, die in Rick’s Café mit den Gästen
Baccara spielt. Nach weiteren Nebenrollen zog sie sich auf ihre Farm nach
Kalifornien zurück. Die in Ungarn geborenen jüdischen Künstler Gitta Alpár,
Oskar Dénes und Rosy Bársony gingen 1933 zunächst nach Budapest zurück. Paul Abráhám
floh nach Österreich und lebte in Wien. 1935 übernahm er die musikalische Leitung
der Verfilmung von Ball im Savoy, die
Hauptrollen spielten wie in der Bühnenfassung Oskar Dénes, Rosy Bársony und Gitta
Alpár, für die Abráhám zusätzlich das Lied „In meinen weißen Armen“ komponierte.
In Deutschland durfte der Film nicht gezeigt werden.
Exil in Hollywood
Gitta Alpár konnte in Wien ihre
Karriere fortsetzen und trat in Nikolaus Brodszkys Operette Die verliebte Königin auf. 1935 übernahm
sie in England in einer Verfilmung der Operette Die Dubarry die Hauptrolle. Im selben Jahr reichte ihr Ehemann, der
im nationalsozialistischen Deutschland viel beschäftigte Schauspieler Gustav
Fröhlich, mit dem sie seit 1931 verheiratet war, die Scheidung ein und bekam
das Sorgerecht der gemeinsamen Tochter Julika zugesprochen. Bis zu ihrem
Lebensende lehnte Gitta Alpár eine Versöhnung mit ihm ab. 1938 brach sie zu
einer einjährigen Konzerttournee durch die Vereinigten Staaten auf, wurde dort vom
Beginn des Zweiten Weltkrieges überrascht und blieb in den Vereinigten Staaten.
An ihre glanzvolle Vorkriegskarriere konnte sie in den USA nicht mehr
anknüpfen. Mit dem ebenfalls emigrierten Komponisten Emmerich Kálmán gab sie gelegentlich
Radio-Konzerte, doch attraktive Angebote vom Broadway oder aus Hollywood
blieben aus. Im Alter von 38 Jahren zog sich Gitta Alpár in ihr Privatleben
zurück und konnte durch ihre Heirat mit dem Dänen Niels Wessel Bagge eine
finanziell sorglose Existenz führen.
Wohin ist das alles, wohin?
Nach 1945 gehörte Gitta Alpár in
Deutschland zu den vergessenen Künstlerinnen. 1987 kehrte ein einziges Mal nach
Berlin zurück, um das „Filmband in Gold“ entgegen zu nehmen. Bis zu ihrem Tod
1991 gab sie sich in ihrer Villa in Palm Springs der eigenen Fantasiewelt hin.
Ein 1987 gesendeter Fernsehbeitrag in einem ZDF-Magazin zeigt die weit über Achtzigjährige
in ihrem Wohnzimmer in einem rosa Kleid im Rollstuhl sitzend, das Gesicht bedeckt
mit dickem rosa Make-up und leise vor sich hinsummend, was ihre Haushälterin
mit den Worten kommentierte: „Sie sitzt hier manchmal Stunden am Tag und träumt von ihrer
glanzvollen Vergangenheit.“