Freitag, 1. Februar 2013


Sturz in die Vergessenheit


Als erfolgreiche Opern- und Operettensängerin feierte Gitta Alpár Triumphe in Wien, Berlin und London. Ihre Emigration nach Amerika brachte das Karriere-Aus.

Stimme mit erotischem Reiz

In einer Szene des 1941 gedrehten Hollywood-Films The flame of New Orleans sitzt Marlene Dietrich in einem Theater, um sich eine Aufführung der Oper Lucia di Lammermoor von Gaëtano Donizetti anzusehen. Auf einer kleinen Bühne tritt die im Europa der Vorkriegszeit gefeierte Sängerin Gitta Alpár auf, um mit einem Tenor das Duett „Verranno a te“ zu singen. Es war das letzte Mal, dass die in Ungarn geborene Künstlerin in einem Film mitwirkte, ihre Laufbahn ging damit zu Ende. Wenige Jahre zuvor schrieb die Zeitschrift „Der Wiener Tag“ auf dem Höhepunkt ihrer Karriere über sie: „Gitta Alpár ist der weibliche Richard Tauber der Operette. Ihr Gesang, kultiviert bis in den Silberrand der Koloratur, darüber hinaus auf eine sinnliche Art weiblich durchwärmt, bezaubert durch den erotischen Reiz ihrer Stimme, durch die delikaten Finessen ihres Gesangs.“

Von der Oper zur Operette

Geboren wurde Gitta Alpár 1903 in Budapest. Nach einer Gesangsausbildung debütierte sie 1923 an der Ungarischen Staatsoper als Gilda in Rigoletto und unterschrieb 1927 einen Vertrag mit der Berliner Staatsoper unter den Linden, wo sie als Musetta in La Bohème und als Königin der Nacht in Die Zauberflöte gefeiert wurde. Ihre Operettenkarriere begann 1930 in Berlin als Viktoria in Paul Abráháms Operette Viktoria und ihr Husar, in der Uraufführung von Franz Lehárs Operette Schön ist die Welt sang sie an der Seite von Richard Tauber und verdiente an einem Operetten-Abend soviel wie vorher an einem Monat in der Oper. Zwei Musikfilme Gitta entdeckt ihr Herz und Die oder keine verbreiteten den Ruf der Alpár über Berlin hinaus.

Toujours l’amour

In der Berliner Uraufführung von Paul Abráháms Operette Ball im Savoy am 23. Dezember 1932 im Großen Schauspielhaus ist sie auf dem Höhepunkt ihrer Karriere und ihrer Schönheit. Sie ist eine der letzten Operettendiven, von der man ohne Übertreibung sagen kann, dass ihr eine Stadt zu Füßen gelegen hat. Gitta Alpár trat als Madeleine auf, Trude Berliner übernahm die Rolle der Tänzerin Tangolita, Arthur Schröder war Marquis Aristide de Faublas und in den Buffo-Rollen Mustapha und Daisy waren das singende und tanzende Ehepaar Oskar Dénes und Rosy Bársony zu erleben. Die Produzenten der Uraufführung von Ball im Savoy waren die Brüder Alfred und Fritz Rotter, die in Berlin mehrere Bühnen betrieben, obwohl sie kurz vor Pleite standen. Von ihrem letzten Geld gaben sie nach der Premiere von Ball im Savoy einen Empfang im Foyer. Kein Künstler ahnte, dass unter dem gesamten Mobiliar, Tischen wie Stühlen, bereits der Kuckuck klebte. Als Paul Abráhám mit den Sängern der Uraufführung mit einem Glas Sekt anstoßen wollte, waren die Flaschen nicht aufzufinden – die Sektvorräte hatte der Gerichtsvollzieher während der Premiere gepfändet! Die Künstler zeigten sich einfallsreich, füllten die Gläser mit Wein und feierten so den großen Erfolg.

Flucht nach Wien

Mitte Januar 1933 konnten die Brüder Rotter die Gagen nicht mehr bezahlen, die Operette Ball im Savoy wurde abgesetzt. Zwei Wochen später übernahmen die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland, unzählige Menschen wurden gezwungen, das Land zu verlassen, darunter auch Alfred und Fritz Rotter und Mitglieder des Ensembles von Ball im Savoy. Nur der Schauspieler Arthur Schröder konnte in Deutschland bleiben und setzte seine Karriere im Theater und im Film fort. Trude Berliner, Paul Abráháms erste Tangolita, emigrierte in die Vereinigten Staaten, wo sie 1942 in dem Spielfilm Casablanca die kleine Rolle einer Angestellten übernahm, die in Rick’s Café mit den Gästen Baccara spielt. Nach weiteren Nebenrollen zog sie sich auf ihre Farm nach Kalifornien zurück. Die in Ungarn geborenen jüdischen Künstler Gitta Alpár, Oskar Dénes und Rosy Bársony gingen 1933 zunächst nach Budapest zurück. Paul Abráhám floh nach Österreich und lebte in Wien. 1935 übernahm er die musikalische Leitung der Verfilmung von Ball im Savoy, die Hauptrollen spielten wie in der Bühnenfassung Oskar Dénes, Rosy Bársony und Gitta Alpár, für die Abráhám zusätzlich das Lied „In meinen weißen Armen“ komponierte. In Deutschland durfte der Film nicht gezeigt werden.

Exil in Hollywood

Gitta Alpár konnte in Wien ihre Karriere fortsetzen und trat in Nikolaus Brodszkys Operette Die verliebte Königin auf. 1935 übernahm sie in England in einer Verfilmung der Operette Die Dubarry die Hauptrolle. Im selben Jahr reichte ihr Ehemann, der im nationalsozialistischen Deutschland viel beschäftigte Schauspieler Gustav Fröhlich, mit dem sie seit 1931 verheiratet war, die Scheidung ein und bekam das Sorgerecht der gemeinsamen Tochter Julika zugesprochen. Bis zu ihrem Lebensende lehnte Gitta Alpár eine Versöhnung mit ihm ab. 1938 brach sie zu einer einjährigen Konzerttournee durch die Vereinigten Staaten auf, wurde dort vom Beginn des Zweiten Weltkrieges überrascht und blieb in den Vereinigten Staaten. An ihre glanzvolle Vorkriegskarriere konnte sie in den USA nicht mehr anknüpfen. Mit dem ebenfalls emigrierten Komponisten Emmerich Kálmán gab sie gelegentlich Radio-Konzerte, doch attraktive Angebote vom Broadway oder aus Hollywood blieben aus. Im Alter von 38 Jahren zog sich Gitta Alpár in ihr Privatleben zurück und konnte durch ihre Heirat mit dem Dänen Niels Wessel Bagge eine finanziell sorglose Existenz führen.

Wohin ist das alles, wohin?

Nach 1945 gehörte Gitta Alpár in Deutschland zu den vergessenen Künstlerinnen. 1987 kehrte ein einziges Mal nach Berlin zurück, um das „Filmband in Gold“ entgegen zu nehmen. Bis zu ihrem Tod 1991 gab sie sich in ihrer Villa in Palm Springs der eigenen Fantasiewelt hin. Ein 1987 gesendeter Fernsehbeitrag in einem ZDF-Magazin zeigt die weit über Achtzigjährige in ihrem Wohnzimmer in einem rosa Kleid im Rollstuhl sitzend, das Gesicht bedeckt mit dickem rosa Make-up und leise vor sich hinsummend, was ihre Haushälterin mit den Worten kommentierte: „Sie sitzt hier manchmal Stunden am Tag und träumt von ihrer glanzvollen Vergangenheit.“