Die Uraufführung von Kiss me, Kate in New York 1948 war die Geburt eines Welterfolgs. In Frankreich wurde das Musical von Cole Porter als Embrasse-moi, Cathérine gespielt, in Italien hieß es Baciami, Caterina und in Polen war es unter dem Titel Pocaluj mnie, Kasiu zu sehen. Kiss me, Kate war das erfolgreichste seiner mehr als 30 Musicals und wurde allein in New York nach der Premiere drei Jahre lang genau 1077 Mal gespielt.
Ein Millionär startet durch
Cole Porter wurde 1891 in Peru geboren, eine kleine Stadt in Indiana. Sein Vater galt durch den Besitz von Obstplantagen und Kohlengruben als einer der reichsten Männer Amerikas. Bevor Cole Porter seine erste Note komponiert hatte, besaß er bereits ein Vermögen von sieben Millionen Dollar. Für Porter war die Komposition von Musicals deshalb stets ein angenehmer Zeitvertreib. Nie war er bei den Proben seiner Stücke anwesend, sondern unternahm währenddessen ausgedehnte Kreuzfahrten in der Südsee, gab Bälle in seinem venezianischen Palazzo oder empfing Künstler und Adlige in seinen Villen in Paris und an der Riviera. Trotz seines Reichtums hatte er auf Wunsch des Vaters zunächst Jura in Yale studiert, aber den größten Teil seiner Zeit in musikwissenschaftlichen Seminaren verbracht. Während seiner Studienzeit vertonte Cole Porter die ersten Songs als Schlachtgesänge für seine Footballmannschaft.
Night and gay
Nach weiteren musikalischen Einlagen in Studentenshows wurde die New Yorker Produzentin Elisabeth Marbury auf Cole Porter aufmerksam. Sein Debüt am Broadway, das patriotische Musical See America First, wurde 1916 zwar nach 15 Aufführungen abgesetzt, aber der Song I‘ve a Shooting Box in Scotland wurde von J. C. Smith und seinem Orchester eingespielt und gilt als die erste Schallplattenaufnahme eines Songs von Cole Porter. 1917 wurde Porter eingezogen und verbrachte einige Monate bei der amerikanischen Armee in Nordafrika. Als musikalischer Truppenbetreuer erfreute er die Kameraden mit seinem Spiel auf einem kleinen Pianola. Nach dem Ende des 1. Weltkriegs lernte Cole Porter in Paris die lebenslustige Witwe Linda Lee Thomas kennen. Die Ehe hielt ein Leben lang. Linda war weniger seine Geliebte als seine beste Freundin. Sie ließ sich auf das Arrangement ein, das ihr ein sorgenfreies Leben an der Seite eines des erfolgreichsten Broadwaykomponisten ermöglichte. In Paris nahm Cole Porter Kompositionsunterricht bei Vincent d’Indy und komponierte die Musik zu dem Ballett Within the Quota, das 1923 im Théatre du Champs-Elysées zusammen mit La Création du Monde von Darius Milhaud am selben Abend uraufgeführt wurde. Die Instrumentation übernahm der französische Komponist Charles Koechlin. Während seiner langen Karriere hat Porter wie die anderen Broadwaykomponisten mit Ausnahme von George Gershwin seine Musicals nicht selbst instrumentiert. Die Arbeit überließ er professionellen Arrangeuren wie Hans Spialek und Robert Russell Bennett, der auch für Kiss me, Kate verantwortlich zeichnete. Ihnen ist der typischen Cole-Porter-Sound verdanken, der wegen seiner Eleganz und seinem Esprit zeitlos geblieben ist.
Der König vom Broadway
Nach Porters Rückkehr nach New York wurde 1928 die Show Paris uraufgeführt. In rascher Reihenfolge erschienen auf den New Yorker Bühnen eine Hand voll Musicals aus seiner Feder mit anspruchslosen Handlungen, deren Titel heute vergessen sind. 1932 trat Fred Astaire in The Gay Divorce (1932) auf und begann mit dem Schlager Night and Day seine Weltkarriere. 1934 hatte ein Musical von Cole Porter seine Uraufführung, das heute noch gespielt wird: Anything Goes war Porters erklärtes Lieblingswerk. Es wurde über 400 Mal in New York aufgeführt und zwei Mal verfilmt. Aus der Fülle populär gewordener Lieder ragten I Get a Kick Out of You, All Through the Night und der Titelsong Anything Goes hervor. Es folgten die Erfolgsstücke Jubilee (1935), in dem June Knight Begin the Beguine vorstellte, Red, Hot and Blue (1936) mit dem Hit Ridin‘ High, den Ethel Mermann sang, und Leave It to Me (1938), in dem Mary Martin den Schlager My Heart belongs to Daddy kreierte. Zwischendurch komponierte Porter einige Songs für Filmmusicals von MGM. James Stewart und Eleonor Powell sangen You Are So Easy to Love (Born to Dance, 1936) und Fred Astaire tanzte zu den Liedern I Concentrate On You und I’ve Got My Eyes On You (Broadway Melody of 1940).
Ein wilder Hengst
Cole Porters Leben nahm eine unerwartete Wendung, als er 1937 vom Pferd fiel und sich beide Beine brach. Der Genesungsprozess, bei dem das Nervensystem in Mitleidenschaft gezogen wurde, erstreckte sich über zwei Jahre. Seine Songs zu den Shows Panama Hattie (1940), Let’s Face It (1941) und Something for the Boys (1943) zeigten, dass nach dem Unfall und den damit verbundenen Leiden Porters Verse und Melodien eine neue Dimension gewannen, wie die eindrucksvolle Ballade Ev’rytime We Say Goodbye I Die A Little aus dem Musical Seven Lively Arts (1944) beweist. 1946 hatte Michael Curtiz über Cole Porter ein Filmmusical mit frei erfundenen biographischen Details unter dem Titel Night and Day gedreht, in dem Cary Grant den Komponisten spielte.
Ganz Paris träumt von der Liebe
Cole Porters große Zeit war zu Beginn der Fünfzigerjahre vorbei. Er lebte zurückgezogen in einer Suite des Waldorf-Astoria-Hotels und war als Spätfolge seines Reitunfalls zeitweise auf den Rollstuhl angewiesen. Das ambitionierte Musical Out of This World, eine Variante des antiken Amphitryon-Stoffs, wurde am Broadway 1950 nach nur 157 Aufführungen abgesetzt. 1953 wurde das Musical Can-Can uraufgeführt, das den Zauber des Paris der Jahrhundertwende in dem Schlager I Love Paris heraufbeschwor, und Catarina Valente mit der deutschen Fassung Ganz Paris träumt von der Liebe einen ihrer größten Hits bescherte. Und ein weiterer deutscher Star feierte in einer Bühnenshow von Cole Porter große Erfolge: Hildegard Knef trat 1955 am Broadway als Ninotchka in dem Musical Silk Stockings auf. 1956 komponierte Porter mit dem Lied True Love für den Spielfilm High Society seinen letzten Welterfolg. Er beendete seine Karriere 1958 nach der Komposition von Songs für zwei Fernsehshows. Cole Porter starb 1964 in Santa Monica und wurde in seiner Geburtsstadt Peru neben seinen Eltern und seiner Frau begraben.
Shakespeare ohne Musik
Als Vorlage zum Musical Kiss me, Kate diente das in London 1594 uraufgeführte Lustspiel von William Shakespeare The Taming of the Shrew. Es war nicht das erste Mal, dass Shakespeares bekanntes Stück vertont oder verfilmt wurde. Bereits 1874 verarbeitete Hermann Goetz den Stoff zur in Mannheim uraufgeführten komischen Oper Der Widerspenstigen Zähmung. Es folgten musikalische Versionen als Petruccio von Alick Maclean 1895 in London, als La furia domata von Spiro Samara 1895 in Mailand und als La mégère apprivoisée von Charles Silver 1922 in Paris. Zum ersten Mal adaptierte David Wark Griffith 1908 den Stoff für das Kino. Es folgten sieben weitere Verfilmungen in der Stummfilmzeit. Mit The Taming of the Shrew drehte Samuel Taylor 1929 einen der ersten amerikanischen Tonfilme nach Shakespeares Komödie, der mit Mary Pickford und Douglas Fairbanks prominent besetzt war. 1967 konnte Franco Zefirelli für seine Leinwandadaption die bekannten Hollywoodstars Elizabeth Taylor und Richard Burton gewinnen.
Shakespeare mit Musik
Doch während diese Vertonungen und Verfilmungen alle in der Shakespearezeit spielten, bauten die Librettisten Bella und Sam Spewack die Geschichte um Petruchio und Katharina aus. Im Musical Kiss me, Kate führt eine Theatertruppe in den Vierzigerjahren des 20. Jahrhunderts am Broadway Shakespeares Komödie auf. In einer Rahmenhandlung wird gezeigt, dass die Darsteller von Petruchio, der Schauspieler Fred Graham und Katharina, der Bühnenstar Lilli Vanessi, seine geschiedene Frau, sich hinter den Kulissen wie die Figuren Shakespeares ebenfalls befehden. In der Bühnenhandlung des Spiels im Spiel nach The Taming of the Shrew hielten sich die Librettisten fast wörtlich an die Verse Shakespeares und benutzten für die Rahmenhandlung, die in einem Theater spielt, den New Yorker Slang der späten Vierzigerjahre.
Walzer und Balladen
Cole Porters Musicalerfolg Kiss me, Kate nimmt sich wie ein Querschnitt durch sein bisheriges Schaffen aus. Das Musical ist eine gelungene Mischung aus mitreißenden Songs, großen Tanzszenen und einer witzigen Handlung. Im Gegensatz zu seinen früheren Shows gelang es Porter, die Songs mit dem Fortgang der Handlung zu verweben. Weder vor noch nach Kiss me, Kate fand Porter zu einer so großen Skala von musikalischen Ausdrucksformen zwischen Wiener Walzerlied (Wunderbar), gefühlvollen Balladen im typischen Cole-Porter-Stil (So in Love/So verliebt), jazzbetonten Schlagern (Too Darn Hot/Es ist viel zu heiß) und ironischen Liedern (Brush Up Your Shakespeare/Schlag nach bei Shakespeare).
Küsse in 3-D
Kiss me, Kate gewann fünf Tonys: bestes Musical, beste Regie, bestes Buch, beste Musik und beste Kostüme. 1954 lief eine Verfilmung des Musicals an, die eine Besonderheit aufwies. Nach dem Siegeszug des Fernsehens in den Fünfzigerjahren versuchten die Filmproduzenten das Publikum wieder in die Lichtspieltheater zu locken, indem sie auf technische Neuerungen setzten. Dazu gehörten Streifen im Breitleinwandformat und Filme in 3-D. Mit einer Brille auf der Nase, die durch spezielle Farbfilter einen räumlichen Eindruck wiedergeben sollte, bestaunten die Kinobesucher eine dreimensionalen Verfilmung des Musicals , zu der Cole Porter den Song From This Moment On beigesteuert hatte. Das Musical wurde in 18 Sprachen übersetzt und unter dem hausbacken anmutenden Titel Küss mich, Kätchen an den Städtischen Bühnen Frankfurt 1955 zum ersten Mal in Deutschland gespielt. Die Texte hatte der Kabarettist Günter Neumann verfasst und die musikalische Leitung der reduzierten Orchesterbesetzung lag in den Händen von Christoph von Dohnányi. Der große Erfolg im deutschsprachigen Raum stellte sich aber erst 1956 nach der von Marcel Prawy initiierten österreichischen Erstaufführung an der Wiener Volksoper ein. Seither gehört Kiss me, Kate zum festen Repertoire der deutschen Musiktheater.