Freitag, 30. April 2010

Franz Lehár PAGANINI

Die Operette Paganini brachte Lehár 1926 in seinem 56. Lebensjahr endlich wieder einen durchschlagenden Erfolg, wenn auch über einen Umweg.

In der Schaffenskrise

Die Premiere der „Lustigen Witwe“ lag mehr als 20 Jahre zurück und trotz mancher einprägsamer Melodie errangen die nachfolgenden Bühnenwerke „Der Mann mit den drei Frauen“, „Das Fürstenkind“, „Eva“ ,„Endlich allein“ und „Die blaue Mazur“ nie den Welterfolg der „Lustigen Witwe“ erringen. Zwar waren „Der Graf von Luxemburg“ und „Zigeunerliebe“ beim Publikum beliebt, aber zu Beginn der zwanziger Jahre war Lehár in einer Schaffenskrise. Während er mit „Frasquita“ 1922 wenigstens einen Achtungserfolg erringen konnte, war die Uraufführung der Operette „Die gelbe Jacke“ 1923 ein Misserfolg, unter dem er litt. Auch „Clo-Clo“ erfüllte seine Hoffnungen auf einen Kassenknüller nicht.

Eine Künstlerfreundschaft

Lehár baute seine ganze Hoffnung auf einen aufstrebenden Tenor, der als Opernsänger auch in Operetten auftrat. Mit der Titelfigur in „Paganini“ wollte Lehár die wachsende Popularität Richard Taubers nutzen und für den Sänger eine Paraderolle schaffen. Lehár erlebte Tauber erstmals in einer Salzburger Aufführung seiner „Zigeunerliebe“ 1921. In der Uraufführungsserie der „Frasquita“ trat Tauber in Wien 1922 noch als Zweitbesetzung mit dem Lied “Hab’ ein blaues Himmelbett“ auf, das zu einem der ersten unverwechselbaren Tauber-Lehár-Schlager wurde. Die Berliner Erstaufführung von „Paganini“ besiegelte die Künstlerfreundschaft. Wann immer Tauber als Paganini in Berlin die Bühne betrat, forderte das Publikum die mehrfache Wiederholung seiner Arien, darunter das berühmte „Gern hab‘ ich die Frau’n geküßt“.

Heinrich Heine lässt grüßen

In Heinrich Heines Novelle “Florentinische Nächte“ (1836) ist über den Geigenvirtuosen Niccolò Paganini zu lesen: „Als er zu Lucca Kapellmeister war, verliebte er sich in eine Theaterprinzessin, ward eifersüchtig auf irgendeinen kleinen Abate, und erstach auf gut italienisch seine ungetreue Amata. Paganinis Äußeres hatte sich ebenfalls, und zwar aufs allervorteilhafteste verändert: er trug kurze Beinkleider von lilafarbenem Atlas, eine silbergestrickte, weiße Weste, einen Rock von hellblauem Sammet mit goldumsponnenen Knöpfen, und die sorgsam in Löckchen frisierten Haare umspielten sein Gesicht, das ganz jung und rosig erblühte und von süßer Zärtlichkeit erglänzte, wenn er nach dem hübschen Dämchen hinäugelte, das neben ihm am Notenpult stand, während er Violine spielte...Oh, das waren Melodien, wie die Nachtigall sie flötet in der Abenddämmerung, wenn der Duft der Rose ihr das ahnende Frühlingsherz mit Sehnsucht berauschte.“ Als Heinrich Heine diese Zeilen schrieb, lebte der Geigenvirtuose noch. Niccolò Paganini wurde 1782 in Genua geboren, er starb 1840 in Nizza. Dazwischen lag ein wildbewegtes Leben. Paganini erwies sich schon in frühester Jugend als hochmusikalisch, studierte bei verschiedenen Lehrern und erregte durch sein Geigenspiel örtliches Aufsehen.

Ein magischer Geiger

Wegen der kriegerischen Ereignisse konnte er in Italien zunächst überregional nicht konzertieren. 1801 waren Napoleon nach seinem Sieg über Österreich dessen italienische Besitzungen in die Hände gefallen. Er schenkte seiner Schwester Anna Elisa die winzige Republik Lucca als Fürstentum. Sie hatte 1797 den armen korsischen Adligen Felice Bacchiocchi geheiratet, der durch ihre Erhebung in den Fürstenstand ebenfalls Fürst wurde, aber in Lucca nichts zu sagen hatte. Anna Elisa legte sich einen kleinen Hofstaat zu, zu dem auch ein Kammerorchester gehörte. In diesem wurde Paganini zweiter Geiger. Nach der Auflösung des Orchesters blieb Paganini noch bis 1809 als Geigenlehrer in Lucca. Ab 1810 lebte er als reisender Violinkünstler und brachte es zu nationaler Berühmtheit. Um 1830 war er zu jenem Teufelsgeiger mit der dämonischen Ausstrahlung geworden, bei dessen Kunstgriffen die Damen scharenweise in Ohnmacht fielen. Mit atemberaubender Schnelligkeit und stupender Präzision führte er ein Feuerwerk technisch vertrackter Spielerei durch, das dem verdutzten Publikum suggerierte, der Geiger habe sich mit dem Leibhaftigen verbündet. Dabei waren diese Effekte geplant. Niccolò Paganini verwendete erheblich dünnere Darmsaiten als sonst üblich, er verfügte über eine außergewöhnliche Spannbreite der linken Hand und erfand die Springbogentechnik.

Lehár in Trance

Den Text zu „Paganini“ schrieb der Buchhändler, Schriftsteller und Amateurkomponist Paul Knepler, der zusammen mit Fritz Löhner-Beda 1934 das Libretto zu Lehárs letzter Operette „Guiditta“ dichtete. Er hatte bereits Erfahrung in der Aufarbeitung historischer Künstler mit einer Operette über die Wiener Volksschauspielerin Josephine Gallmayer gesammelt. Zwar waren bereits einige Komödien über den Teufelsgeiger aufgeführt worden, aber eine musikalische Dramatisierung seines bewegten Liebeslebens stand noch aus. Lehár, der auf der Suche nach einer inspirierenden Geschichte war, war von Kneplers Entwurf begeistert. Im „Neuen Wiener Journal“ blickte er 1937 zurück: „Schon die erste Szene mit dem faszinierenden Geigenspiel aus der Ferne macht mich stutzig. Ich lese weiter, und Musik, Musik strömt mir aus jeder Gestalt, aus jeder Situation entgegen. Ich war so gepackt, daß ich mich sofort zum Schreibtisch setzte und die ganze Nacht hindurch, ohne Unterbrechung, förmlich in einem Trancezustand den ersten Akt und noch ein Stück vom zweiten in den musikalischen Umrissen skizzierte. Völlig erschöpft stand ich gegen Morgen vom Schreibtisch auf – und doch mit einem glücklichen Gefühl. Damals schrieb ich in mein Skizzenbuch: Geburtstagsgeschenk vom lieben Gott – denn es war gerade der 30. April – mein Geburtstag!“

Liebe und Verzicht

Der Komponist zog Béla Jenbach hinzu, der den Text zur Operette „Clo-Clo“ geliefert hatte. Jenbach entwickelte zusammen mit Knepler eine unhistorische, schwülstige Geschichte mit glatten, aber wirksamen Gesangstrophen. Es ist der jugendliche Paganini, der auf dem Weg nach Lucca während einer Rast eine vornehme Schönheit kennenlernt - Anna Elisa, die Schwester Napoleons. Sie erwidert seine Neigung, zumal ihr Gatte sie schon lange vernachlässigt und verpflichtet den Künstler in ihre kleine Residenz. Ein halbes Jahr verbringt Paganini dort im Liebesbanne seiner holden Mäzenin. Da erfährt Napoleon von der Liaison seiner Schwester und verlangt die unverzügliche Abreise des angeblichen Verführers. Anna Elisa lehnt sich zunächst gegen diesen Befehl auf. Schließlich willigt sie ein. Paganinis Kunst soll der ganzen Welt gehören.

Die Weltpremiere ohne Tauber

Für die Uraufführung von „Paganini“ hoffte Lehár auf die Mitwirkung Richard Taubers. Nach wochenlangen Querelen zwischen den beiden vorgesehen Orten der Premiere, dem bekannten Theater an der Wien und dem Johann-Strauß-Theater, entschied Lehár sich auch wegen der dort zu seiner Zufriedenheit aufgeführten Umarbeitung von „Clo-Clo“ für das letztere Bühnenhaus. Tauber hatte allerdings inzwischen ein Engagement in Berlin angenommen. Als Ausgleich spielte er zusammen mit seiner Frau Carlotta Vanconti eine Woche vor der Wiener Uraufführung Arien und Duette aus „Paganini“ auf Schellackplatten ein. Das forderte zum direkten Vergleich mit dem Heldentenor Carl Clewing heraus, der schließlich als Verlegenheitslösung die Uraufführung am 30. Oktober 1925 am Johann-Strauß-Theater in Wien gestaltete. Der Sänger gehörte 1924 und 1925 als Stolzing in „Die Meistersinger von Nürnberg“ und als Parsifal zum Ensemble der Bayreuther Festspiele. Er hatte als Heldentenor seine Meriten, doch das mondäne Operettenfach lag ihm weniger. Als Anna Elisa agierte die heute vergessene Sopranistin Emma Kosáry. Sie war ihrer Partie weder stimmlich noch darstellerisch gewachsen.

Auseinandersetzungen

Die Besprechungen waren nicht einhellig und auch in den folgenden Aufführungen stellte sich der von Lehár erhoffte durchschlagende Erfolg nicht ein. Die Kritiker bemängelten die Nähe zur großen Operngestik, die vergnügungssüchtigen Zuschauer vermissten witzige und handfeste Dialoge. In der Wiener Aufführung war nur wenig von der musikalischen Noblesse und der Eleganz des Werkes zu spüren. Direktor Heinz Saltenberg, der das Deutsche Künstlertheater in Berlin 1924 übernommen hatte, berief sich daraufhin auf die mäkelnden Wiener Kritiker und weigerte sich, den Berliner Aufführungsvertrag zu erfüllen. Lehár legte Beschwerde beim Bühnenschiedsgericht ein. Nach einigem Hin und Her einigte man sich auf eine Aufführungsgarantie von dreißig statt fünfzig Aufführungen. Tauber, der sich in dieser für ihn konzipierten Rolle dem Publikum an der Spree präsentieren wollte, verzichtete auf die Hälfte seiner Gage und Lehár auf seine Tantiemen.

Gern hab’ ich die Frau’n geküsst

Den Durchbruch als eines der beliebten Bühnenwerke Franz Lehárs verdankt „Paganini“ dieser legendären Erstaufführung 1926 in Berlin. Im Deutschen Künstlertheater wurde allabendlich Richard Tauber in der Hauptrolle gefeiert. Ihm zur Seite stand Vera Schwarz als Anna Elisa. Die Sopranistin gehörte in der Operettenszene der Weimarer Republik zusammen mit Rita Georg, Gitta Alpar und Fritzi Massary zu den Hauptattraktionen. Ein Jahr später sang sie in der Uraufführung des „Zarewitsch“. Die Künstlerin war aber auch in so unterschiedlichen Partien wie Octavian im Rosenkavalier“ bei den Salzburger Festspielen und als Lady in Verdis „Macbeth“ in Glyndebourne zu erleben. Die anderen Partien waren mit Darstellern besetzt, die sich später auf der Bühne und im Film großer Popularität erfreuten. Edith Schollwer war Bela und Eugen Rex der Pimpinelli.

Eine meisterliche Partitur

Das „Berliner Tageblatt“ traf eine heute noch gültige Wertung dieser Operette: „Die Idee, eine historische Persönlichkeit auf die Bühne zu bringen, erweist sich selten als glücklich und hier ist sie besonders verfehlt. Paganini war in seinem Leben eine tragische Figur und könnte auf der Bühne auch nur tragisch behandelt werden. Was die drei Akte vorführen hat nichts mit seinem Wesen zu tun. Die eingeflochtenen komischen Episoden sind nicht stark genug, um das sinkende Interesse an dieser um psychologische Motivierung und spannende Ereignisse unbesorgten Handlung zu fesseln. Der Wert des Werkes liegt einzig in der Musik. Mag Lehár in früheren Arbeiten hie und da origineller, an zündenden Einfällen reicher gewesen sein, Paganini ist zweifellos seine reifste, meisterlichste Partitur. Die Orchestration ist sehr gut gewählt, farbig und auch da nicht massig, wo sie von der Blechgruppe ausgiebigen Gebrauch macht. Paganini steht und fällt mit der Besetzung der beiden Hauptrollen“.

Von Kopf bis Fuß

Der Komponist Lehár erlebte dank seiner Protagonisten in Berlin ein künstlerisches Comeback. In den folgenden Jahren konnte er mit seinen Operetten „Der Zarewitsch“, „Friederike“, „Das Land des Lächelns“, „Schön ist die Welt“ und „Giuditta“ jeweils mit Richard Tauber in den Hauptrollen neue Triumphe feiern. Der tragische Schluss von „Paganini“ mit dem dramatischen Liebesverzicht des Paares bestimmte als erfolgversprechendes Rezept die Dramaturgie seine Spätwerke. Nur in „Schön ist die Welt“ findet das Liebespaar noch einmal zueinander. Richard Tauber, der 1947 zusammen mit Franz Lehár sein letztes Rundfunkkonzert in der Schweiz gab, begründete durch die Berliner Aufführung von „Paganini“ seinen weltweiten Ruf als führender Operettentenor seiner Generation. 1932 schrieb er frei nach einem bekannten Chanson von Hollaender ein wenig profan, aber dankbar und witzig, in Lehárs Gästebuch: „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Lehár eingestellt / Dafür krieg ich mein Geld / Für sonst gar nichts!!“