Paul Abraham
VIKTORIA UND IHR HUSAR
Sensation
in Berlin! Am 16. Dezember 1929 flimmerte im UFA-Palast am Zoo der erste
deutsche Tonfilm über die Leinwand. In der Liebesromanze Melodie des Herzens
waren die Dialoge nun zu hören, bisher wurden sie im Stummfilm auf
Zwischentiteln angezeigt. Verständlicherweise waren die Kinobesucher davon
begeistert, doch dabei blieb es nicht. Um die neuen akustischen Möglichkeiten
voll auszukosten, kamen Tonfilmschlager dazu. Die lieferten in diesem Fall die
Komponisten Werner Richard Heymann und Robert Stolz. Auch Paul Abraham erhielt
von den Filmproduzenten einen Auftrag. Schließlich spielte die Handlung von
Melodie des Herzens in der Puszta und der 1892 in Serbien geborene Komponist
sollte einen ungarisch gefärbten Tonfilmschlager beisteuern. Abraham ließ dafür
ein Lied aus seiner im Oktober 1928 in Budapest uraufgeführten Operette Az
utolsó Verebély lány (Das letzte Verebély-Mädchen) mit einem deutschen Text
versehen. Willy Fritsch, der männliche Hauptdarsteller von Melodie des Herzens
fiel die Ehre zu, ihn auf der Leinwand erstmal zu interpretieren. Der Schlager
„Bin kein Hauptmann, bin kein großes Tier, sondern nur ein ungarischer
Honved-Offizier“ war dann Paul Abrahams erster Erfolg in Deutschland.
Von
1910 bis 1916 studierte er in Budapest Komposition. Danach folgte ein
Engagement am Operettentheater in Budapest als Kapellmeister, aber auch als
Hauskomponist, und dadurch schuf er erste Beiträge zur Unterhaltungsmusik.
Viktoria und ihr Husar, mit der Abraham zu Beginn der Dreißigerjahre auf den
Theaterbühnen seinen Durchbruch erlebte, war bereits seine vierte abendfüllende
Operette. Uraufgeführt wurde sie in ungarischer Sprache im Februar 1930 in
Budapest unter dem Titel Viktória.
Flucht
ins Happy End
Die
Handlung thematisierte die Zerrissenheit der Menschen, die nach dem ersten
Weltkrieg mit einer aus den Fugen geratenen Welt zu kämpfen hatten. Auch der
Kriegsheimkehrer Stefan Koltay wird mit einer veränderten Realität
konfrontiert, sein Leben im Frieden entwickelt sich ganz anders als gedacht.
Nach der Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft verschlägt es ihn nach
Japan, wo er seiner ehemaligen Verlobten Viktoria begegnet. Da sie ihn für tot
gehalten hat, ist sie mittlerweile die Gattin des amerikanischen Gesandten
Cunlight geworden, mit dem sie in Tokio lebt. Koltay versucht, Viktoria zu
überreden, mit ihm nach Ungarn zu fliehen. Sie aber ist entschlossen, an ihrer
Ehe mit Cunlight festzuhalten, weil sie sich dazu verpflichtet fühlt. Erst
viele Monate später kommt es in einem ungarischen Dorf zum Happy End. Cunlight
verzichtet großmütig auf seine Rechte an Viktoria. Das Liebespaar ist wieder
vereint.
Mit
ungarischem Kolorit
Die
deutschsprachige Erstaufführung von Viktoria und ihr Husar fand im Juli 1930 im
Rahmen von Operettentagen am Stadttheater von Leipzig statt. Um dem
Premierenabend einen besonderen Glanz zu verleihen, wurden hierfür Stars aus
der damaligen Operettenmetropole Wien engagiert. Sie waren es, die erstmals in
Deutschland die Arien und Duette anstimmten, die heutzutage zu Recht das
Etikett Evergreen tragen. Man denke nur an „Mausi, süß warst du heute Nacht“,
„Nur ein Mädel gibt es auf der Welt“ und „Reich mir zum Abschied noch einmal
die Hände“. Die Aufführung war ein grandioser Erfolg, bereits wenige Wochen
später wurde das Ensemble auch am Berliner Metropol-Theater bejubelt.
Anschließend brachte das Theater an den Wien Viktoria und ihr Husar heraus. Es
folgten Aufführungen in London und Paris. Selbstverständlich griffen auch die
deutschen Stadttheater zu und setzten die Novität auf ihre Spielpläne. Die
Tantiemen sprudelten und der Komponist ließ sich in Berlin nieder, um dort das
angenehme Leben eines erfolgreichen Unterhaltungskomponisten zu führen.
Zum
Erfolg von Viktoria und ihr Husar trug bei, dass Paul Abraham mit seiner Musik
etwas gänzlich Neues schuf. Abraham bereicherte das Genre der Operette mit bis
dahin nicht für möglich gehaltene Klangfarben: Celesta, chinesische Trommeln,
Vibraphon, Banjo, Hawaii-Gitarre, Saxophone. All dies gehörte zum
Instrumentarium seiner Partitur und so glich sein Orchester mehr einer
Jazzkapelle, wie überhaupt seine Musik viele Bezüge zum amerikanischen Jazz
aufwies. Die heute noch existierenden Originalaufnahmen jener Jahre, die unter
Abrahams persönlicher musikalischer Leitung auf Schellackplatten eingespielt
wurden, zeigen eine ganz individuelle musikalische Handschrift. Eine gekonnte
Synthese aus asiatischen Klängen, ungarischem Kolorit und amerikanischem Jazz.
Gleiches lässt sich über seine ebenfalls erfolgreichen Operetten Die Blume von
Hawaii und Ball im Savoy sagen. Weil aber Paul Abrahams Karriere in Deutschland
1933 endete und sein Name sich aufgrund seiner jüdischen Abstammung auf der
Liste der nunmehr verbotenen Komponisten wiederfand, wurde in der Folge auch
das gedruckte Orchestermaterial im Auftrag der neuen Machthaber vernichtet.
In
der Nachkriegszeit, als Abrahams Bühnenwerke wieder gespielt werden durften,
erwies sich ihre musikalische Renaissance jedoch als fragwürdig. Der Komponist
befand sich zu jener Zeit im amerikanischen Exil und seine inmitten der
überbordenden Lebensfreude der Weimarer Republik entstandenen Partituren wurden
nun von dritter Hand durch verfälschende Arrangements klanglich geglättet und
versüßlicht. Abrahams filigrane, orchestral sich dem Swing annähernden
Instrumentierungen verschwanden in riesigen Streicherteppichen. Die
Jazzelemente wurden gezähmt und auf Linie gebürstet. Heraus kam ein schier
unsäglicher Kitsch, der Abrahams brillante Klangfarben verwässerte und sie ins
Seichte und Sentimentale abrutschen ließ. Das Kecke, Freche und Frivole, was
seine Musik auch auszeichnete, ging dadurch völlig verloren.
Ein
trauriges Schicksal
Eingreifen
konnte Paul Abraham nicht und er hatte von der Umformung seiner Partituren auch
keine Ahnung, denn er war in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgrund von
nervlicher Zerrüttung in einem amerikanischen Sanatorium untergebracht. Zuvor
hatte er nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland noch einige Jahre in
Österreich verbringen können, wo er in Wien drei weitere Operetten zur
Uraufführung brachte. In letzter Sekunde schaffte er es 1938 nach Kuba zu
entkommen. Schließlich verschlug es ihn nach New York, wo er mittellos und ohne
reguläre Einnahmen ein Dasein als Barpianist fristete. Wie viele andere
Exilanten, auch die der Unterhaltungsmusik, konnte er in Amerika nicht Fuß
fassen. Außerdem war sein Name dort völlig unbekannt, und Paul Abraham war
durch die Flucht künstlerisch am Ende – ein verloschener Vulkan.Mehr und mehr
versank er in Psychosen. Seine Krankheit nahm groteske Formen an. Er
halluzinierte, dass er sich mit einer bekannten Hollywooddiva verlobt habe und
lud alle möglichen Leute für den nächsten Tag zu seiner Hochzeit ein. Und als
er sich eines nachts mitten auf die Madison Avenue stellte, um ein imaginäres
Orchester zu dirigieren, war das Maß voll. Herbeigerufene Polizisten nahmen ihn
fest und lieferten ihn in die geschlossene Abteilung eines New Yorker
Krankenhauses ein. Hier verbrachte er mehrere Jahre seines Lebens und erst in
den Fünfzigerjahren erinnerte man sich in der Bundesrepublik an den
Komponisten, den man in Deutschland zwischenzeitlich sogar für tot gehalten
hatte. Erst auf Initiative einer Filmfirma, die eine Neuverfilmung der Blume
von Hawaii plante, wurde Abraham in New York ausfindig gemacht.1956 kehrte er
mit mittlerweile 58 Jahren nach Deutschland zurück und fand in einem Hamburger
Sanatorium eine liebevolle Betreuung. Auch eine kleine Entschädigungsrente
wurde ihm genehmigt, ebenso erhielt er wieder die ihm zustehenden Tantiemen,
aber Paul Abraham nahm die neuerliche Begeisterung des Publikums für sein
Schaffen nicht mehr wahr. Am 6. Mai 1960 starb er an einer Krebserkrankung.
Die
rekonstruierte Fassung
In
unserer Zeit sind seine Operetten auf den Bühnen immer noch sehr vital, doch
seine Originalpartituren, auch die von Viktoria und ihr Husar, sind verschollen
und die in den Nachkriegsjahren angefertigten Neuarrangements genügen nicht
mehr heutigen Ansprüchen. Um den Originalsound aber wieder verfügbar zu machen,
kam es in den vergangenen Jahren zu Rekonstruktionen seiner Partituren. Einen
Ansatz dazu bildeten die historischen Schallplattenaufnahmen seiner
Operettenschlager unter Paul Abrahams persönlicher musikalischer Leitung, die
wichtige Details über die ursprüngliche Orchesterbesetzung offenlegten. Mit
Hilfe dieser Informationen sowie mit Notenmaterial aus den Dreißigerjahren, das
in ungarischen Theaterarchiven, teils zerfleddert, entdeckt wurde, gelang es
den beiden Arrangeuren Matthias Grimminger und Henning Hagedorn im Auftrag des
Westdeutschen Rundfunks, Abrahams Musik von den verfälschenden
Neuinstrumentierungen zu befreien und den originalgetreuen Orchesterklang
wieder hörbar zu machen. Sie widmeten sich auch Viktoria und ihr Husar. Ein
über die Jahrzehnte immer wieder zugekleistertes und übermaltes Bühnenwerk
erklingt nun wieder im locker swingenden Sound seiner ursprünglichen Form:
frech, mondän und vorlaut.