Samstag, 26. Dezember 2009
Obwohl Eduard Künneke ein großes Oeuvre hinterlassen hat, darunter Opern, Musik zu Filmen, gehobene Unterhaltungsmusik für Orchester, Kunstlieder und mehr als dreißig Operetten, ging er vor allem mit einem Werk in die Musikgeschichte ein. Die damals wie heute beliebte Operette Der Vetter aus Dingsda wurde zu seinem größten Erfolg.
Onkel und Tante
Die Handlung spielt in Holland in der Nähe von Roermond im Jahr 1921. Julia de Weert und Roderich haben sich ewige Treue geschworen, als dieser nach Batavia aufbricht, um dort zu arbeiten. Einige Jahre später, nachdem sie vergeblich auf seine Rückkehr gewartet hat, wollen Julias Onkel und Vormund Josef und seine Gattin Wilhelmine sie mit ihrem schüchternen Neffen August verheiraten, um dadurch der Familie das große Vermögen ihres Mündels zu sichern. Als ein Fremder erscheint, den Julia für Roderich hält, und ihre Freundin Hannchen einen weiteren Fremden trifft, in dem diese den ihr unbekannten August zu erkennen glaubt, entwickelt sich ein munteres Verwechslungsspiel, in das sich Tante und Onkel tatkräftig einmischen, bis es am Schluss eine Doppelhochzeit gibt.
Geboren am Niederrhein
Der am
Eheglück
Nach einer kurzen Militärzeit als Hornist bei einem Infanterieregiment trat Künneke 1916 ein Engagement am Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater an und teilte sich mit zwei anderen Dirigenten die musikalische Leitung der mehr als 1000 Aufführungen der rührseligen Operette Das Dreimäderlhaus, die Heinrich Berté nach Melodien von Franz Schubert zusammenstellte. Künneke lernte eine der Darstellerinnen kennen und heiratete die Sängerin Katarina Garden. Ihre gemeinsame Tochter war Evelyn Künneke, die als Schauspielerin und Schlagersängerin bekannt wurde.
Volkstümliche Operetten
Der Sensationserfolg des Dreimäderlhaus veranlasste Künneke, es ebenfalls mit einer volkstümlichen Operette zu versuchen. Das Dorf ohne Glocke wurde 1919 in Berlin uraufgeführt, und die Musik wurde von der Kritik gelobt. Dadurch wurde Hermann Haller auf das aufstrebende Talent aufmerksam. Haller hatte 1914 das Theater am Nollendorfplatz übernommen und dort mehrere Operetten von Rudolf Nelson und Walter Kollo zur Uraufführung gebracht. Haller verpflichtete Eduard Künneke als Hauskomponist und schrieb zusammen mit Fritz Oliven, der sich Rideamus nannte, die Libretti zu den in den Zwanzigerjahren viel gespielten Künneke-Operetten Der Vielgeliebte (1919) und Wenn Liebe erwacht (1920).
Harmlose Unterhaltung
Der Durchbruch zu einer der führenden Berliner Operettenkomponisten seiner Zeit gelang Künneke dann mit Der Vetter aus Dingsda. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Operetten spielte das neue Werk nicht mehr unter Adligen, sondern im großbürgerlichen Milieu, in dem ein sorgloses Leben geführt wurde, wovon die Theaterbesucher 1921 nur träumen konnten. Der Kaiser war abgedankt und in die Niederlande ins Exil geflüchtet, die Inflation rollte an und in Berlin kämpften politische Gruppierungen um die Vormachtstellung im Reichstag. Als Gegensatz zum wirklichen Leben in der kräftezehrenden Realität der frühen Weimarer Republik waren die Vorgänge um die vermögende Julia de Weert und ihre Familie deshalb harmlos und unterhaltsam gehalten. Für die Bühnen war der Aufwand mit einer Dekoration, einem kleinen Orchester und nur neun Solisten unter Verzicht auf Chor und Ballett verhältnismäßig gering, so dass Der Vetter aus Dingsda nach der Berliner Uraufführung am 15. April 1921 mit den Solisten Lori Leux (Julia), Gottfried Huppertz (Onkel Josef), Johannes Müller (ein Fremder), Eugen Rex (Roderich) und Ilse Marvenga (Hannchen) eine schnelle Verbreitung über die deutschen Bühnen fand und auch im Ausland ein außerordentlicher Erfolg war.
Der Vetter vom Broadway
In Wien wurde Der Vetter aus Dingsda bereits 1922 zum ersten Mal gespielt, und London zeigte ihn ein Jahr später unter dem englischen Titel The Cousin From Nowhere. Zwei Mal wurde Der Vetter aus Dingsda 1934 und 1954 verfilmt. Auch am Broadway wurde Künnekes Kassenschlager gespielt. 1923 wurde am Ambassador Theater in New York eine amerikanische Version 151 Mal aufgeführt, die in der dramaturgischen Struktur von der Originalvorlage abwich. In Amerika behielt man die Handlung zwar in ihren Grundzügen bei, aber die Liebesgeschichte wurde in den amerikanischen Bürgerkrieg verlegt, in den Roderich gezogen war. Der Broadway-Komponist Al Goodman steuerte einige musikalische Einlagen bei und die Produktion von Harry B. Smith verwandelte auf diese Weise den Vetter aus Dingsda unter dem neuen Titel Caroline in eine Art Vom Winde verweht für die Operettenbühne. Der große Erfolg des Vetter aus Dingsda wurde von Künnekes nachfolgenden Bühnenwerken Die Ehe im Kreise (1921) und Verliebte Leute (1922) nicht erreicht. Als Hermann Haller 1924 den Admiralspalast übernahm, um dort seine legendär gewordenen Revuen zu produzieren, nahm Künneke ein Angebot aus Amerika an. Für die Shubert-Brüder arbeitete er ab 1925 in New York als Arrangeur und Bearbeiter, konnte sich aber am Broadway mit seiner Operette Mayflowers nicht durchsetzen.
Der Tenor der Königin
Künneke kehrte 1926 nach Berlin zurück, ohne dort eine neue Anstellung als musikalischer Leiter zu finden. Um Geld zu verdienen arrangierte und instrumentierte er ungenannt die Chöre und Teile der Partitur der Revueoperette Das weiße Rößl. Und auch als Komponist eigener Werke musste Künneke sich nach der Uraufführung von Die hellblauen Schwestern in Berlin 1925 mit Theatern fern ab der pulsierenden Metropole Berlin begnügen: Lady Hamilton wurde in Breslau 1926, Die blonde Liselott am Landestheater Altenburg 1927 und Der Tenor der Königin in Prag 1930 uraufgeführt. Erst die Premiere der Umarbeitung von Die blonde Liselott zu Liselott 1932 am Berliner Admiralspalast mit Gustaf Gründgens und Hilde Hildebrand in den Hauptrollen bedeutete für Künneke die Rückkehr auf die Bühnen der Hauptstadt und auch die Operette Glückliche Reise wurde 1932 erstmals im Theater am Kurfürstendamm gespielt. Im Mittelpunkt der Uraufführung der romantische Operette Die lockende Flamme am Berliner Theater des Westens stand 1933 der Tenor Karl Jöken als Dichter und Komponist E. T. A. Hoffmann. Es war der letzte Höhepunkt in Künnekes künstlerischer Laufbahn, die durch die Kontrolle des deutschen Kulturlebens durch die Nationalsozialisten eine schmerzhafte Zäsur erlitt.
Shimmy und Paso-Doble
Künnekes Musik gab der Operette nach 1920 neue Impulse, die sich entweder nachromantisch-liedhaft geprägt wie in Die lockende Flamme und Der Tenor der Königin oder jazzbetont-frech wie in Glückliche Reise und Liselott bereits in seinem viel gespielten Frühwerk Der Vetter aus Dingsda ankündigten. Zu Beginn der Zwanzigerjahre galt die Operettenmusik der Goldenen Ära, die Johann Strauß, Carl Millöcker und Karl Zeller durch Walzer und Polkas belebt hatten, als musikalisch überholt. Die Komponisten der Silbernen Ära mit Franz Lehár, Leo Fall und Emmerich Kálmán als ihre bedeutendsten Vertreter wurden hellhörig, als die moderne Tanzmusik aus den Vereinigten Staaten auch in Deutschland beliebt wurde. Den Walzer behielten sie als ein wesentliches musikalisch-dramaturgisches Element der Operette bei, griffen aber ausgleichend auf Modetänze wie Onestep, Shimmy und Paso-Doble zurück.
Strahlender Mond
Auch Künneke verschloss sich zu Beginn der Zwanzigerjahre den neuartigen musikalischen Strömungen in Der Vetter aus Dingsda nicht. Das Duett „Kindchen, du musst nicht so schrecklich viel denken“ war ein Tango, das Ensemble „Sieben Jahre lebt ich in Batavia“ kam als Foxtrott daher und der „Strahlende Mond“ wurde im Gewand eines Valse Boston besungen. Dazu gesellten sich die volkstümliche Arie „Ich bin nur ein armer Wandergesell“ und das marschartige Duett „Onkel und Tante, ja das sind Verwandte, die man am liebsten nur von hinten sieht“. Diese gelungene Mischung aus kecken Jazzsynkopen und gefühlvollen Weisen hat Künneke in seinen anderen Werken nie mehr in dieser Konsequenz wie im Vetter aus Dingsda verfolgt. In seinen Werken der Zwanziger- und frühen Dreißigerjahre bevorzugte Künneke entweder einen opernhaft-melodramatischen Ton wie in Die lockende Flamme oder er schrieb mit Glückliche Reise eine tanzmusikbetonte Revueoperette.
Saxophon und Walzerklänge
Während Franz Lehár in seinen späten Operetten in der Dramaturgie des tragischen Finales und mit süßlicher Melodik wie in Paganini einen eigenen Weg ging, verfolgte Emmerich Kálmán dagegen das Rezept von Künneke zur Neubelebung der Operette im Nebeneinander von Saxophonklängen und Walzerträumen in seinem Erfolgsstück Die Bajadere. Auch Paul Abraham griff in Viktoria und ihr Husar und Blume von Hawaii im Wechsel von flotter Tanzmusik und gefühlsbetontem Schlager Künnekes musikalische Konzeption auf, ebenso Ralph Benatzky. Für seine Revue-Operetten Im weißen Rößl und Meine Schwester und ich kopierte er Künnekes musikalische Dramaturgie, in denen zudem wie in Künnekes Bühnenwerken Der Vetter aus Dingsda und Glückliche Reise Alltagspersonen auf die Bühne standen. In einer stilistisch neuartigen Mischung aus Zeitgeist, Operettenseligkeit, kabarettistischen Elementen und modernen Tanzrhythmen wurde eine Frühform des deutschsprachigen Musicals entwickelt, die durch das Jahr 1933 nicht weiter verfolgt werden konnte. Auch Eduard Künneke gehörte nun, obwohl er nicht aus Deutschland vertrieben wurde, zur Generation der um die Wende zum 20. Jahrhundert geborenen Operettenkomponisten, deren musikalische Entwicklung durch das Dritte Reich beeinträchtigt wurde, und die weder in der Heimat noch in der Fremde an ihre Erfolge aus den Zwanzigerjahren anschließen konnten.
Aufführungsverbot
Nach der Machtübernahme versuchte die nationalsozialistische Kulturpolitik durch zahlreiche neue Werke von Nico Dostal, Rudolf Kattnigg und Fred Raymond die Lücke im Operettenrepertoire zu schließen, die nach dem Verbot der jüdischen Komponisten wie Jacques Offenbach, Emmerich Kálmán, Leo Fall und Paul Abraham entstanden war. Eduard Künneke geriet in Schwierigkeiten, weil er sich von seiner halbjüdischen Frau Katarina nicht trennen wollte, und trotz seiner großen Erfolge in den Jahren der Weimarer Republik wurde er zunächst mit einem Aufführungsverbot belegt. Die Uraufführungen von Künnekes neuen Operetten waren vorerst nur im benachbarten Ausland möglich. Liebe ohne Grenzen wurde in Wien 1934 und Herz über Bord in Zürich 1935 erstmals gespielt. Der Boykott gegen Künneke endete durch eine Anweisung der Reichstheaterkammer vom
Schwungvolle Kompositionen
Danach musste er erleben, dass ihm in Deutschland Unterhaltungskomponisten aus der zweiten Reihe wie die von offizieller Seite geförderten Walter Wilhelm Goetze und Arno Vetterling den Rang abliefen, weniger kompositorisch als an der Anzahl der Aufführungen ihrer Werke und der Wahl der Uraufführungsorte gemessen. Dabei hatte Künneke für seine heute nicht mehr gespielte Operette Herz über Bord 1935 eine seiner schwungvollsten Kompositionen geschrieben. Blues, Jazz und Walzer waren in die melodisch und rhythmisch reizvolle Partitur eingebettet, aber nach der deutschen Erstaufführung in Düsseldorf fand das Werk, das einmal mehr Künnekes Kunst der farbenprächtigen Instrumentation bewies, keine Verbreitung auf den Bühnen. Künnekes folgende Operetten, die in ihrer Erfindungsgabe den früheren Bühnenwerken nicht nachstanden, wurden unverdient in der Provinz uraufgeführt: Zauberin Lola in Dortmund 1938, Der große Name in Düsseldorf 1938 und Traumland in Dresden 1941. Schließlich stand im Dritten Reich der Vetter aus Dingsda auf der Liste unerwünschter Operetten.
Rückzug ins Privatleben
Künneke zog sich nach Kriegsausbruch enttäuscht in sein Privatleben zurück, komponierte nur noch gelegentlich und beschäftigte sich mit Mathematik, Geschichte, Religionswissenschaft und Mythologie. Die Nachkriegszeit verbrachte Künneke in Halle, bevor er wieder nach Berlin zurückkehrte. Noch einmal gab es 1949 die Uraufführung einer neuen Operette. Das heitere Spiel Hochzeit mit Erika beschloss in Düsseldorf den Reigen seiner Bühnenwerke. Eduard Künneke starb in Berlin am
Im New Yorker Casino Theater stand am
Schenkt man sich Rosen in New York
Die beschwingte Inszenierung, in der die legendäre Diva Marie Tempest als Vogelhändler Adam in einer Hosenrolle die Bühne betrat, stand ab dem
Unterricht bei Simon Sechter
Der Geburtsort des Komponisten war das niederösterreichische Städtchen St. Peter in der Au, in dem ein Carl-Zeller-Museum mit vielen Exponaten den Lebensweg von Zeller nachzeichnet, der als Sohn des Wund- und Geburtsarztes Johann Zeller und seiner Frau Elisabeth am 19. Juni 1842 geboren wurde. Schon während er die Landschule besuchte, wurde der dortige Schulmeister und Organist Johann Brandstätter auf das musikalische Talent des Knaben aufmerksam, der nicht nur über ein absolutes Gehör verfügte, sondern auch eine schöne Sopranstimme besaß. Zur Absolvierung seiner Mittelschulstudien kam Zeller zunächst als Freistipendiat an das Löwenburg’sche Konvikt nach Wien und wurde in den Chor der k.u.k.-Hofkapell-Sängerknaben aufgenommen. Zur Vollendung seiner Gymnasialstudien ging er im Alter von 17 Jahren nach Stift Melk, wo er die Reifeprüfung mit Auszeichnung bestand. Obwohl er in Wien vom Hoforganisten Simon Sechter Unterricht in Komposition erhielt, der auch Anton Bruckner unterrichtete, begann Zeller ein Studium der Rechtswissenschaft.
Im Staatsdienst
Nach seiner Promotion zum Dr. jur. war er an verschiedenen Gerichtshöfen tätig, bis er 1873 im Alter von 31 Jahren als k.u.k.-Ministerialkonzipist in das österreichische Ministerium für Kultus und Unterricht berufen wurde. Dort stieg er während seiner langjährigen Laufbahn bis zum Ministerialrat auf und wurde zum Vorsitzenden des Kunstreferats berufen. Zeller, der seinen Status als Staatsbeamter zeit seines Lebens aber nie aufgab, komponierte ausschließlich in seiner Freizeit. Seine ersten Werke waren Männerchöre für Wiener Gesangsvereine, darunter das Liederspiel für Soli, Männerchor und Klavier Szenen vom Kölnischen Narrenfeste. 1876 fand die Uraufführung der komischen Oper Joconde im Theater an der Wien statt. Die Operette Die Fornarina, in München 1879 erstmals gespielt, fand dagegen nicht den Weg nach Wien, und die Umarbeitung der in Wien 1880 uraufgeführten Operette Die Carbonari fand erst in Berlin 1881 unter dem Titel Capitän Nicol Anklang. Sie wurde als erstes Bühnenwerk von Zeller 1891 als Gastspiel der Geistinger-Bühnen sogar in New York gezeigt. Das in Wien 1876 uraufgeführte Singspiel Der Vagabund wurde dagegen nach nur 37 Aufführungen sogleich wieder abgesetzt.
Harmlosigkeiten
Erst die Uraufführung der bis in unsere Zeit populär gebliebenen Operette Der Vogelhändler brachte Zeller 1891 einen Sensationserfolg, zu dem neben der volkstümlich-sentimentalen Musik und dem gefälligen Textbuch die Darstellung durch die besten Wiener Operettenkräfte erheblich beitrug. Als Adam glänzte der damals vom Wiener Publikum vergötterte Alexander Girardi, die Kurfürstin wurde von der gefeierten Sängerin Ottilie Collin gesungen, und als Christel von der Post trat der beliebte Star Ilka von Palmay auf, die diese Rolle auch 1895 in London spielte. Das Wiener Fremdenblatt schrieb nach der Weltpremiere der Operette Der Vogelhändler im Theater an der Wien: „Eine harmlose und lustige Liebesverwicklung am Hofe eines Serenissimus. Ein heiterer, redlicher Humor stellt sich stets zur rechten Zeit ein; eine ebenso graziöse Musik schlingt sich harmonisch um den lustspielartigen Text. Wahrhaft eine Operette.“
Die Christel von der Post
Zellers Welterfolg Der Vogelhändler ist mehr als andere zeitgenössische Operetten am Volkstümlichen orientiert, und zwar sowohl in der Gestaltung vieler eingängiger Liednummern als auch in der Figurenzeichnung. Im Vordergrund steht eine ländliche Idylle. Burleske und Parodie, die seit den Werken Offenbachs das Genre bestimmten und sich ebenso in dem satirisch gezeichneten Personal der Fledermaus von Johann Strauß (1874) fanden, wurden durch Melancholie und Gefühlsseligkeit ersetzt. Zeller und seine Librettisten Moritz West und Ludwig Held entwarfen ein Gegenbild zu einer höfischen Welt, welche die meisten Operetten von Strauß, Millöcker und Suppé zelebrierten. Zellers Textdichter fanden ihre Vorbilder in Volksstücken von Ferdinand Raimund und Ludwig Anzengruber, die ein großes Publikum hatten. Die Schilderung einer heiteren Welt auf dem Lande, in der einfache Menschen sich den Intrigen und Machenschaften der adligen Oberschicht erfolgreich widersetzen, gehörte zum Erfolgskanon des Vogelhändlers. Auch das klassische Besetzungsschema mit dem ‚ersten‘ Paar der höheren und dem ‚zweiten‘ Paar der niederen Sozialschicht wurde durchbrochen. Da der Kurfürst im ganzen Spiel niemals an die Seite der Kurfürstin tritt, blieb das hohe Paar unvollständig. Die Handlung fokussierte sich daher nicht auf zwei Hauptrollen von adliger Herkunft, sondern auf den Vogelhändler Adam und die Postangestellte Christel, die unter großen Schwierigkeiten versuchen, sich eine bürgerliche Existenz zu sichern. Im Gegensatz zu vielen anderen Operetten besetzte der Chor eine Hauptrolle. Fast das ganze Geschehen spielt sich in der Öffentlichkeit der Pfälzer Bauern und der Hofleute ab. Er tritt als eigenständige Gruppe auf, kommentiert die Gefühle der handelnden Personen oder ironisiert augenzwinkernd das Geschehen.
Kinofassungen
Eine ganze Reihe von Musiknummern erreichte die Popularität von Volksliedern, darunter das Ensemble Schenkt man sich Rosen in Tirol und das Couplet Ich bin die Christel von der Post wie auch die sentimentale Arie Als geblüht der Kirschenbaum und das volkstümliche Lied Wie mein Ahnerl zwanzig Jahr’. Die ländliche Idylle, die im Vogelhändler heraufbeschworen wurde, führte zum Genre der „Trachtenoperette“. In Leo Falls Der fidele Bauer (1907), Léon Jessels Schwarzwaldmädel (1917), Ralph Benatzkys Im weißen Rößl (1930) und Fred Raymonds Saison in Salzburg (1938) wurde einem großstädtischen Publikum eine heile und idyllische Bergwelt gezeigt, die ebenso beschaulich wie überschaubar ist. Und Der Vogelhändler eroberte sich auch die Leinwand: 1935 übernahmen Wolf-Albach Retty und Lil Dagover, 1940 Johannes Heesters und Marte Harell, 1953 Gerhard Riedmann und Ilse Werner, und 1962 Albert Ruprecht und Conny Froeboes die Hauptrollen im Kino.
Ein folgenschwerer Unfall
Das Leben von Carl Zeller, der Anna Maria Schwetz geheiratet hatte und die ihm zwei Söhne schenkte, war arm an äußerem Glanz. Zeller stand wie seine komponierenden Wiener Zeitgenossen Karl Millöcker, Franz von Suppé und vor allem Johann Strauß nie im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Geschehens der Donaumetropole. Als österreichischer Beamter durfte er sich nach den Uraufführungen zudem nicht im Kreis der Künstler auf der Bühne verbeugen. Eine Mitteilung des auf seine Würde bedachten k.u.k.-Ministeriums für Kultus und Unterricht hielt es für angebracht, ihm schriftlich anzuzeigen, „es wäre wohl natürlich, daß mit Rücksicht auf seine Eigenschaft als Staatsbeamter der Herr Dr. Zeller nicht auf der Bühne erscheinen könne.“ Stattdessen nahm Zeller den Beifall von einer Ehrenloge entgegen. Doch Zellers Ruf als einer der führenden Wiener Operettenkomponisten war so groß, dass ihm in seiner doppelten Eignung als Kulturbeamter und Komponist sogar die Direktion des Hoftheaters angeboten wurde, was er aber ablehnte. Die letzten Lebensjahre waren von Krankheiten überschattet. Zeller zog sich durch einen unglücklichen Sturz auf dem Glatteis eine Rückenmarksverletzung zu, die ihn schließlich an Händen und Füßen lähmte; hinzu kam eine Gedächtnisschwäche. Doch nicht genug der Tragödie: Als Zeuge in einem schwierigen Erbschaftsprozess verwickelte er sich in Widersprüche und wurde wegen eines angeblich doppelten Meineids zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Bevor das beschämende Urteil in einer Revision aber wieder aufgehoben wurde, war Zeller völlig gelähmt am 17. August 1898 in Baden bei Wien gestorben. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Abgesang
Das letzte vollständig komponierte Werk von Zeller war die 1894 uraufgeführte Operette Der Obersteiger, in der Zeller mit der Arie Sei nicht bös eine seiner beliebtesten Melodien gelang. Nach Zellers Tod wurde aus unveröffentlichten Skizzen für neue Werke vom Kapellmeister Joseph Brandl eine Operette zusammengestellt, die als Der Kellermeister zum ersten Mal in Wien 1901 posthum uraufgeführt wurde. Damit fand Zellers Schaffen einen liebenswerten Ausklang.