Samstag, 26. Dezember 2009


Franz Lehár DER STERNGUCKER


Die Geschichte der Operette zeigte, dass auch ein großer Name nicht immer ein erfolgreiches Bühnenwerk garantiert. Johann Strauß, dessen Erfolgsstücke Die Fledermaus und Der Zigeunerbaron weltweit gespielt wurden, erlebte mit Blindekuh und Fürstin Ninetta zwei Fehlschläge. Emmerich Kálmán, der durch die Csárdásfürstin und Gräfin Mariza bekannt wurde, konnte mit Das Hollandweibchen und Der Teufelsreiter die Theaterbesucher nicht begeistern.

Umarbeitungen

Auch Franz Lehár komponierte einige Operetten, die nicht die überragenden Aufführungszahlen von Paganini und Der Zarewitsch erreichten. Bereits Johann Strauß war ein Meister der Zweitverwertung. Er nahm Melodien aus seinen erfolglosen Bühnenwerken, um sie in seinen Konzerten in einer Bearbeitung für großes Orchester zu spielen. Franz Lehár ging einen Schritt weiter. Er überarbeitete die Partituren, komponierte zusätzliche Arien und Duette, zu denen seine Librettisten neue Gesangsexte schrieben, und formte auf diese Weise seine erfolglosen Operetten in neue Werke um. Bereits Lehárs Debüt als Operettenkomponist mit Wiener Frauen (Wien, 1902) lag 1906 in einer Neubearbeitung als Der Schlüssel zum Paradies vor. Der Göttergatte (Wien, 1904), eine Adaption des Amphitryon-Stoffs, erlebte 1913 als Die ideale Gattin eine musikalische und textliche Neufassung, die aber genau so wenig Anklang fand wie eine erneute Bearbeitung, die 1921 als Die Tangokönigin in Wien gespielt wurde. Das Fürstenkind (Wien, 1909) erschien in Berlin 1932 unter dem Titel Der Fürst der Berge auf dem Spielplan und konnte sich ebenso wenig durchsetzen wie die Erweiterung des Einakters Frühling (Wien, 1922) zur abendfüllenden Operette Frühlingsmädel (Berlin, 1928).

Sang- und klanglos

Mehr Glück hatte Franz Lehár mit der Umarbeitung der Operette Die gelbe Jacke (Wien, 1923), die nach der Uraufführung sang- und klanglos untergegangen war. Unter dem neuen Titel Das Land des Lächelns wurde in Berlin 1929 ein Operettenwelterfolg gespielt, der sich nahtlos an Lehárs erfolgreiche Werke Die lustige Witwe, Der Graf von Luxemburg, Paganini und Der Zarewitsch anschloss. Lehárs Arbeit an den Neufassungen und Umarbeitungen, zu denen auch Schön ist die Welt (Berlin, 1930) gehörte, die nach der Operette Endlich allein (Wien, 1914) entstand, hatte künstlerische und finanzielle Gründe. Lehár wollte durch seine Umarbeitungen erreichen, dass sich seine weniger bekannten Werke auf den Bühnen durchsetzen sollten, um dadurch neben künstlerischer Anerkennung auch weitere Tantiemen zu garantieren. Da die Theater stets nach Novitäten aus seiner Feder verlangten, waren diese Neufassungen auch der Versuch Lehárs, mit seinen Operetten auf den Bühnen fortwährend präsent zu sein. Auch die Bühnengeschichte der Operette Der Sterngucker war durch ihre Umarbeitungen bestimmt. Die im Januar 1916 erstmals gespielte Urfassung wurde bereits im September 1916 in einer Neubearbeitung einstudiert. Daraus entstand 1922 eine in Mailand aufgeführte italienische Neufassung mit dem Titel La danza delle libulelle, die als Libellentanz in Wien 1923 in deutscher Sprache gespielt wurde.

Einfallsreiche Librettisten

Wie viele andere Operettenkomponisten seiner Epoche hatte Lehár als gelernter Militärkapellmeister mit dem Liederzyklus Aus eiserner Zeit, den er Kaiser Wilhelm II. in „tiefster Ehrfurcht“ widmete, zu Beginn des Ersten Weltkriegs patriotische Gesinnung bewiesen. Auf die Komposition einer Kriegsoperette verzichtete er und begann im März 1915 mit der Arbeit an der Operette Der Sterngucker, die zunächst Mein Bruder Franz, darauf Der reine Tor hieß. Franz Lehár arbeitete beim Sterngucker zum ersten Mal mit dem Librettisten Fritz Löhner zusammen, der sich später Löhner-Beda nannte. Von dem Autorengespann Julius Brammer und Alfred Grünwald hatte sich Lehár nach dem Misserfolg der Idealen Gattin getrennt; Alfred Willner, der Librettist der Operette Eva (Wien, 1911), stand wegen der Mitarbeit am Dreimäderlhaus nicht zur Verfügung. Löhner, der 1929 die Verse zur Tenorarie „Dein ist mein ganzes Herz“ für Das Land des Lächelns dichtete, gelang in den Zwanzigerjahren mit den Büchern zu Friederike für Franz Lehár, Die Blume von Hawaii für Paul Abraham und Ich hab‘ mein Herz in Heidelberg verloren für Fred Raymond der Aufstieg in die erste Reihe der gefragten Operettenlibrettisten. Fritz Löhner, der in einem Konzentrationslager ermordet wurde, war auch der Verfasser des „Buchenwaldlieds“.

In Konkurrenz zur „Csárdásfürstin“

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg war Löhner in Wien durch eine Reihe satirischer Schriften bekannt geworden. Er bot sich Lehár als Mitarbeiter an, nachdem er bereits für Leo Ascher und Edmund Eysler Libretti verfasst hatte. Franz Lehár entschied sich auch für Löhner-Beda, da der Komponist auf der Suche nach einer Erneuerung der Dramaturgie der Operette war, die er endgültig erst in den Zwanzigerjahren durchsetzen sollte, als Lehár den tragischen Schluss einführte, in dem das Liebespaar Glücksverzicht leistete. Lehár schrieb über die Figur des Franz, der durch seine Beschäftigung als Astronom der Operette Der Sterngucker den endgültigen Titel gab, am 12. November 1915 in sein Skizzenbuch, dieser sei „ein Idealist, der in höheren Regionen schwebt und von den Menschen nichts weiß.“ Die skurrile Handlung um einen verliebten Sterngucker, der sich gleichzeitig mit drei jungen Mädchen verlobt, kam der Flucht in die Welt der Phantasie entgegen, die im Kriegsjahr 1916 von den Theatern mit einer Flut von Operettenaufführungen verstärkt angeboten wurde. Fernab von der Wirklichkeit bewegten sich auch zwei andere Operetten, die in unmittelbarer Nähe zum Sterngucker uraufgeführt wurden. Am 17. November 1915 zeigte das Wiener Johann-Strauß-Theater die Csárdásfürstin von Emmerich Kálmán zum ersten Mal, nur einen Tag nach der Premiere des Sterngucker wurde am Raimundtheater Das Dreimäderlhaus von Heinrich Berté am 15. Januar 1916 uraufgeführt. Die beiden beliebten Operetten bedeuteten für Lehár und seinen Sterngucker eine erhebliche Konkurrenz. Kálmán brachte sein Rezept der Verbindung von mondänen Walzern und ungarischen Rhythmen zur Vollendung, Berté fügte geschickt Melodien von Franz Schubert zu einem Singspiel zusammen. Beide Werke brachen in Wien alle Kassenrekorde und entsprachen auf ihre Art den Zeittendenzen. Während die Csárdásfürstin ein beschwingter Abgesang auf die im Versinken begriffene Adelswelt der Vorkriegszeit war, beschwor Berté mit dem Dreimäderlhaus eine Idylle, die mit einer rührseligen Handlung um das Liebesleben von Franz Schubert dem Bedürfnis des Publikums nach Kitsch entgegenkam. Zwischen diesen beiden Erfolgsoperetten hatte Der Sterngucker einen schweren Stand. Fritz Löhner, der mit seinem neunten Textbuch erst am Anfang seiner Karriere stand, hatte ein Buch geliefert, dem alles fehlte, was einen gelungenen Operettentext auszeichnete. Löhners wenig originelle Verse konnten mit den amüsanten Wortspielen von Leo Stein und Béla Jenbach in der Csárdásfürstin nicht konkurrieren, und die Handlung der Operette Das Dreimäderlhaus, in der wie im Sterngucker ein Mann von drei Mädchen umschwärmt wird, stattete Alfred Willner mit humorvolleren Dialogen aus.

Eine Musik vornehmer Art

Die Operette Der Sterngucker wurde mit einer prominenten Besetzung in Wien am 14. Januar 1916 uraufgeführt. Das Theater an der Josefstadt verpflichtete mit Louis Treumann, der Danilo in der Weltpremiere der Lustigen Witwe (Wien, 1905), und Louise Kartousch, die Juliette im Uraufführungsensemble des Der Graf von Luxemburg (Wien, 1909), zwei führende Operettenstars; Franz Lehár übernahm die musikalische Leitung. Die Premiere war ein Misserfolg. Es fehlten die zündenden Melodien, die einer Operette erst zum Erfolg verhalfen, und die Handlung war schablonenhaft und wenig originell. Franz lebt zurückgezogen als Astronom. Auf einem Fest in einem Mädchenpensionat stellt ihm seine Schwester Kitty drei junge Damen vor, die den schüchternen jungen Mann dazu überreden, sich mit ihnen zu verloben. Darunter ist auch Lilly, die sich von Paul getrennt hat. Paul verliebt sich in Kitty, und Franz heiratet am Schluss Lilly. Das Wiener Fremdenblatt schrieb dazu: „Löhner war ein Mann von Witz, als Pointenschmied überaus gewitzt. Das genügt zum Textschreiben, das genügt, um Personen witzig reden oder singen zu lassen. Aber diesen Personen wirkliches Bühnenleben einzuflößen, dazu gehört mehr, (...) dazu braucht man viel Kunst und Handwerk. Löhner fehlte es an beidem.“ Der prominenteste Kritiker in der Uraufführung des Sterngucker war Alfred Polgar. Er äußerte sich in Die Schaubühne wohlwollend über die Musik: „Man lernt eine Lustspielmusik vornehmer Art kennen, die, leicht und lieblich dahinströmend, allerorten den schöpferischen Reichtum ihres Erfinders verrät. Der schöne Walzer des zweiten Akts, ein besonders feines Stück zärtlicher und träumerischer Musik, erwies sich als die sieghafteste Nummer der Partitur.“ Über den Text schwieg Polgar sich geschickt aus: „Über das Buch, das Herrn Fritz Löhner zum Verfasser hat, wagt der Referent kein Urteil zu wagen, da ihm Operettendichtungen eine fremde Welt sind, in deren rätselhaften Sitten, Bräuchen und Gesetzen er nicht bescheid weiß.“

Umarbeitung zur Tanzoperette

Der Sterngucker in der Urfassung vom Januar 1916 war eine Operette, die keine großen Chor- und Finalszenen bot. Lehár schrieb ein intimes Singspiel mit leisen Tönen, das Tendenzen der späten Zwanzigerjahre vorausnahm, als Benatzky mit seinen musikalischen Komödien Erfolg hatte. Gegenüber den durchschlagenden Erfolgen, die Kálmán mit der Csárdásfürstin und Berté mit dem Dreimäderlhaus erzielten, konnte Der Sterngucker nicht bestehen. Lehár zog sein Werk enttäuscht über die Ablehnung von Presse und Publikum wenige Wochen nach der Uraufführung zurück. Auch in Berlin erreichte Der Sterngucker nach der Premiere am 22. Januar 1916 an Montis Operetten-Theater, die Lehár persönlich dirigierte, nur wenige Aufführungen. Der Komponist fuhr danach mit dem Leipziger Operettentheater und einer Inszenierung des Graf von Luxemburg auf Truppenbetreuung nach Lille, während Alfred Willner damit beschäftigt war, eine neue Fassung des Sterngucker zu erstellen. Willner, der Löhners Dialoge und Gesangstexte überarbeitete, hatte für Lehár bereits die Verse zu den Operetten Der Graf von Luxemburg und Zigeunerliebe geliefert und sollte bei Wo die Lerche singt (Wien, 1918) und Frasquita (Wien, 1922) erneut mit dem Komponisten zusammenarbeiten. Lehár und Willner formten den Sterngucker nach dem Muster der Csárdásfürstin zur neuzeitlichen Tanzoperette um.

Vergröberungen

Im Klavierauszug der Bearbeitung des Sterngucker, die heute ausschließlich für Aufführungen zur Verfügung steht, ist der Besetzungszettel der Generalprobe abgedruckt, die als Benefizaufführung „zu Gunsten der siebenbürgischen Flüchtlinge“ veranstaltet wurde. In der Premiere der Bearbeitung am 27. September 1916 im Theater an der Wien unter dem Dirigat von Franz Lehár übernahmen Legenden der Wiener Operettengeschichte die Hauptrollen. Ernst Tautenhayn (Franz), Betty Fischer (Kitty), Hubert Marischka (Paul) und Louise Kartousch (Lilly) hatten bereits in mehreren Uraufführungen von Lehár-Operetten mitgewirkt. Das Deutsche Volksblatt zeigte sich unzufrieden: „Der Sterngucker hat mit seiner Neubearbeitung, außer einigen neuen Musiknummern, nichts gewonnen, dagegen viel verloren. Feinheiten der Urform, wie beispielsweise der schöne Schluss des zweiten Akts, sind verschwunden, und an ihre Stelle sind Vergröberungen getreten: die übertriebene Tanzerei und die schon zum Ekel werdenden falschen Abgänge.“ Gelobt wurde die Musik von Lehár: „Seine reizvolle Melodik, seine eigenartigen Klangmischungen und seine bestrickende Instrumentation müssen jeden Musikkenner erfreuen, der jedoch ein Bedauern nicht unterdrücken können, dass solche Musik nicht um bessere und würdigere Textbücher rankt.“

Auf Rosen kosen

Zu den musikalischen Nummern, die Anklang fanden, gehörten der „Libellentanz“, das Duett „Sterngucker, nimm‘ dich in acht“ und das Quartett „Wie auf Rosen die Falter kosen.“ Trotz der prominenten Besetzung erreichte Der Sterngucker nur 77 Aufführungen. Danach stand die exotische Operette Die Rose von Stambul von Leo Fall 400 Mal auf dem Programm des Theaters an der Wien. Selbst der Wunsch nach einem Erfolg des Sterngucker im Ausland erfüllte sich nicht. Franz Lehár, dessen Lustige Witwe als The Merry Widow in New York ein Serienerfolg gewesen war, gab seine Zustimmung zu einer englischsprachigen Fassung. Doch auch am Broadway floppte das Werk, obwohl Lehár mit sechs anderen Operetten, darunter The Count of Luxemburg und Alone at Last bereits in Amerika erfolgreich gewesen war. The Star Gazer, am 26. November 1917 im New Yorker Plymouth Theater erstmals gespielt, wurde nach nur acht Aufführungen abgesetzt. Lehár wandte sich enttäuscht der Operette Wo die Lerche singt zu, die 1918 im Theater an der Wien mit denselben Sängern der Bearbeitung des Sterngucker wieder den gewünschten Erfolg brachte.

Die italienische Fassung

Der Sterngucker wurde 1922 erneut umgearbeitet. Der italienische Theaterimpresario und Komponist Carlo Lombardo schuf unter dem Titel La danza delle libullele eine Operette in italienischer Sprache mit einer neuen Handlung, die in Nancy spielte und von den Liebesabenteuern eines Herzogs erzählte. Lehár übernahm aus dem Sterngucker neun Nummern und komponierte für die italienische Fassung, die am 27. September 1922 in Mailand uraufgeführt wurde, zusätzliche Arien und Duette. La danza delle libullele wurde von Willner ins Deutsche übertragen. Unter dem Titel Libellentanz wurde die Operette am 31. März 1923 am Wiener Stadttheater zum ersten Mal gespielt. Der Sterngucker war anreichert durch die Modetänze Shimmy und Foxtrott in eine prunkvolle Ausstattungsrevue verwandelt worden, die in Franz Lehárs reichem Schaffen nur eine Episode bildete, genauso wie eine zweite italienische Fassung, die am 30. Dezember 1926 in Mailand als Gigolette gespielt wurde.

Himmlische Töne

Ein Nachklang des Sterngucker findet sich in Lehárs Spätwerk wieder. Die Melodie des Duetts „Und der Herrgott lacht“ aus der Urfassung verwendete Lehár für ein Tenorlied in seiner Operette Schön ist die Welt ein zweites Mal. Richard Tauber sang 1930 dazu den Text: „Liebste glaub‘ an mich, denn ich liebe dich.“ Und auch eine Komposition für Libellentanz wurde erneut verwendet. Der vom Buffo-Paar gesungene Gigolette-Foxtrott mit den ursprünglichen Versen „Komm‘, sei heut mein Liebchen, sei nett! / sagt der Apach‘ zu Gigolett‘“ fand Aufnahme in die Partitur zu einer Revuebearbeitung der Lustigen Witwe, die 1928 am Berliner Metropol-Theater gezeigt wurde. Als Hanna Glawari trat Fritzi Massary auf. Obwohl Lehár bereits den „Weibermarsch“ und andere Arien auf sie zugeschnitten hatte, verlangte die legendäre Operettendiva ein weiteres Lied. Lehár arbeitete mit den Librettisten Rudolf Schanzer und Erich Welisch den Gigolette-Foxtrott in das Chanson „Ich hol‘ dir vom Himmel das Blau“ um, in dem Fritzi Massary das Reich der Operette augenzwinkernd persiflierte: „...und wenn auch jubeln wir laut, wenn nur so ein Stückchen uns blaut. Was fällt mir denn ein, so kitschig zu sein, bitte mir zu verzeih’n.“