Samstag, 15. Januar 2011

Johann Strauß PRINZ METHUSALEM


Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ war bei der Erstaufführung in Wien 1860 ein sensationeller Erfolg. Johann Strauß Sohn, der seinen Ruhm seinen Walzern, Polkas und Märschen verdankte, blickte neidisch auf den Konkurrenten aus Paris. Strauß beschloss, ebenfalls Operetten zu komponieren, um seinen Ruf, der führende Komponist von Unterhaltungsmusik seiner Zeit zu sein, nicht zu gefährden. Doch den Plan auch für das Theater zu schreiben, schob er viele Jahre vor sich her, weil er Zweifel daran hegte, ob sich seine Tanzmusik, wenn sie mit Gesangsversen versehen wurde, auf der Bühne behaupten könnte.

Debüt mit 46 Jahren

Nachdem auch der Wiener Komponist Franz von Suppé begonnen hatte, Operetten zu schreiben, sah sich Johann Strauß gezwungen, in die Offensive gehen. Seine Ehefrau Jetty bat den Theaterdirektor Maximilian Steiner, Buch und Gesangsverse für die Operette „Indigo und die vierzig Räuber“ zu liefern, mit der Strauß 1871, im Alter von 46 Jahren, sein Debüt als Komponist von Operetten gab. 1873 folgte „Der Karneval in Rom“. Mit der 1874 uraufgeführten „Fledermaus“ konnte Johann Strauß endgültig beweisen, dass er nicht nur eingängige Tanzmusik zu komponieren vermochte, sondern das Talent besaß, Figuren musikalisch zu charakterisieren und auf der Bühne dramatische Spannung zu erzeugen.

Wiener Operette à la Offenbach

Das hochgesteckte Ziel mit seinen Operetten auch Paris zu erobern, um Jacques Offenbach an seiner ureigensten Wirkungsstätte Paroli bieten zu können, schien in greifbare Nähe gerückt zu sein, als 1875 „Indigo und die vierzig Räuber“ am Pariser Théâtre de la Renaissance unter dem französischen Titel „La Reine Indigo“ aufgeführt wurde. Strauß, der zu den Proben nach Paris gereist war, berichtete in einem Brief nach Wien an den Textdichter Richard Genée von einem „größtmöglichen Erfolg“ und äußerte den Wunsch, als nächstes eine „typische französische Operette“ zu komponieren. Was Strauß als typisch für die französische Operette ansah, führte er nicht näher aus. Vermutlich dachte er an ein Bühnenwerk, das sich durch parodistische und satirische Elemente auszeichnete. Genée bot ihm ein Libretto an, das auf Eugène Scribes Textbuch zur komischen Oper „La Circassienne“ basierte, das Daniel-François-Esprit Auber 1861 vertont hatte. Darin verkleidet sich ein Soldat als Frau, um seiner Geliebten nahe zu sein. Strauß lehnte den Textentwurf ab. Genée reichte das verschmähte Textbuch an Franz von Suppé weiter, der es 1876 unter dem Titel „Fatinitza“ vertonte und damit Triumphe feierte. Nun schaltete sich Franz Jauner ein. Er war als Direktor des Wiener Carl-Theaters an der Aufführung einer neuen Strauß-Operette und den damit zu erwartenden hohen Einnahmen sehr interessiert, und hatte zudem erfahren, dass Johann Strauß eine Operette im französischen Stil komponieren wollte. Franz Jauner beauftragte die Pariser Librettisten Victor Wilder und Alfred Delacour, die bereits an der französischen Fassung der „Fledermaus“ arbeiteten, ein Libretto für Johann Strauß zu schreiben, dessen satirische Seitenhiebe auf Politik und Militär entfernt an Offenbachs Operette „Die Großherzogin von Gerolstein“ erinnern.

Eine missliche Lage

Die beiden Herrscher der Königreiche Rikarak und Trocadero haben beschlossen, dass Prinz Methusalem mit Prinzessin Pulcinella in den Stand der Ehe treten. Nach der Hochzeit sollen beide Länder friedlich vereinigt werden. Die Realisation erweist sich als schwierig: Methusalem und Pulcinella haben ihre eigenen Pläne, und als in beiden Staaten revolutionäre Unruhen ausbrechen, geraten die Könige in eine missliche Lage. Die Uraufführung in Paris vor Augen, begann Strauß nach Erhalt des in französischer Sprache geschriebenen Librettos mit der Vertonung, doch die Arbeit geriet ins Stocken. Da Strauß kein Französisch sprach, hatte er Schwierigkeiten, die in einer ihm unbekannten Sprache verfassten Verse mit Musik zu versehen. Es half wenig, dass seine Ehefrau Jetty die Gesangstexte sinngemäß ins Deutsche übertrug. Um die Partitur zu „Prinz Methusalem“ beenden zu können, ließ Strauß sich von Carl Treumann die französischen Texte übersetzen. Nach Fertigstellung seiner neuen Operette nahm der Komponist Verhandlungen mit Pariser Theaterdirektoren auf, die keinerlei Interesse daran zeigten, „Prinz Methusalem“ in Frankreich aufzuführen. Franz Jauner bot daraufhin Strauß an, die Weltpremiere im Wiener Carl-Theater stattfinden zu lassen.

Politische Anspielungen

Die Uraufführung von „Prinz Methusalem“ am 3. Januar 1877 unter der musikalischen Leitung von Johann Strauß wurde vom Wiener Publikum mit Zustimmung aufgenommen, die Kritiker verhielten sich in ihren Besprechungen zurückhaltend. Sie konnten mit dem ursprünglich für eine Aufführung in Paris konzipierten Libretto wenig anfangen, das mit Anspielungen auf die nach dem Deutsch-Französischen Krieg immer noch herrschenden politischen Spannungen zwischen den beiden Völkern aufwartete. Die Phantasiestaaten Rikarak und Trocadero stehen für das neu gegründete Deutsche Reich unter der Führung von Preußen, das als Militärmacht galt, und Frankreich, dessen Hauptstadt Paris das Zentrum der Kunst, der Musik und des Theaters war. In der Strauß-Operette beklagt Cyprian von Rikarak den Überschuss von Soldaten auf seinem Territorium, der König von Trocadero ist hingegen unglücklich darüber, dass es in seinem Reich so viele Künstler gibt. Die für eine französische Operette typischen Elemente des Zeitbezugs und damit verbundener aktueller politischer Anspielungen im satirisch-ironischen Stil der Offenbachiaden war für die biedere Wiener Operette etwas gänzlich Neues. Auch die karikierende Darstellung staatstragender Persönlichkeiten hatte es bislang nicht gegeben. Prinz Methusalems altersschwacher Vater Cyprian wird von seiner Ehefrau Sophistika gegängelt, sein eitler Schwiegervater Sigismund wird durch sein skurriles Machtstreben zu einer lächerlichen Figur. Hinzukommen die Gegensätze von Jung und Alt und deren andersgeartete Vorstellungen vom Leben. Da die Hauptpartie des „Prinz Methusalem“ als Hosenrolle für eine Mezzosopranistin konzipiert war, wurde aus dem Königssohn ein verträumter Held, der Sinnlichkeit über Politik stellt; die zärtlichen Gesänge mit Prinzessin Pulcinella galten nach damaligem Verständnis als pikant.

Süße Romanzen

In seiner gleichzeitig liebenswürdig-absurden wie reizvoll-erotischen Musik suchte Johann Strauß die gleichberechtigte Koexistenz von melodienseligen Wiener Tanzweisen und pulsierendem Pariser Flair. Neben dem für ihn typischen Walzer stehen große, rhythmisch geprägte Szenen. Die Hochzeitsfeier explodiert in einem berauschendem Ensemble à la Offenbach, in dem der Krieg als Salonereignis auf die Schippe genommen wird. Während Methusalem und Pulcinella von ihrer Liebe in süßen Romanzen singen, die eine an französische Musik gemahnende Leichtigkeit erreichen, sind König Sigismunds Couplet „Das Tipferl auf dem I“ und Prinz Methusalems „Generalslied“ der deftigen Sphäre des Wiener Volkstheaters zuzuordnen. So führte nicht nur die Handlung mit ihren aktuellen Anspielungen, sondern auch die Musik bei den Kritikern zu geteilten Meinungen. Die einen sprachen von „hüpfenden Melodien auf einen langweiligen Text“, die anderen lobten die „geschickt und stimmungsvoll komponierten Finali“. Eduard Hanslick schrieb in seiner Uraufführungskritik: „Strauß, der schon von Hause aus als Walzerkomponist sich durch Sorgfalt und Geschmack in der Instrumentierung hervortat, hat auch im Methusalem diese Erwartung nicht getäuscht. Das Orchester blinkt und glitzert von feinen Klangeffekten.“ Der ganz große Erfolg wollte sich dennoch nicht einstellen. „Prinz Methusalem“ brachte es in Wien auf nur 69 Vorstellungen. Das Illustrierte Wiener Extrablatt fasste die Situation von Johann Strauß zusammen: „Der Wiener Kompositeur par excellence wollte Offenbach der Zweite werden, aber er blieb Strauß der Erste. So sehr er es auch wollte, er konnte seine künstlerische Individualität nicht verleugnen.“

Paris bleibt stumm

Wenige Tage nach der Wiener Uraufführung begab sich Strauß nach Paris, um mit seinem Orchester auf Maskenbällen aufzuspielen. Er führte Gespräche mit den französischen Librettisten Victor Wilder und Alfred Delacour, die auf Grundlage der Partitur zu „Prinz Methusalem“ die französischen Gesangstexte überarbeiten und revidieren sollten, um eine Aufführung in Paris zu ermöglichen. Wenige Monate später reiste Strauß nochmals in die französische Hauptstadt, um die für den 30. Oktober 1877 anberaumte Pariser Erstaufführung seiner „Fledermaus“ unter dem französischen Titel „La Tsigane“ zu besuchen. Bei einer erneuten Zusammenkunft mit den Librettisten musste Strauß feststellen, dass die französische Umarbeitung von „Prinz Methusalem“ bruchstückhaft geblieben war. Strauß zog seine Partitur zurück, zu seinen Lebzeiten wurde „Prinz Methusalem“ in Paris nicht aufgeführt.