„Millöcker, Sie haben Melodie“, rief der Dirigent Hans von Bülow dem Komponisten Karl Millöcker nach einer Aufführung seiner Operette „Gasparone“ zu, und die ‚Neue Presse‘ kommentierte nach der Uraufführung 1884: „Noch beherrscht sein ‚Bettelstudent‘ alle deutschen und nichtdeutschen Operettenbühnen, und schon wieder hat er mit einem neuen Werk einen unbestrittenen Erfolg errungen“.
Räuber und Gendarm
Die Geschichte um den geheimnisvollen Banditen namens „Gasparone“ steht dem „Bettelstudent“ an literarischen und musikalischen Qualitäten nur wenig nach. Die überquellende melodische Erfindung und die herzerfrischende Originalität des Librettos vereinigen sich in diesem sizilianischen Räuber- und Gendarmenspiel zu einem fröhlich-vitalen Bühnenspaß, der bis heute ein fester Bestandteil des Operettenrepertoires geblieben ist, und Millöcker bildete zusammen mit Johann Strauß und Franz von Suppé das Dreigestirn der goldenen Wiener Operettenära.
Durch Fleiß zum Erfolg
Karl Millöcker wurde 1842 in Wien geboren. Er war der Sohn eines Goldschmieds und ging nach der Schulzeit beim Vater in die Lehre. Millöcker erinnerte sich an seine Lehrzeit: "Als Goldschmiedgesell hab ich angefangen. Und ich könnte heute über ein wohlassortiertes Lager selbstverfertigter Eheringe und Firmungskreuze verfügen, hätte mir nicht mein Jähzorn diese schöne Karriere ein- für allemal verschlossen. Ich saß in meines Vaters Werkstatt und führte das Hämmerlein. Und wenn mir so eine güldene Kette nicht gleich parieren wollte, so machte ich kurzen Prozess und warf sie auf die Straße hinaus. Diese Methode in der Verarbeitung von Edelmetall war in der edlen Wiener Goldschmiedkunst bisher noch nirgends angewendet worden. Und mein Vater, der begründete Zweifel hatte, dass durch meine Methode sein Geschäft in Flor kommen sollte, erwies sich und der Goldschmiedkunst einen unschätzbaren Dienst und machte mich zum Musiker, was stets mein Herzenswunsch gewesen." Da ihm die Eignung zu diesem Beruf also fehlte, ließ ihn der Vater am Wiener Konservatorium ausbilden. Bereits mit 16 Jahren saß Millöcker als Flötist im Orchester des Theaters in der Josefstadt unter dem Dirigenten und Komponisten Franz von Suppé, der ihn maßgeblich förderte. 1864 wirkte Millöcker während zwei Spielzeiten als Kapellmeister in Graz und brachte hier seine ersten Operetteneinakter heraus. Nach Engagements am Wiener Harmonie-Theater und am deutschen Theater in Budapest wurde Millöcker 1869 als Kapellmeister an das bekannte Theater an der Wien verpflichtet. Nach damaligem Theaterbrauch wurde er zur Komposition von Liedern und Ballettmusik für Possen und Lustspiele verpflichtet. Fleißig bereicherte Millöcker Jahr für Jahr mehrere Dutzend Einakter mit seiner Musik, ohne dass ihm der große Wurf gelang. Seine erste abendfüllende Operette „Das verwunschene Schloß“ wurde 1878 am Theater an der Wien begeistert aufgenommen. Auch die folgenden Operetten „Gräfin Dubarry“, „Apajune, der Wassermann“, „Herz Ass“ und „Die Jungfrau von Belleville“ fanden Anklang beim Publikum und die erfolgreiche Uraufführung des „Bettelstudenten“ versetzte ihn im Frühjahr 1882 in den Stand, die anstrengende und aufreibende Kapellmeistertätigkeit aufzugeben, sich ausschließlich dem Komponieren zu widmen und seinem Steckenpferd nachzugehen. Leidenschaftlich sammelte Karl Millöcker Ansichtskarten aus aller Welt, die er zusammen mit seinen Partituren nach seinem Tod am Silvesterabend des Jahres 1899 der Stadt Wien vermachte.
Recht und Unrecht
Auf der Suche nach einem wirksamen Libretto waren Millöckers Textdichter F. Zell (ein Pseudonym von Camillo Walzel) und Richard Genée auf den wilden Süden Italiens gestoßen. Dort hatte in den Jahren um 1820 der legendäre Räuber Gasparone sein Unwesen getrieben, von dem die „Wiener Zeitschrift“ bereits 1830 zu berichten wusste: „In den Gefängnissen in Rom befindet sich ein Räuberhauptmann, nämlich Gasparone, den man 243 Mordthaten beschuldigt, von denen er 105 eingesteht.“ Der historische Gasparone war schon zu Lebzeiten eine legendäre Figur, der wie andere Räuber die Zeitungen ganz Europas mit seinen Verbrechen füllte, und den Literaten durch den Konflikt zwischen Recht und Unrecht spannende Anregungen für Theaterstücke und komische Opern gab. Dabei waren die Bühnenräuber zumeist hochherzige Menschen, treue Untertanen der Fürsten, die nur die ungerechten lokalen Gewalten bekämpften, liebenswerte Salonräuber, die beim Publikum ein angenehmes Gruseln hervorriefen. Erinnert sei an „Fra Diavolo“ von Auber, „Die Banditen“ von Offenbach und an die drei Verdischen Räuberopern „Ernani“, „Die Räuber“ und „Der Korsar“. Die Handlung von „Gasparone“ trägt sich auf der Mittelmeerinsel Sizilien zu. Sizilien und der gegenüberliegende Teil des Festlandes (der „Fuß des Stiefels“) bildeten zur Zeit der Handlung von „Gasparone“ um 1860 ein Königreich, das zu den korruptesten und reaktionärsten des damaligen Europa gehörte. Einen unheilvollen Einfluss übte bereits damals die Mafia aus. Sie unterstützte den Schmuggel und war in zahlreiche Bestechungsaffären verwickelt. Die Operette „Gasparone“ war bei aller Heiterkeit der Handlung ein Abbild damaliger Zustände. Millöcker nahm sich eines Stoffes an, der in der Schilderung behördlicher Korruption Parallelen zur Wiener Gegenwart bot, und in vielen Teilen auf historisch belegbaren Vorgängen beruhte.
Banditen und Herzensbrecher
In Millöckers Operettenerfolg hat der schlaue Schankwirt Benozzo, um Nasoni, den Podestà von Syracus, und dessen Polizei von seinem Schmugglertreiben abzulenken, die Gestalt des Räuberhauptmanns Gasparone erfunden, der angeblich in den Schluchten des Ätna sein Unwesen treibt. Das ganze Land zittert vor dem legendären Banditen, aber nur Conte Erminio kennt den wahren Sachverhalt. Er liebt die schöne Gräfin Carlotta, die Nasoni um ihrer Millionen willen mit seinem Sohn Sindulfo verheiraten möchte. Um zu beweisen, dass Nasoni und sein Sohn nur hinter Carlottas Vermögen her sind, raubt Erminio ihre Millionen. Nun glaubt die Gräfin, dass Erminio und Gasparone ein- und dieselbe Person sind, und will aus Trotz Sindulfo die Hand reichen. Doch der Podestà kann keine mittellose Schwiegertochter brauchen. Erminio hat sein Ziel erreicht, erzählt der Gräfin die Wahrheit, gibt das Geld zurück und erhält ihre Hand und ihr Herz.
Weltpremiere in Wien
Millöckers „Gasparone“ wurde nach der Uraufführung am 26. Januar 1884 am Theater an der Wien wochenlang ohne Unterbrechung gespielt. Das war ein Novum, denn in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kannte man selbst bei stärksten Erfolgsstücken noch nicht die Ensuite-Vorstellung. „Gasparone“ erreichte bald die 50. Vorstellung und als erste Operette in der Theatergeschichte Wiens die 100. Vorstellung in Folge. Zum Erfolg trug die Besetzung mit populären Wiener Bühnenstars bei. Den Schmugglerwirt Benozzo spielte Alexander Girardi an der Seite von Marie Nassa, Moritz Broda, Felix Schweighofer und Rosa Streitmann.
Hausmannskost und Wiener Küche
Der Operettenkomponist Edmund Nick unternahm 1956 eine musikalische Charakterisierung des Komponisten: „In Millöcker Operetten, Possen, Volksstücken, Singspielen, Zeitgemälden und Lebensbildern steckt viel Musik. Der Ohrenschmaus, den sie uns bereitet, ist nicht wie bei Strauß ein erlesenes opulentes Souper mit vielen Gängen, an herrlich dekorierte Tafel graziös serviert. Es ist gut bürgerliche Hausmannskost, Wiener Küche, geschmackvoll, bekömmlich, sättigend und nicht teuer. Ab und zu würzt Millöcker mit Pfeffer und Paprika, nur sind seine Prisen übervorsichtig dosiert. Karl Millöcker hat nie etwas anderes komponiert als Musik fürs Theater. Von Millöckers vielen Melodien sind verhältnismäßig wenige geblieben. Die aber haften für immerwährende Zeiten, denn sie sind volkstümlich geworden.“ In „Gasparone“ sind die Evergreens der Walzer „Er soll dein Herr sein, wie stolz das klingt“, das Duett „Stockfinster war die Nacht“ und die Romanze „Oh, dass ich doch ein Räuber wäre“.
Dunkelrote Rosen
Das Lied „Dunkelrote Rosen“, das für viele Zuhörer eng mit der Operette „Gasparone“ verbunden ist, stammt aus einer späteren Bearbeitung des Werks, das zahlreichen Umformungen unterworfen war. Die häufig übliche Praxis der Neufassung von Text und Musik führte bei „Gasparone“ zu einer Reihe qualitativ unterschiedlicher Versionen, die unter Einbeziehung neuer musikalischer Nummern und modischer orchestraler Effekte in das Originalwerk eingriffen. Bereits 1887 wurde am Thalia-Theater in Hamburg eine erste Umarbeitung gespielt, der weitere folgten. Am Theater am Nollendorfplatz kam 1932 eine tiefgreifende Bearbeitung von „Gasparone“ in Berlin heraus. Die Urfassung wurde unter Einarbeitung zahlreicher Melodien aus unbekannten Bühnenwerken Millöckers zur prachtvollen Revue im Stil der späten zwanziger Jahre herausgeputzt, die Instrumentation mit jazzigen Zutaten aufgepeppt und die Texte im frechen Jargon jener Jahre umgedichtet. Die Autoren veränderten auch die Dramaturgie des originalen Bühnenwerks. Während in der Urfassung die Zuschauer zu Beginn der Handlung darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass der geheimnisvolle Räuber Gasparone eine schlaue Erfindung zwecks Täuschung der Obrigkeit ist, tritt in der Berliner Umformung von Ernst Steffan und Paul Knepler ein geheimnisvoller Fremder auf, der sich im Verlauf der Handlung als Gouverneur des Landes herausstellt. Im zweiten Akt stimmt er das Lied „Dunkelrote Rosen“ an. Millöcker hatte die Melodie für sein Frühwerk „Diana“ 1867 geschrieben. Der Komponist übernahm die Weise später in seine Operette „Der Vizeadmiral“, die zwei Jahre nach „Gasparone“ uraufgeführt wurde. Sie wurde dort in ein Terzettino umgewandelt, das mit den Versen begann: „Geh’n wir in den Garten, atmen Blumenduft! / Amor mischt die Karten, Liebe dort uns ruft“. Ernst Stephan dichtete auf diese Melodie „Dunkelrote Rosen bring ich, schöne Frau / und was das bedeutet, wissen Sie genau!“ Eine weitere Fassung schufen Ernst Rogati und der durch die Operette „Feuerwerk“ bekannt gewordene Paul Burkhard 1938, der auch 1964 zusammen mit Richard Bars eine erneute musikalische Bearbeitung vornahm, die sich wieder der Originalpartitur annäherte.
Rökk ohne Rosen
„Gasparone“ brachte es in allen seinen Versionen zu großer Popularität beim Publikum. Eine Verfilmung der UFA aus dem Jahr 1937 von Georg Jacoby vereinte die Leinwandlieblinge Marika Rökk, Johannes Heesters, Oskar Sima und Leo Slezak in einer bunten Räuber-Revue. Peter Kreuder ergänzte die Millöckerschen Melodien durch eigene Kompositionen, von denen „Ich werde jede Nacht von Ihnen träumen“ zum Evergreen wurde. Das Lied von den dunkelroten Rosen kam in der Filmfassung nicht vor und ist bis heute mit der Steffan-Knepler-Fassung verlagsrechtlich untrennbar verbunden. Um das Publikum aber nicht um den Genuß der populären Melodie zu bringen, wurden die Noten zur Millöckerschen Melodie, auf der die „Dunkelroten Rosen“ basierten und die urheberechtlich frei ist, von einfallsreichen Bühnenleitern neu textiert und zu einem Duett zwischen Carlotta und Erminio umfunktioniert: „Wenn die Lippen schweigen, spricht das Herz allein, / Blumen können Zeugen der Gedanken sein“ – und notfalls als Balletteinlage ohne Worte getanzt.