
Sonntag, 5. Juni 2011

Donnerstag, 17. Februar 2011

Die Uraufführung der Operette „Boccaccio“ in Wien am
Komponist mit accent aigue
Franz von Suppé wurde am
Mit Jules Verne um die Welt
Als Kind bekam Suppé Flötenunterricht und studierte Komposition beim Chordirektor der Kathedrale von Spalato. Mit vierzehn Jahren schrieb er eine Missa dalmatica. Trotz seines großen musikalischen Talents beschloss der Vater, dass sein Sohn Rechtsanwalt werden sollte. Nach dessen Tod brach Suppé das Jurastudium ab und siedelte mit der Mutter 1835 nach Wien über. Nach einer musikalischen Ausbildung bei Simon Sechter wurde Suppé mit 21 Jahren als Kapellmeister an das Wiener Theater in der Josefstadt berufen. 1841 wurde sein erstes Singspiel Jung lustig, im Alter traurig uraufgeführt. 1845 wechselte Suppé als Kapellmeister an das Theater an der Wien, wo er eine Fülle von einaktigen Singspielen komponierte. Die Erfolge von Offenbachs abendfüllenden Operetten ermutigten Franz von Suppé, es ebenfalls mit abendfüllenden Dreiaktern zu versuchen: „Fatinitza“ und „Banditenstreiche“ wurden von allen Theatern nachgespielt. Bis zu seinem Tod in Wien am
Ein Giovanni aus der Renaissance
Das Textbuch zu „Boccaccio“ verfassten die Librettisten Friedrich Zell und Richard Genée. Im Mittelpunkt der Handlung steht Giovanni Boccaccio (1313-1375), italienischer Schriftsteller und bedeutender Vertreter des Humanismus. Suppé fand Gefallen an dem Stoff und sah darüber hinweg, dass in der Handlung Bücher verkauft wurden; der Buchdruck wurde erst 100 Jahre später erfunden. Historisch verbürgt und in das Libretto eingebunden ist hingegen Boccaccios Liebe zu Fiametta, die Tochter des neapolitanischen Königs Robert von Anjou. Andere biografische Details stimmen nicht: Die Operette spielt 1331 und zeigt den Dichter Boccaccio im Alter von 18 Jahren. Im wirklichen Leben hielt sich Boccaccio im diesem Jahr nicht in Florenz auf. Er war bereits 1327 im Alter von vierzehn Jahren von seinen Eltern nach Neapel zur kaufmännischen Lehre in einer Bank geschickt worden und kehrte erst 1340 mit 27 Jahren nach Florenz zurück. Boccaccio ging in den Staatsdienst und trat 1360 in den geistlichen Stand ein. Davon wird in der Operette nicht berichtet, aber Suppé wollte auch keine Biographie vertonen, sondern ein Bühnenwerk komponieren, das von Boccaccios Meisterwerk „Das Decamerone“ inspiriert war.
Eine flatterhafte Gesellschaft
In seiner Sammlung von Novellen, die um 1350 entstanden, porträtierte Giovanni Boccaccio mit bis dahin unbekanntem Realismus die facettenreiche florentinische Gesellschaft des 14. Jahrhunderts. Zehn junge Leute beiderlei Geschlechts sind während der Pest 1348 aus Florenz aufs Land geflüchtet. Sie erzählen sich an zehn Tagen jeweils zehn Geschichten. Es entsteht eine große Vielfalt von feinen und derben, tragischen und komischen Novellen. Von diesen 100 Geschichten hat Boccaccio nur die allerwenigsten erfunden. Die Stoffe stammen aus arabischen, indischen, persischen, altfranzösischen und sonstigen Quellen; die Schauplätze umfassen nahezu die gesamte damals bekannte Welt. Das Besondere an Boccaccios Novellen ist ihr neuer Geist: In den Erzählungen der jungen Leute, die dem irdischen Leben zugewandt sind, überwinden die aus Daseinsfreude und eigener Entscheidung handelnden Personen das Mittelalter mit seinen moralischen und religiösen Schranken.
Tollpatschige Ehemänner
Das in der Szenenfolge abwechslungsreich gebaute Libretto zu „Boccaccio“ ist keine Vertonung von Novellen aus dem Decamerone; einzelne Motive werden im Textbuch lediglich als situationskomische Elemente in die Handlung eingefügt. Vordergründig geht es in Suppés Operette um Liebesaffären im Florenz der Renaissance; zwischen den Zeilen gelesen wird Kritik an der herrschenden Moral des ausklingenden 19. Jahrhunderts deutlich, in der Männer für sich eine erotische Libertinage in Anspruch nahmen, die sie ihren Frauen versagten. Die damalige Gesellschaftsordnung in Wien um 1880, in der die Männer das Sagen hatten, wird in „Boccaccio“ quasi auf den Kopf gestellt. In Suppés Operette werden die Ehemänner als dümmliche Tollpatsche gezeigt, ihre Ehefrauen verweigern sich den Zwängen veralteter Normen und zeigen sich an einem Seitensprung interessiert. In ihren Duetten und Terzetten besingen die Frauen im Dreivierteltakt die prickelnde Vorfreude auf ein außereheliches Rendezvous; die sauertöpfische Musik der Ehemänner bewegt sich in der biederen Sphäre des traditionellen Wiener Volkstheaters.
Erotische Gefühle
Die Partie des Boccaccio wurde von den Librettisten als Hosenrolle konzipiert. In den Operettenaufführungen von Franz von Suppé waren die Rocksäume immer weiter in die Höhe gerutscht und zeigten den männlichen Zuschauern das, was im Alltag verborgen blieb: Damenbeine. Um der Sittlichkeit zu genügen, maskierte man sie im Theater mit eng anliegenden Strumpfhosen. Doch auch diese verhüllte Form war dazu angetan, erotische Gefühle zu erwecken. Wenn die Sängerin Antonie Link in der Hosenrolle des Boccaccio zarte Küsse mit den anderen Damen austauschte, eröffnete sich dem Publikum ein weiteres Spektrum erotischer Möglichkeiten, das im Alltag tabuisiert war. Das Publikum nahm Suppés Operette begeistert auf. Die Kritik rühmte den kunstvollen Bau seiner Arien und Duette und die dramatische Spannkraft der Ensembleszenen. In seiner Musik verband Suppé die Klangreize des italienischen Belcantos geschickt mit dem Wiener Walzer- und Marschmilieu.
Eine Aufführung in Athen
Wenige Monate nach der Wiener Uraufführung wurde „Boccaccio“ in Berlin gespielt, es folgten Inszenierungen in London, Paris und New York. Zwischen dem 15. Februar und
Karrierestart in einer Wiener Operette
Eine talentierte Nachwuchssängerin, die bei Schülerkonzerten des Athener Konservatoriums aufgefallen war, wurde als Zweitbesetzung für die Beatrice engagiert. Ihre Lehrerin Elvira de Hidalgo hatte ihrer erst siebzehnjährigen Schülerin den Vertrag vermittelt, damit sie Bühnenerfahrung sammeln konnte. Während der Proben erkrankte die Erstbesetzung Nafsika Galanou und wurde durch die Gesangsschülerin Maria Kaloyeropoulou ersetzt, die als Beatrice ihr offizielles Bühnendebüt gab. Auf einem Photo der Premiere wirkt die junge Sängerin beim Verbeugen im Kreis ihrer Kollegen glücklich und mit sich zufrieden. Nach der Aufführung schrieb ihre Lehrerin Elvira de Hidalgo, die als Sopranistin an der Mailänder Scala erfolgreich gewesen war, an ihre Schülerin: „Obwohl ich als gute Künstlerin angesehen wurde und die größten Künstler erlebt habe, spürte ich sofort, dass du etwas Besonderes und Unverwechselbares in dir trägst!“ Elvira Hidalgo hatte sich nicht geirrt. Die Athener Beatrice des Jahres 1941 wurde unter dem Namen Maria Callas zum Weltstar. Als die Sopranistin viele Jahre später zu den Erinnerungen an ihr Bühnendebüt befragt wurde, das in der Operette „Boccaccio“ von Franz von Suppé stattfand, sagte Maria Callas kurz und knapp: „Sie brauchten eine Beatrice und sie nahmen mich.“
Samstag, 15. Januar 2011
Eviva España DIE ZARZUELA

Brombeeren mit Musik
Die Wurzeln der Zarzuela liegen im 17. Jahrhundert, als die höfischen Dramen von Pedro Calderón de la Barca ihre Blüte erlebten. In diese Theaterstücke wurden Gesänge und kurze Musikeinlagen eingestreut. Die Aufführungen fanden zumeist im Palacio de la Zarzuela nahe bei Madrid statt, der von Brombeerhecken umgeben war. Der Name Zarzuela leitet sich deshalb von „zarzal“, zu Deutsch Brombeerstrauch ab, und „Zarzuela“ bedeutet „Brombeersträuchlein“. Aus den durch Musiknummern erweiterten Stücken von de la Barca mit mal tragischen, mal heiteren Sujets entwickelten sich im 18. Jahrhundert anspruchslose Singspiele mit volkstümlichem Einschlag und burlesken Szenen, die so genannten „Tonadillas“, was wörtlich übersetzt Liedchen bedeutet.
Pralles Leben
In der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Madrid mit dem Teatro del Circo und dem heute noch existierenden und die Tradition pflegenden Teatro de la Zarzuela eigens Bühnen für eine neue Form des spanischen Musiktheaters errichtet. Im Lauf der Zeit hatten sich die „Tonadillas“ nach und nach in abendfüllende Stücke verwandelt – die „Zarzuela grande“ war geboren. Beibehalten wurde, um die Handlung voranzutreiben, der gesprochene Dialog. Aber die musikalischen Abschnitte nahmen mehr Raum ein. Nicht nur auf die Solisten warteten anspruchsvollere Aufgaben. Vor allem der Chor – in seiner Funktion als Vertretung des einfachen Volks – erhielt eine Bedeutung, die jener in der zeitgleichen italienischen Oper bei weitem überstieg, in der er als mehr oder weniger unbeteiligtes Kollektiv das dramatische Geschehen begleitete. Zudem wurden in Spanien im Gegensatz zur italienischen Oper keine Staatsaktionen wie in „Anna Bolena“ oder romantisierende Stoffe wie in „Lucia di Lammermoor“ zur Grundlage der Handlung gemacht, sondern in den Inhalten der Zarzuelas wurde die spanische Sache verhandelt, in spanischer Sprache und mit spanischen Menschen, die dem prallen Leben entsprungen waren. Beliebt bei den Theaterbesuchern war auch das sich parallel zur „Zarzuela grande“ entwickelnde einaktige „genero chico“, das auch „teatro por horas“, Stundentheater genannt wurde, weil die einstündigen Aufführungen nur vier musikalische Darbietungen pro Abend zuließen.
Spanische Glut
Ausschlaggebend für die Neuentwicklung der Zarzuela nach 1850 war das Schaffen von Francisco Asenjo Barbieri. Sein „Barberillo de Lavapiés“ (1874) gilt als Schlüsselwerk der Zarzuela. Der Friseur Lamparilla ist ein Bruder im Geiste des munteren Barbiers aus Sevilla à la Rossini. Bei Barbieri ist er aber kein Strippenzieher mehr, sondern ein verwegener Kritiker der Oberschicht, was nicht zuletzt am Stimmfach ablesbar ist; der Bariton bei Rossini hat sich bei Barbieri in einen Buffotenor verwandelt. Und während für Rossini die Stadt Sevilla nur die Folie für eine amüsante Handlung bildete, wurde in Barbieris „Barberillo de Lavapiés“ die bekannte spanische Stadt zum zentralen Ort der Verwicklungen um einen Barbier, der seinen Mund nicht halten kann: Lavapiés ist schließlich das Altstadtviertel von Madrid, wo das einfache Volk regiert. In der musikalischen Charakterisierung dieser Schicht geben die Tanzrhythmen Copla und Jota den Ton an, und Barbieri setzt die Glut Spaniens und seiner nicht weniger glutvollen Bewohner in einer mitreißenden Musik um. Barbieris Meisterwerk markierte die Wiederbelebung eines eigenständigen spanischen Theaters nach fast zweihundert Jahren der Bedeutungslosigkeit im europäischen Vergleich.
Lebensnahe Typen
Bis zum Ende des 19. Jahrhundert entwickelte sich die Zarzuela zum musikalisch und dramaturgisch unverwechselbaren Genre, das in Spanien bis heute den selben Ruf genießt wie in den deutschsprachigen Ländern die Operetten von Strauß, Kálmán und Lehár. Die in den Jahren nach 1880 komponierten Zarzuelas von Komponisten wie Ruperto Chapí, Federico Chueca und Jerónimo Giménez griffen den musikalischen und dramaturgischen Faden von Barbieri auf, dessen „Barberillo“ zum Vorbild einer ganzen Gattung wurde, so wie es „Die Fledermaus“ von Johann Strauß für die österreichische Operette war. Doch es gibt einen feinen Unterschied: In den Bühnenwerken der österreichischen Operettenkomponisten wird vor allem von den Liebesaffären der bürgerlichen Oberschicht und der Adligen erzählt. In der Zarzuela stehen dagegen deftige und lebensnahe Typen aus der Vorstadt im Mittelpunkt der Handlung, vom liebeshungrigen Alten über den korrupten Polizisten und den listigen Schneider bis hin zur verführerischen, wenn auch verheirateten Señorita. Personen der höheren Schichten sind nicht von vorneherein ausgeschlossen, doch stehen sie meist in schlechtem Licht da und sind von fragwürdiger Erscheinung.
Furiose Tanzszenen
Die Texte der Zarzuelas geben abgesehen von privaten Liebesgeschichten die Machtverhältnisse zwischen Oben und Unten in aller Deutlichkeit wieder und vermitteln etwas von den feudalen, patriarchalischen und kirchlichen Zwängen Spaniens, die in den gesungenen Arien, Duetten und Ensembles kritisiert werden. Darin gleicht die Zarzuela der Absicht des Komponisten Jacques Offenbach, der ein ähnliches Ziel hat: die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu hinterfragen. Doch während Offenbach zum Stilmittel von Karikatur und Ironie greift und die Handlungen seiner Operetten in das alte Griechenland verlegt, um sich über die Herrschenden im Gewand antiker Helden lustig zu machen, ist es in der Zarzuela das Volk selbst, das seine Vorstellungen einer freieren Gesellschaft formuliert. Je heftiger der äußere Druck ist, desto ausgelassener geht es auf der Bühne zu, wenn sich in furiosen Tanzszenen gegen die Herrschaftsstrukturen aufbäumt wird. Es handelt sich bei diesen raumgreifenden Tänzen nicht wie in der Wiener Operette um elegante Walzer-Einlagen, die das klassisch geschulte Corps de ballet auf Spitze vorführt, sondern um Rhythmen, die der spanischen Folklore entlehnt sind.
Pulsierende Rhythmen
Kritiker wie der Komponist Manuel de Falla waren allerdings um 1900 der Ansicht, dass sich die Zarzuela nicht aus echter Folklore speiste, sondern aus sentimentalisierten und trivialisierten Schablonen mit Neigung zu Salonmusik und Schlagerweisen bestand. Doch die reiche Palette der Musik und ihre Aufgabe ist vielseitiger, als Manuel de Falla zuzugeben bereit war. Die Musik zielt nicht nur darauf ab, die maßgeblichen Konflikte der Handlung in Arien und Duetten zum Klingen zu bringen, sondern sie drückt auch Haltungen aus, die den handelnden Hauptpersonen offiziell verwehrt sind. Die Musik macht sich stark für die Bedürfnisse, die den gesellschaftlichen Zwängen zum Opfer fallen. Kecke Spottlieder im Tarantellarhythmus, der pulsierende Rhythmus der Jota als Zeugnis klingenden Selbstbewusstseins des Volks und die faszinierende Klangwelt von Flamenco, Habanera, Seguidilla, Tango und Bolero lassen die musikalische Vielfalt der spanischen Welt im Wirbel von Tanz und Gesang plastisch entstehen. Gesungen wird von alltäglichen Begebenheiten und natürlich von der Liebe. In Romanzen und Duetten streiten sich die Liebespaare oder kommen sich wieder näher und träumen dann von einem gemeinsamen Leben.
Ekstatische Tanzgesänge
Dennoch sind die vielen Zarzuelas mehr als nur ein bunter Bilderbogen spanischer Gefühlssausbrüche. In den Tanzszenen, in denen die Haupt- und Nebenfiguren mit Chor und Ballett zu einer musikalisch-szenischen Einheit verschmelzen, wird allen gesellschaftlichen und politischen Widrigkeiten getrotzt. So erklärt es sich, dass viele Zarzuelas ihren musikalischen Höhepunkt in einem Volksfest haben. Es handelt hierbei um keine exklusiven Feste, wie der Ball von Prinz Orlofsky im zweiten Akt der „Fledermaus“, sondern um kalendarisch beglaubigte Feiern, die zum spanischen Jahreslauf gehören. In diesen Festen meist kirchlicher Prägung explodieren musikalisch die persönlichen Spannungen der unterdrückten Klassen und Gefühle. In den bisweilen ekstatischen Tanzgesängen der Zarzuela blitzt etwas vom Wunschbild einer klassenlosen Gesellschaft auf, in der Unrecht und Unterdrückung der Vergangenheit angehören.
Wünsche und Hoffnungen
Im Gegensatz zur Wiener Operette, die am Oben und Unten festhält, ein charmantes Bild der oberen Schichten entwirft und die gesellschaftlichen Gegensätze nicht in Frage stellt, zeigt die Zarzuela dem Volk und damit den Theaterbesuchern, was für eine Kraft und Potenz in ihnen steckt, wenn man sie nur lassen würde. Auf den vielen Festen, die in der Zarzuela gefeiert werden, tanzen mit feurigen Rhythmen Adlige, Vermögende, Blumenhändler, Fabrikmädchen, Eselstreiber und Lotterieverkäufer das Ende des Standesunterschiedes herbei: Bolero und Fandango einigen für einen kurzen Augenblick die spanische Gesellschaft und heben soziale Gegensätze auf. Die Zarzuela zeigt in diesen Momenten die Sehnsucht nach einer anderen Gesellschaftsordnung. Sie spiegelt als Volkstheater im besten Sinne gesellschaftliche Wünsche und Hoffnungen wieder und erträumt im musikalisch-tänzerischen Miteinander Utopien. Aber sie weist nicht den Weg dorthin. Um mehr als ein privates Glück zu finden bedarf es ganz anderer Mittel, als es die Zarzuela als Katalysator unerfüllter politischer Hoffnungen vermag.